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Dmitrij Medwedjew präsentiert sich wieder einmal als Falke


Mit über 665.000 Followern ist der Telegram-Kanal von Dmitrij Medwedjew wohl einer der bedeutendsten unter Russlands Spitzenpolitikern. Täglich postet der ehemalige russische Präsident Texte, die mitunter mehr als nur überraschen. Sie lösen vor allem Fragen aus, denn die spektakulären und aggressiven Statements des inzwischen 58jährigen scheinen sich in der letzten Zeit massiv zu häufen. Daher macht es Sinn, nicht nur diese Texte zu analysieren, sondern auch zu hinterfragen.

Man darf sich wohl nicht der Illusion hingeben, dass Medwedjew als Privatperson seine verbalen Ergüsse verbreitet. Er ist kein einfacher Staatsbeamter, sondern eine hochrangige Persönlichkeit in der russischen Machthierarchie. Und da scheint man wohl mit der Lexik, die sich der Vertreter des Sicherheitsrates bedient, mehr als nur vertraut zu sein. Und man schaut da wohl gern hinweg, dass sich der studierte Jurist im Grunde genommen sprachlich am Rande von Argo und Gassenjargon bewegt. Vor allem wenn es gegen den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij geht, dem man im Kreml in der jüngsten Vergangenheit bereits mehrfach die Legitimität abgesprochen hat. Gleichzeitig sind die Telegram-Beiträge Medwedjews mit Sicherheit ein Spiegelbild der herrschenden Denkweise in den Moskauer Machtetagen, die freilich nicht von jedem Spitzenvertreter des russischen Staates in solchen Worten gekleidet wird. Die russische Sprache erlaubt, auf mannigfaltige Art die eine oder andere Message zu vermitteln. Während Präsident Wladimir Putin gern mit einzelnen Phrasen und sprachlichen Perlen aufwartet, die vor allem für Dolmetscher eine harte Nuss sind, ist er generell jedoch stets bemüht, akkurat seine Gedanken zu formulieren, wobei er knallhart seine Narrative vermittelt. Medwedjew ist da ungezügelter.

Sind die Aussagen des Politikers aber nicht gleichfalls eine Art Testballon, der sowohl in Richtung der russischen Elite und Bevölkerung aufsteigt als auch für das Publikum im Westen bestimmt ist? Gern möchte man diese Frage bejahend beantworten, obgleich es schwer ist, die entsprechenden Reaktionen nachzuverfolgen. In Russland lösen die Posts des stellvertretenden Vorsitzenden des Sicherheitsrates oft Erstaunen und andererseits gar Billigung aus. Der Politiker nehme kein Blatt vor den Mund. Nur unklar ist, wie viele Menschen im Land so denken. Andererseits möchte man erfahren, ob dies nicht nur einfach ein Sturm im Wasserglas ist, um den Westen mit markigen Worten aufzuschrecken. Mitunter entsteht ebenfalls der Eindruck, dass man Medwedjew mit solchen Statements nicht ernst nehmen will und kann. Politologen vertraten im vergangenen Jahr mitunter die Auffassung, dass Medwedjew für sich eine PR-Kampagne fahre, um nicht dem Vergessen anheim zu fallen. Ein berechtigter Gedanke, zumal der Politiker selbst nach wie vor sehr ambitioniert ist. Nur viele wollen und können ihn nicht erneut als Staatsoberhaupt sehen, zu groß ist sein Ansehensverlust in der Gesellschaft. In der fragt man im Übrigen ebenfalls: Wie lange kann sich der Mann noch in seinem Amtssessel halten? Eine berechtigte Frage, da Kremlchef Putin in seiner Jahresbotschaft Ende Februar unter anderem von der Formierung einer neuen Elite im Land sprach, die aus jüngeren Menschen bestehen werde, die sich zum Beispiel im Verlauf der sogenannten militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine bewehrt haben. Eventuell wird es in dieser dann gar keinen Platz mehr für Medwedjew geben.

Die Perspektiven für Dmitrij Medwedjew sind heute schwer abzuschätzen. Dies hindert ihn aber nicht daran, stets an sich zu erinnern. Die Redaktion „NG Deutschland“ stellt im Nachfolgenden drei Telegram-Posts des Politikers vor, die aufhorchen ließen und dessen Sicht- und Denkweise markant illustrieren.

