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Die Werchowna Rada hat ein Urteil über die Ukrainische orthodoxe Kirche gefällt


Die Abgeordneten der Werchowna Rada (des Parlaments der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) haben am 19. Oktober in erster Lesung fast einmütig für einen Gesetzentwurf gestimmt, der im Land die Tätigkeit der Ukrainischen orthodoxen Kirche (UOK) verbietet. In der Religionsorganisation an sich bezeichnete man dies „als nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Verfassung der Ukraine entsprechend“, und Menschenrechtler erklärten, dass es unmöglich sein werde, das Gesetz umzusetzen.

Für die Gesetzesvorlage Nr. 8371 hatten 267 Volksvertreter gestimmt, dagegen traten 15 Abgeordnete auf, zwei haben sich der Stimme enthalten, und 17 nahmen nicht an der Abstimmung teil. Am meisten war man in der regierenden Partei „Diener des Volkes“ – 175 Ja-Stimmen – für das Dokument. Dieses am 19. Januar dieses Jahres auf persönliche Initiative des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij registrierte Dokument verbietet faktisch das Wirken der Ukrainischen orthodoxen Kirche als eine religiöse Organisation, deren Führungszentrum sich angeblich in Russland befindet.

Der Druck auf die UOK (sie leitet Metropolit Onufrij (Beresowskij)) hatte ab Februar des vergangenen Jahres begonnen. Die Parlamentarier hatten in all dieser Zeit mehrfach den Versuch unternommen, sich der UOK per Gesetz zu entledigen, die gemäß ihrer Satzung zum Moskauer Patriarchat gehörte. Bis in die jüngste Vergangenheit hatte sich in der Rada nicht die erforderliche Anzahl von Stimmen für ein Verbot dieser religiösen Struktur gefunden.

Die Ergebnisse der nunmehrigen Abstimmung wurden gleichfalls nicht nur in der eigentlichen Rada als auch unter den Mitgliedern der Partei „Diener des Volkes“ nicht einhellig aufgenommen. Der 30jährige Volksabgeordnete Artjom Dmitruk ist sich sicher, dass das Verbot der UOK der konkurrierenden Orthodoxen Kirche der Ukraine und dem ukrainischen Expräsidenten Pjotr Poroschenko, aber nicht der Ukraine an sich zum Nutzen gereichen werde. Wer für das Verbot der UOK votierte, arbeitet gegen die Ukraine“ erklärte der Parlamentarier.

Betrübt durch die Gesetzesvorlage ist auch Oleg Denisov, Leiter der Menschenrechtsorganisation NGO Public Advocacy. Nach seiner Meinung könne man das Gesetz im Rechtsumfeld nicht realisieren. „Selbst wenn man es verabschiedet, bedeutet dies nicht, dass die Tätigkeit der UOK, die aus 12.000 religiösen Organisationen (Gemeinden – Anmerkung der Redaktion) besteht, mit einem Schlage aufhört. Dafür werden Jahre ins Land gehen. Die Ukrainische orthodoxe Kirche ist keine Rechtsperson an sich. Daraus ergibt sich, dass man 12.000 Klagen einreichen muss. Und dabei müssen hinsichtlich aller Klagen 12.000 Mitglieder dieser religiösen Gemeinschaft entsprechend von Strafverfahren verurteilt werden. Dies ist nicht real… Dies ist ausschließlich ein Gesetz für PR-Zwecke“, meint Denisov.

Auf der Internetseite der UOK wurde am 19. Oktober eine Erklärung der Rechtsabteilung veröffentlicht, in der der Gesetzentwurf als widerrechtlich bezeichnet wird. „Gemäß dem Prozedere muss es eine zweite Lesung geben. Daher bleibt er ein Gesetzentwurf und bedarf einer Überarbeitung, da er das Recht auf Glaubensfreiheit verletzt und wesentliche Mängel juristischer Art enthält und nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Verfassung der Ukraine entspricht. Nicht eines dieser Dokumente sieht die Möglichkeit eines Verbots des Rechts auf Glaubensfreiheit vor. Denn solch ein Recht kann nur im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit und Moral der Bevölkerung oder für einen Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Menschen eingeschränkt werden. Die Annahme dieser Gesetzesvorlage wird belegen, dass die Menschenrechte und -freiheiten, für die auch unser Staat kämpft, (ihren) Sinn verlieren“, erklären die Juristen der UOK.

Am Vorabend der Abstimmung hatte sich der Ökumenische Rat der Kirchen (Weltkirchenrat) an den Rada-Vorsitzenden Ruslan Stefantschuk gewandt. In einem Schreiben, unterzeichnet durch Peter Prove, den Direktor der Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten des Weltkirchenrates, hieß es, dass die Verabschiedung des Gesetzentwurfs „droht, die soziale Einheit in der Ukraine zu sprengen, besonders zu einer Zeit, in der diese Einheit kritisch erforderlich ist“.

Der Patriarch von Moskau und Ganz Russland Kirill I. hat sich so über die Abstimmung geäußert: „In vielen Ländern der Welt werden die Gläubigen unserer Kirche leider zu einem Objekt von Unterdrückung und einer Hetzkampagne, da sie Träger der jahrhundertealten russischen Kultur sind, die untrennbar vom Erbe der russischen Staatlichkeit ist. Das sogenannte Canceln der russischen Kultur ist eine unverfrorene Verleumdung und ungestrafte Vernichtung der Ukrainischen orthodoxen Kirche. Dies ist das Wesen der Methode, jene gegeneinander aufzubringen, zu zerstreiten, die eine Beziehung zum geschlossenen geistigen und kulturellen Erbe haben“. Die UOK hatte vor mehr als einem Jahr vom Moskauer Patriarchat losgesagt und seine Unabhängigkeit erklärt. Die Russisch-orthodoxe Kirche erkennt dies aber nicht an und betrachtet die Ukraine nach wie vor als ihr kanonisches Territorium.

 

 

Peter Prove, Direktor der ÖRK-Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten