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Dies ist kein Bluff


Für viele Bürger Russlands (im zentralen Teil der Föderation) hatte gerade erst der Arbeitstag begonnen, als Staatsoberhaupt Wladimir Putin um 8.00 mitteleuropäischer Sommerzeit im Staatsfernsehen mit einer etwas mehr als 14 Minuten andauernden Rede ans Volk auftrat. Er verkündete vor dem Hintergrund der am Dienstag angekündigten Referenda in den Donbass-Republiken sowie den ukrainischen Gebieten Cherson und Saporoschje über einen Beitritt zu Russland und die derzeit nicht gerade erfolgreiche militärische Sonderoperation in der Ukraine eine teilweise Mobilmachung. Etwa 300.000 Russen sollen in den kommenden tagen und Wochen einberufen werden, die damit rund ein Prozent der gesamten Mobilmachungsressourcen ausmachen, wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu im russischen Staatsfernsehen mitteilte. Zur gleichen Zeit überraschte er auch: Seit Ende März nannte er nun eine neue Zahl der in dieser Sonderoperation gefallenen Militärs. „Bis zum heutigen Tag machen unsere Verluste 5937 gefallene Menschen aus“. Und um diese Zahl in den Augen der Landesbevölkerung zu relativieren, behauptete er, dass die ukrainische Seite in dem seit 210 Tagen laufenden Konflikt weitaus mehr Verluste hätte — 61.207 Tote und 49.368 Verwundete. Inwieweit diese Zahlen der Realität entsprechen, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Die Redaktion von „NG Deutschland“ veröffentlicht im Nachfolgenden eine Übersetzung der Mittwoch-Ansprache von Präsident Wladimir Putin.

„Sehr geehrte Freunde,

das Thema meines Auftritts sind die Situation im Donbass und der Verlauf der militärischen Sonderoperation zu seiner Befreiung von dem neonazistischen Regime, das 2014 die Macht in der Ukraine im Ergebnis eines bewaffneten Staatsstreichs ergriffen hatte.

Ich wenden mich heute an Sie, an alle Bürger unseres Landes, an die Menschen unterschiedlicher Generationen, unterschiedlichen Alters und Nationalität, an das Volk unserer großen Heimat, an alle, die das große historische Russland vereint, an die Soldaten und Offiziere sowie Freiwilligen, die derzeit an der vordersten Frontlinie kämpfen, sich auf Gefechtsposten befinden, an unsere Brüder und Schwestern – an die Einwohner der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik, der Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje sowie der anderen, von dem neonazistischen Regime befreiten Regionen.

Es wird um notwendige, unaufschiebbare Schritte zum Schutz der Souveränität, Sicherheit und territorialen Integrität Russlands gehen, um die Unterstützung des Bestrebens und des Willens unserer Landsleute, selbst ihre Zukunft zu bestimmen, sowie um die aggressive Politik eines Teils der westlichen Eliten, die mit allen Kräften danach streben, ihre Vorherrschaft zu bewahren. Und dafür versuchen sie, jegliche souveränen selbstständigen Zentren einer Entwicklung zu blockieren, zu unterdrücken, um auch weiterhin grob anderen Ländern und Völkern ihren Willen aufzuzwingen, ihre Pseudowerte aufzuoktroyieren.

Das Ziel dieses Westens ist, unser Land zu schwächen, zu entzweien und letzten Endes zu vernichten. Sie sprechen bereits direkt darüber, dass sie 1991 die Sowjetunion aufspalten konnten. Und nun sei die Zeit auch für Russland an sich gekommen, das es in eine Vielzahl von Regionen und Verwaltungsgebieten zerfällt, die auf tödliche Weise miteinander verfeindet sind.

Und solche Pläne hegen sie schon lange. Sie haben die Banden internationaler Terroristen im Kaukasus gefördert, die offensive Infrastruktur der NATO bis dicht an unsere Grenzen vorgeschoben. Sie haben eine totale Russophobie zu ihrer Waffe gemacht, wobei sie über Jahrzehnte zielgerichtet einen Hass gegen Russland kultivierten, vor allem in der Ukraine, der sie das Schicksal eines antirussischen Aufmarschgebietes vorbereiteten und das eigentliche ukrainische Volk in Kanonenfutter verwandelten und zu einem Krieg gegen unser Land anstifteten, wobei sie ihn, diesen Krieg, bereits im Jahr 2014 entfesselten, indem sie Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung einsetzten, ein Genozid, eine Blockade und Terror gegen die Menschen organisierten, die es abgelehnt hatten, die Herrschaft anzuerkennen, die in der Ukraine im Ergebnis des Staatsstreichs entstanden war.