Am Donnerstag kommentierte er folgendermaßen die Entscheidungen des Washingtoner NATO-Jubiläumsgipfels:

„We will continue to support it on its irreversible path to full Euro-Atlantic integration, including NATO membership“ („Wir werden [die Ukraine] weiterhin auf dem unumkehrbaren Weg zu einer vollständigen euroatlantischen Integration inkl. einer NATO-Mitgliedschaft unterstützen“). So haben es gestern unsere Feinde in der Washingtoner Deklaration der Allianz erklärt.

Die Schlussfolgerung ist offensichtlich: Wir müssen alles tun, damit der „unumkehrbare Weg der Ukraine“ in die NATO entweder mit einem Verschwinden der Ukraine oder mit einem Verschwinden der NATO endet. Am besten ist sowohl das eine als auch das andere“.

Einen Tag zuvor, am Mittwoch hatte Medwedjew einen größeren Text in seinem Telegram-Kanal zur Ukraine veröffentlicht. Die Leser von „NG Deutschland“ können sich selbst darüber ein Urteil bilden.

„Wird sich der gottlose Clown und einstige Präsident der ehemaligen Ukraine auf Verhandlungen einlassen?

Es hatte den Anschein, dass die Frage eine rhetorische ist. Beinahe alle waren sich dahingehend einig, dass die übermäßig aufgeblasene Eitelkeit des koksenden Hanswursts, die Drohungen seitens der radikalen Nazis und die Unterstützung des Westens dieses Szenario praktisch zu einem irrealen machen. Dass der genitale Pianist die ungezügelten Bandera-Leute bis auf den Tod fürchtet und ihm mit Blut die Treue geschworen hat, hatte ich bereits in meinem Artikel im „Kommersant“ vor Beginn der militärischen Sonderoperation geschrieben. Seitdem hat sich wenig geändert. Zur gleichen Zeit ist aber der Dekorationswechsel in den USA imstande, neue Noten in die Entschlossenheit der käuflichen ukrainischen Elite, Verhandlungen zu beginnen, nachdem die Kampfhandlungen auf Pause gestellt wurden, einzubringen. Die Frage ist: Ist dies für Russland von Vorteil?

Ich nehme an, dass dem kategorisch nicht so ist.

Unser Land hat an unterschiedlicher Stelle mehrfach die Bereitschaft erklärt, zu Verhandlungen aber nur zu unseren Bedingungen zurückzukehren. Sie sind simpel: eine Anerkennung der Ergebnisse der militärischen Sonderoperation, die in der Verfassung Russlands fixiert worden sind, und der Verzicht auf eine Aufnahme der einstigen Ukraine in die Allianz. Das letzte Mal hatte Russlands Präsident bei einem Auftritt im Außenministerium (am 14. Juni 2024 – Anmerkung der Redaktion) darüber gesprochen. Die NATO-Vertreter und Selenskij haben dieses Angebot sofort zurückgewiesen.

Und wenn man es auf einmal aufgreift und akzeptiert?

In solch einem Fall müssen wir auf maximale Weise vorsichtig sein. Warum? Ja weil:

1) Die Verhandlungen an sich bis zum Moment einer deutlich artikulierten Absicht des Kiewer Regimes zu kapitulieren nur eine Atempause für den Feind zwecks Auffüllung des militärischen und Menschen-Potenzials sein werden.

2) Die Deklarationen der Ukraine über einen Verzicht auf einen NATO-Beitritt an sich zu nichts führen werden (ich sage schon nicht, dass die heutigen Bandera-Verbrecher sie wohl kaum irgendwann abgeben werden).

3) Wenn sich aber doch 1) und 2) ereignen, wird in Kiew schnell ein neuer, ein dritter blutiger Maidan beginnen, der die jetzige Junta hinwegfegen und eine noch radikalere an die Macht bringen wird.

Und eben dann können sich, wie merkwürdig es sein mag, Bedingungen für Verhandlungen herausbilden, einschließlich der Frage nach einer Kapitulation. Für die westliche Allianz wird es weitaus schwieriger werden, den offenkundigen Extremisten zu helfen. Überdies muss auch offen eingestanden werden, dass hunderte Milliarden an Geld ihrer Steuerzahler verschleudert wurden. Und Washington wird mit seinen Kameraden die Nazis in Kiew zu einer Anerkennung der Ergebnisse des Krieges zwingen. Die herrschende Clique wird mit dem lumpigen Bajazzo in den Westen fliehen oder von der Menschenmenge zerfetzt. Auf den Ruinen des erhalten gebliebenen Teils der früheren Ukraine wird ein moderates politisches Regime entstehen.

