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Die weißrussische Opposition fordert eine Auflösung des Bündnisses mit Russland


Swetlana Tichanowskaja hat sich mit dem Aufruf an die Landsleute gewandt, „die Waffen niederzulegen“ und sich nicht den Befehlen der Offiziellen im Falle einer Mobilmachung unterzuordnen. Im Umfeld der UN-Vollversammlung hat sie die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, um Hilfe bei der Lösung der innerweißrussischen Krise zu helfen. Und das von Tichanowskaja angeführte Vereinigte Übergangskabinett hat eine Erklärung mit der Forderung, das Bündnis zwischen Weißrussland und Russland zu lösen, abgegeben. Derweil sind Experten der Auffassung, dass Lukaschenko überhaupt nicht plane, zu aktiven Handlungen überzugehen. Und seine lautstarken Erklärungen seien lediglich Teil einer Strategie zur Imitation einer Gefechtsbereitschaft.

Swetlana Tichanowskaja hat sich in New York mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, getroffen. Dies hat der Vertreter für internationale Angelegenheiten des Vereinigten Übergangskabinetts, Valerij Kowalewskij, mitgeteilt.

„Ein herzliches und fruchtbares Treffen mit der Vorsitzenden von der Leyen zwecks Erörterung unserer zunehmenden bilateralen Tagesordnung und Lösung wichtiger Fragen. Die Weißrussen unternehmen alle Anstrengungen, um die innere Krise zu lösen und die Unabhängigkeit vom feindseligen Russland zu verteidigen. Die weitere Teilnahme der EU an der Lösung beider Aufgaben hat entscheidende Bedeutung“, zitiert das Internetportal www.reform.by Worte des Politikers.

Während Tichanowskaja am Rande der UN-Vollversammlung Gespräche führte, trat Weißrusslands Außenminister Wladimir Makej unmittelbar vor der Vollversammlung auf und berichtete über Leistungen des Landes im Bereich der Gewährleistung der Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten. Aber auch darüber, wie die Offiziellen gegen die Versuche kämpfen würden, die Situation auf diesem Gebiet zu destabilisieren.

„Wir haben mehrfach Versuche äußerer Kräfte, das politische Leben von Belarus unter Ausnutzung des Sprach- und nationalen Faktors zu beeinflussen, fixiert und unterbunden. Diese Versuche scheiterten dank der Weisheit der weißrussischen Bürger, von denen sich jeder, sei er nun Weißrusse, Russe oder Pole, orthodoxer Christ oder Juden, sicher und geschützt als ein untrennbarer Bestandteil des ganzen weißrussischen Volkes fühlt“, zitierte der Pressedienst des Außenministers Worte von Makej.

Er ließ es nicht aus, Nachbarländer einer voreingenommenen Haltung gegenüber seinem Land zu bezichtigen. „Ich muss sagen, dass die hier seitens einiger Nachbarn von Belarus erklungenen Erklärungen absolut nichts mit der Realität gemein haben, aus den Fingern gesogene, politisierte und erfundene sind. Unsere Nachbarn haben es leider gelernt, mit Fake-News zu manipulieren“, unterstrich der Minister.

Derweil beabsichtigt einer der „mehreren Nachbarn“ – Polen -, die im Landesosten stationierte 18. mechanisierte Division mit Abrams-Panzern und Apache-Hubschraubern auszurüsten, um sich vor einen möglichen Überfall seitens Weißrusslands zu verteidigen. Dies teilte bei einem Briefing Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak mit.

Swetlana Tichanowskaja gab eine Erklärung hinsichtlich der Zunahme der Spannungen und der Möglichkeit einer Mobilmachung ungeachtet dessen ab, dass der Staatssekretär des Sicherheitsrates von Weißrussland, Alexander Wolfowitsch, am Vorabend erklärt hatte: „Eine Mobilmachung, dies ist nicht über uns. Das Volk von Weißrussland und das Land sind auch so mobilisiert“.

„Ich rufe die weißrussischen Truppen und alle, die von einer Mobilmachung im Falle ihrer Ausrufung erfasst werden können, auf: Erfüllt nicht verbrecherische Befehle. Legt die Waffen nieder. Die weißrussische Gesellschaft wird euch unterstützen“, erklärte Tichanowskaja. Einen Appell veröffentlichte auch das von ihr geleitete Vereinigte Übergangskabinett. Dieses Gremium „hält ein Ausscheiden der Republik Belarus aus den militärpolitischen und Wirtschaftsbündnissen mit der Russischen Föderation und die Gestaltung eines neuen regionalen Sicherheitssystems unter Beteiligung der Staaten, die Unabhängigkeit, Souveränität, territoriale Integrität und nationale Identität der Republik Belarus anerkennen und achten, für notwendig“.

Derweil bezweifeln Experten, dass in Weißrussland eine Mobilmachung real erfolgen könne. Der Politologe Pjotr Rudkowskij erklärte auf dem Internetportal „Nascha Niwa“ (deutsch: Unser Boden): „Belarus und Russland sind Bündnisstaaten. Da gibt es einen recht verschwommenen Punkt, wonach „der Überfall auf eines der Mitglieder des Unionsstaates als ein Überfall auf den Unionsstaat insgesamt angesehen wird“, und dass in solch einem Fall die entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden. Die praktische Bedeutung dieser Klausel ist eine minimale. Erstens aufgrund der Verschwommenheit der Formulierung. Worin sollen diese „Maßnahmen“ bestehen? Lukaschenko kann beispielsweise lauthals die „Attacke auf den Verbündeten“ verurteilen. Zweitens ist alles anhand des Funktionierens der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit zu sehen. Im Unterschied zum Unionsstaat ist diese Organisation speziell für eine kollektive Verteidigung im Falle einer äußeren Bedrohung geschaffen worden. Armenien hat sich schon zweimal mit der Bitte an die Organisation gewandt, um es vor Aserbaidschan zu schützen. Und nichts Konkretes ist dabei herausgekommen. Folglich wird hier alles letzten Endes von den informellen Abstimmungen abhängen. Lukaschenko wird sich darauf nicht einlassen, wenn man ihn nicht vollkommen an die Wand drückt“.

Und der russische Politologe Andrej Susdalzew äußerte im Messenger-Dienst Telegram solch eine Meinung: „Die Erklärung von Swetlana Tichanowskaja korreliert ausgezeichnet mit den jüngsten Androhungen von Alexander Lukaschenko, den Kriegszustand auszurufen und Ressourcen von Belarus inkl. Menschen gegen eine äußere Bedrohung zu mobilisieren. Während mit dem weißrussischen Staatschef alles auch so klar ist (Lukaschenko glaubt an keinen Sieg Russlands und bereitet sich auf einen Bürgerkrieg oder einen Einmarsch der ukrainischen Streitkräfte vor), so agiert Tichanowskaja in dem „Okkupations-“ Paradigma – man könne Belarus nötigen, sich der russischen Teilmobilmachung anzuschließen, und die Bürger der Republik müssten sich auf maximale Weise dem widersetzen. Es sei daran erinnert, dass gerade in solch einem Sinne auch die zahlreichen Schreiben des Außenministeriums der Republik Belarus an alle europäischen Hauptstädte abgefasst worden sind („man hat uns gezwungen, sich der militärischen Sonderoperation anzuschließen“, „es ist von keinem Einsatz weißrussischer Truppen die Rede“ usw.). Im Großen und Ganzen läuft das Imitieren auf Hochtouren. Die einen imitieren ein heftiges Ringen um Belarus (eher um den Präsidentenpalast), und andere imitieren eine „Okkupation“ der Republik…“.