Und nachdem sich das heutige Kiewer Regime faktisch öffentlich von einer friedlichen Lösung des Donbass-Problems distanzierte und – mehr noch – seine Ansprüche auf Kernwaffen erklärte, ist absolut klar geworden, dass eine neue, eine weitere großangelegte Offensive gegen den Donbass – wie dies bereits zweimal der Fall gewesen war – unausweichlich geworden ist. Und danach würde genauso unausweichlich auch eine Attacke gegen die russische Krim, gegen Russland folgen.

In diesem Zusammenhang war die Entscheidung über die zuvorkommende Militäroperation eine absolut notwendige und die einzig mögliche. Ihre Hauptziele – die Befreiung des gesamten Territoriums des Donbass – waren und bleiben unveränderte.

Die Lugansker Volksrepublik ist praktisch bereits vollkommen von den Neonazis gesäubert worden. Die Kämpfe in der Donezker Volksrepublik dauern an. Hier hatte das Kiewer Besatzungsregime im Verlauf von acht Jahren eine tief gestaffelte Linie langfristiger Befestigungen geschaffen. Deren frontale Erstürmung würde zu schweren Folgen führen. Daher handeln unsere Truppenteile, aber auch die Militäreinheiten der Donbass-Republiken planmäßig, klug. Sie setzen Technik ein, bewahren den Personalbestand und befreien Schritt für Schritt den Donezker Boden, säubern die Städte und Dörfer von den Neonazis, gewähren den Menschen Hilfe, die das Kiewer Regime zu Geißeln machte, zu einem lebenden Schutzschild.

Wie Sie wissen, nehmen an der militärischen Sonderoperation Berufsmilitärs teil, die auf Vertragsgrundlage dienen. Im Schulterschluss mit ihnen kämpfen auch Freiwilligen-Formationen: Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Berufe und Alters – wahre Patrioten. Sie folgten dem Ruf des Herzens und verteidigen Russland und den Donbass.

Im Zusammenhang damit wurden der Regierung und dem Verteidigungsministerium durch mich bereits die Aufträge erteilt, in vollem Umfang und in kürzester Frist den Rechtsstatus der Freiwilligen, aber auch der Kämpfer der Einheiten der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik zu bestimmen. Er muss genau solch einer sein wie bei den regulären Militärs der russischen Armee, inklusive der materiellen und medizinischen Versorgung und der sozialen Garantien. Besondere Aufmerksamkeit muss der Organisierung der Versorgung der Freiwilligen-Formationen und Einheiten der Volksmiliz des Donbass mit Technik und Ausrüstungen geschenkt werden.

Im Verlauf der Lösung der Hauptaufgaben zum Schutz des Donbass haben unsere Truppen – ausgehend von den Plänen und Entscheidungen des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs gemäß der generellen Strategie für die Handlungen – auch erhebliche Territorien der Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje sowie eine Reihe anderer mehrerer Gebiete von den Neonazis befreit. Im Ergebnis dessen hat sich eine ausgedehnte Kampfberührungslinie gebildet, die mehr als eintausend Kilometer ausmacht.

Worüber möchte ich heute erstmals sprechen. Bereits nach Beginn der militärischen Sonderoperation, darunter der Verhandlungen in Istanbul, hatten die Vertreter Kiews recht positiv auf unsere Vorschläge reagiert. Und diese Vorschläge betrafen vor allem die Gewährleistung der Sicherheit Russlands, unserer Interessen. Es ist aber offensichtlich, dass eine friedliche Lösung dem Westen nicht recht gewesen war. Daher wurde nach Erreichen bestimmter Kompromisse Kiew faktisch die direkte Anweisung erteilt worden, alle Vereinbarungen über den Haufen zu werfen.

Man begann, noch mehr die Ukraine mit Waffen vollzupumpen. Das Kiewer Regime brachte neue Banden ausländischer Söldner und Nationalisten sowie entsprechend den Standards der NATO ausgebildete Truppenteile unter dem faktischen Kommando westlicher Berater zum Einsatz.