Doch auch dies wird nicht das Ende der Militäroperation Russlands sein. Selbst nach Unterzeichnung der Papiere und dem Akzeptieren der Niederlage wird der verbliebene Teil der Radikalen früher oder später an die Macht zurückkehren, der von den westlichen Feinden Russlands inspiriert wird. Und da wird die Zeit kommen, die Kröte endgültig plattzumachen. Und einen langen Stahlnagel in den Deckel des Sargs des Bandera-Quasi-Staates einzuschlagen, die Reste seines blutigen Erbes zu vernichten und die verbliebenen Gebiete in den Schoß des russischen Bodens zurückzuholen.

Doch Russlands Feinde werden auch danach nirgendwohin verschwinden. Sie werden Kräfte sammeln und auf einen neuen passenden Anlass für eine Vernichtung unseres Landes warten. Wir müssen für eine Verteidigung des Vaterlands zu künftigen Schlachten bereit sein.“

Nach den neuen westlichen Sanktionen schrieb Dmitrij Medwedjew diesen Telegram-Post am 13. Juni, der mehr als 2-Millionenmal aufgerufen wurde:

„Ja, und da sind neue amerikanische Sanktionen. Bald wird es auch neue europäische geben. Man muss auf sie reagieren? Scheinbar nicht, ihre Anzahl macht bereits zehntausende aus. Wir haben es gelernt, mit ihnen zu leben und uns zu entwickeln.

Andererseits muss man es aber. Nicht nur die Offiziellen, der Staat, sondern auch insgesamt all unsere Menschen. Alle, die unsere Heimat – Russland – lieben. Schließlich haben sie – die USA und ihre beschissenen Verbündeten – uns einen Krieg ohne Regeln erklärt!

Wie muss man reagieren. Ich habe schon irgendwie darüber gesprochen. Es ist aber nicht vergebens, es auch zu wiederholen. Man muss jeden Tag versuchen, jenen Ländern einen maximalen Schaden zuzufügen, die gegen unser Land und all unsere Bürger diese Restriktionen verhängten. Einen Schaden in allem, was man schädigen kann. Einen Schaden für ihre Volkswirtschaften, ihren Instituten und ihren Regierenden. Einen Schaden dem Wohlergehen ihrer Bürger. Ihrer Zukunftsgewissheit. Dafür muss man auch weiterhin nach Schwachstellen ihrer Volkswirtschaften suchen und in allen Bereichen auf sie einschlagen. Es muss ein Schaden an allen Orten zugefügt werden, indem die Arbeit ihrer Unternehmen und staatlichen Einrichtungen gelähmt wird. Es müssen Probleme in ihren wichtigsten Technologien gefunden und gnadenlos Schläge in deren Hinsicht geführt werden. Es müssen buchstäblich ihre Energiewirtschaft, die Industrie, das Transportwesen sowie die Bank- und sozialen Leistungen vernichtet werden. Es muss eine Angst über einen unweigerlichen Kollaps der gesamten kritischen Infrastruktur geschürt werden.

Sie haben vor einer Übergabe unserer Waffen an die Gegner der westlichen Welt Angst. Man muss ihnen alle möglichen Arten von Waffen übergeben, mit Ausnahme nuklearer (vorerst9! Sie fürchten Anarchie und eine Explosion der Kriminalität in den Großstädten. Man muss bei der Desorganisation ihrer kommunalen Behörden helfen!

Haben sie Angst vor einem Krieg im Kosmos? Ergo werden sie ihn auch bekommen. Mag bei ihnen alles zum Stillstand kommen, alles kaputtgehen. Alles wird in die Brüche gehen!

Sie fürchten soziale Explosionen? Lassen Sie uns die organisieren? Man muss in ihren Medienbereich die schlimmsten nächtlichen Ängste einbringen, all ihre schrecklichen Phantomschmerzen ausnutzen. Man darf nicht mehr ihre Psyche verschonen! Mögen sie in ihren gemütlichen Häusern schaudern, mögen sie unter den Decken zittern.

Sie schreien über eine Ausnutzung von Fake-News durch uns? Lassen Sie uns ihr Leben in einen durchgängig wahnsinnigen Albtraum verwandeln, in dem sie eine wilde Erfindung nicht von den Realitäten des Tages, das infernale Böse von der Routine des Lebens unterscheiden können.

Und es wird keinerlei Regeln hinsichtlich des Feindes geben! Mögen sie alles für den Schaden Russlands und so schmerzhaft wie möglich erhalten. Jeder kann seinen Beitrag leisten!

Erinnern Sie sich: Quid pro quo! Tit for tat!

Bruch um Bruch, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Schaden, den er einem Menschen zugefügt hat, soll ihm zugefügt werden (Levitikus, 24:20).“