Gleichzeitig wurde auf schärfste Art und Weise das Regime der Repressalien in der gesamten Ukraine in Bezug auf die eigenen Bürger verstärkt, das gleich nach dem bewaffneten Umsturz von 2014 etabliert worden war. Die Politik des Einschüchterns, des Terrors und der Gewalt nimmt immer umfangreichere, schrecklichere und barbarischere Formen an.

Ich möchte unterstreichen: Wir wissen, dass die meisten Menschen, die auf den von den Neonazis befreiten Territorien leben, und dies sind vor allem historische Gebiete des Neurusslands, nicht unter das Joch des neonazistischen Regimes geraten wollen. In Saporoschje, im Gebiet Cherson, in Lugansk und Donezk hat man jene Gräueltaten gesehen und sieht sie, die die Neonazis in den besetzten Regionen des Verwaltungsgebietes Charkow begehen. Die Erben der Bandera-Anhänger und nazistischen Peiniger bringen Menschen um, foltern, werfen sie in Gefängnisse, begleichen mit ihnen Rechnungen, rechnen mit ihnen ab und vergehen sich an friedlichen Bürgern.

In der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik sowie in den Verwaltungsgebieten Saporoschje und Cherson haben bis zum Beginn der Kampfhandlungen über siebeneinhalb Millionen Menschen gelebt. Viele von ihnen waren gezwungen gewesen, zu Flüchtlingen zu werden, die eigenen Häuser zu verlassen. Diejenigen aber, die geblieben sind – dies sind etwa fünf Millionen Menschen -, werden heute einem ständigen Artillerie- und Raketenbeschuss seitens der neonazistischen Kämpfer ausgesetzt. Sie beschießen Krankenhäuser und Schulen, führen Terrorakte gegen Zivilisten durch.

Wir können nicht und haben keinerlei moralisches Recht, die uns nahen Menschen den Henkern einem Zerfleischen zu überlassen, wir müssen auf ihr aufrichtiges Streben reagieren, selbst ihr Schicksal zu bestimmen.

Die Parlamente der Donbass-Volksrepubliken, aber auch die Militär- und Zivilverwaltungen der Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje haben die Abhaltung von Referenda über die Zukunft dieser Territorien beschlossen und sich an uns, an Russland mit der Bitte gewandt, solch einen Schritt zu unterstützen.

Es sei unterstrichen: Wir werden alles tun, um sichere Bedingungen für die Durchführung der Referenda zu gewährleisten, dafür, dass die Menschen ihren Willen bekunden können. Und die Entscheidung über ihre Zukunft, die die meisten Einwohner der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik sowie der Verwaltungsgebiete Saporoschje und Cherson treffen werden, werden wir unterstützen.

Sehr geehrte Freunde,

heute handeln unsere Streitkräfte, wie ich bereits sagte, an der Kampfberührungslinie, die über eintausend Kilometer lang ist. Sie stehen nicht nur Neonazi-Einheiten gegenüber, sondern faktisch der gesamten Militärmaschine des kollektiven Westens.

In dieser Situation halte ich es für notwendig, folgende Entscheidung zu treffen – sie ist in vollem Maße den Bedrohungen adäquat, mit denen wir konfrontiert werden. Und zwar: Für den Schutz unserer Heimat, ihrer Souveränität und territorialen Integrität, für die Gewährleistung der Sicherheit unseres Volkes und der Menschen auf den befreiten Territorien halte ich es für notwendig, den Vorschlag des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs über die Durchführung einer teilweisen Mobilmachung in der Russischen Föderation zu unterstützen.

Es sei wiederholt, es geht gerade um eine teilweise Mobilmachung. Das heißt, einer Einberufung zu einem Militärdienst werden nur die Bürger unterliegen, die sich derzeit in der Reserve befinden, und vor allem jener, die in den Reihen der Streitkräfte gedient haben, die bestimmte militärisch wichtige Spezialisierungen und die entsprechenden Erfahrungen besitzen.

Die zum Militärdienst Einberufenen werden vor der Entsendung in die Truppenteile unbedingt eine zusätzliche Militärausbildung unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der militärischen Sonderoperation absolvieren.

Der Erlass über eine teilweise Mobilmachung ist unterschrieben worden.

Entsprechend der Gesetzgebung werden darüber heute offiziell die Kammern der Föderalen Versammlung – der Föderationsrat und die Staatsduma – per Schreiben informiert werden.

Die Mobilmachungsmaßnahmen werden heute, am 21. September beginnen. Ich beauftrage die Oberhäupter der Regionen, alle erforderliche Unterstützung für die Arbeit der Militärkommissariate zu leisten.

Besonders sei unterstrichen, dass die Bürger Russlands, die zum Militärdienst entsprechend der Mobilmachung einberufen werden, den Status, die Zahlungen und alle sozialen Garantien von Militärs, die entsprechend einem Vertrag einen Wehrdienst leisten, erhalten werden.

Hinzugefügt sei, dass der Erlass über eine teilweise Mobilmachung auch zusätzliche Maßnahmen zur Umsetzung des staatlichen Rüstungsauftrages vorsieht. Auf den Leitern der Unternehmen des militär-industriellen Komplexes liegt die direkte Verantwortung für die Lösung der Aufgaben zur Forcierung der Herstellung von Waffen und Gefechtstechnik sowie zur Entfaltung zusätzlicher Produktionskapazitäten. Seinerseits sind alle Fragen zur materiellen, Ressourcen- und finanziellen Absicherung der Rüstungsunternehmen durch die Regierung unverzüglich zu lösen.

In seiner aggressiven antirussischen Politik hat der Westen jegliche Grenze überschritten. Wir vernehmen ständig Androhungen an die Adresse unseres Landes und unseres Volkes. Mehrere verantwortungslose Politiker im Westen sprechen nicht nur über Pläne zur Organisierung von Lieferungen weitreichender Offensivwaffen und -systeme an die Ukraine, die erlauben werden, Schläge gegen die Krim, gegen andere Regionen Russlands zu führen.

Solche terroristischen Schläge werden bereits gegen grenznahe Ortschaften in den Verwaltungsgebieten Belgorod und Kursk geführt. Im Realzeit-Regime nimmt die NATO unter Verwendung moderner Systeme, Flugzeuge, Schiffe, Satelliten und strategischer Drohnen eine Aufklärung hinsichtlich des gesamten Südens von Russland vor.

In Washington, London und Brüssel veranlasst man Kiew direkt zu einer Verlegung der Kampfhandlungen auf unser Territorium. Schon sich nicht verbergend, spricht man davon, dass Russland mit allen Mitteln auf dem Schlachtfeld mit einem anschließenden Entzug der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und überhaupt jeglicher Souveränität mit einer völligen Ausplünderung unseres Landes zerschlagen werden soll.

Zum Einsatz gekommen ist auch eine nukleare Erpressung. Es geht nicht nur um den durch den Westen stimulierten Beschuss des Atomkraftwerks von Saporoschje, was zu einer nuklearen Katastrophe führt, sondern auch um Äußerungen einiger hochrangiger Vertreter führender NATO-Staaten über die Möglichkeit und Zulässigkeit des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen – von Kernwaffen – gegen Russland.

Diejenigen, die sich solche Erklärungen in Bezug auf Russland erlauben, möchte ich daran erinnern, dass unser Land gleichfalls über unterschiedliche Vernichtungsmittel und hinsichtlich einzelner Komponente – auch modernerer als die NATO-Länder — verfügt. Und bei einer Gefährdung der territorialen Integrität unseres Landes werden wir für die Verteidigung Russlands und unseres Volkes unbedingt alle Mittel einsetzen, die uns zur Verfügung stehen. Dies ist kein Bluff.

Die Bürger Russlands können sich dessen gewiss sein, dass die territoriale Integrität unserer Heimat, unsere Unabhängigkeit und Freiheit gesichert werden. Ich unterstreiche dies noch einmal – mit allen Mitteln, die wir haben. Diejenigen aber, die versuchen, uns mit Kernwaffen zu erpressen, sollen wissen, dass sich die Windrichtung auch in ihre Richtung drehen kann.

Es liegt in unserer historischen Tradition, im Schicksal unseres Volkes, jene zu stoppen, die nach einer Weltherrschaft streben, die unserer Heimat, unserem Vaterland eine Zerstückelung und Unterjochung androhen. Wir werden dies auch jetzt tun. So wird dem auch sein.

Ich glaube an Ihre Unterstützung.“