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Drakonische Gesetze – nicht nur für Russlands Opposition


Die Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) beschleunigt die Arbeit an Initiativen in Bezug auf sogenannte drakonische Gesetze. Unter den Entwürfen, die unbedingt bis zur Sommerpause der russischen „Volksvertreter“ angenommen werden sollen, sind sowohl jene, die aus den Schubladen wiederhervorgeholt wurden, als auch neue vom Typ des Kodexes über sogenannte ausländische Agenten. Die Hauptneuerung ist das Gesetz über den strafrechtlichen Schutz der nationalen Interessen der Russischen Föderation, in dem es schon nicht so sehr um politische Nichteinverstandene als vielmehr um illoyale Bürger, Beamte und Geschäftsleute gehen wird. Das heißt: Die Kampagne gegen die „Volksfeinde“ entwickelt sich in den traditionellen Bahnen.

Beispielsweise hatte der Vorschlag, in der Gesetzgebung die Entscheidung über die Schaffung eines einheitlichen Extremisten-Registers zu fixieren, damit klar ist, wen man erst gar nicht zu den Wahlen zulassen sollte, über ein Jahr lang in der Staatsduma gelegen.

Vorgesehen war, dass dies eines der Instrumente für eine punktuelle Bekämpfung der Nawalny-Anhänger sein wird. Später wurden aber flächenmäßig geführte Schläge als effektivere angesehen. Nun ist die Gesetzesvorlage für eine zweite Lesung vorbereitet worden. Die wichtigste Neuerung ist ein Verweis auf die automatische Weiterleitung von Gerichtsentscheidungen zu jeglichen extremistischen Materialien an das Justizministerium. Das Ministerium soll beauftragt werden, eine entsprechende Datenbank, zu der nur die Staatsorgane einen Zugang haben werden, und ein Verbotsregister zu führen. Es geht um „Personen, die an der Tätigkeit einer extremistischen oder terroristischen Organisation beteiligt sind“.

Es sei daran erinnert, dass entsprechend den Gesetzesänderungen aus dem Vorjahr, die vor den Wahlen zur Staatsduma verabschiedet wurden, sich in der Liste der Bürger mit einem eingeschränkten Wahlrecht jeder beliebiger wiederfinden kann. Das Gesetz legt den Begriff über eine Mitgliedschaft in verbotenen Strukturen weit aus – bis hin zur Tatsache einer vertraglich vereinbarten oder zufälligen Zusammenarbeit mit ihnen. Unter dieses Gesetz kann man auch Taxi-Fahrer stellen. Jedoch gibt es auch eine spezielle Klausel über andere Personen, in deren Hinsicht man doch eine Entscheidung eines Gerichts erhalten muss. Es sei betont, dass die Bestimmung über das einheitliche Extremisten-Register sofort in Kraft treten soll, das heißt bereits im Juli.

Bei der Dienstag-Sitzung hat sich die Staatsduma auch mit der Behandlung eines gewissen Kodexes über ausländische Agenten in zweiter Lesung befasst. Gemeint ist das Gesetz über die Kontrolle der Tätigkeit der Personen, die sich unter ausländischem Einfluss befinden. Sein Wesen besteht in der Zusammenfassung aller Kategorien von sogenannten ausländischen Agenten in einem einheitlichen Register des Justizministeriums sowie in der Unifizierung der verschiedenartigen Verbote und Einschränkungen. Da gibt es unter anderem den Punkt, durch den der Begriff „natürliche Personen, die mit ausländischen Agenten affiliiert sind“ eingeführt wird. Sie werden in dem gleichen Register wie auch ihre „Herrn“ ausgewiesen. Für diese gibt es jedoch ein „Trostpflaster“. Für sie werden keine Forderungen und Restriktionen eingeführt. Das heißt, sie werden mit dem Etikett einer Illoyalität gelabelt, von dem man sich befreien kann, aber nur über einen gewissen Eid hinsichtlich einer Ergebenheit gegenüber den Herrschenden. Und zwar nach Überprüfungen in Bezug auf einen Verlust der Verbindung mit offensichtlichen „Volksfeinden“.

Es ist klar, dass die umfangreichen Register von Extremisten und ausländischen Agenten ein Signal für eine großangelegte Kampagne gegen Feinde unterschiedlicher Art sind. Augenscheinlich macht es keinen Sinn zu erinnern, dass in der russischen Tradition derartige Maßnahmen eine eigene Trägheit erlangen. Darunter, weil der politische Kurs auf eine interne Verschärfung bzw. Verfolgung sofort durch alltägliche Situationen ergänzt wird, denen entsprechend auch die Hauptmasse an Denunziationen erfolgt. Und die Rechtsschützer nehmen sie (oft gern) entgegen, da man von oben eine Erhöhung der gemeldeten Ergebnisse verlangt. Und scheinbar muss nicht präzisiert werden, dass entsprechend dem Gesetz der großen Zahlen der Wirbel sowohl die Denunzianten als auch die Ausführenden und danach auch die Organisatoren und Propagandisten solcher Kampagnen erfasst.

In dieser Hinsicht ist die neueste Initiative, die von der Staatsduma behandelt wird, ein Klondike. Es geht um die angebliche Vervollkommnung des strafrechtlichen Schutzes der nationalen Interessen der Russischen Föderation sowie der Bürgerrechte und -freiheiten vor neuen Formen einer kriminellen Tätigkeit und den Gefahren für die Staatssicherheit. Dies sind vor allem Änderungen am Strafgesetzbuch und der Strafprozessordnung zwecks Verstärkung der Strafen für Landesverrat sowie verräterische oder schädigende Handlungen. Am 27. Juni behandelte der Staatsduma-Ausschuss für Gesetzgebung eine Gruppe neuer Gesetzesänderungen, die endgültig demonstrierten, dass nach den Oppositionellen und ihren Anhängern jetzt bereits ein einfach unbestimmter Kreis von Bürgern, Beamten und Geschäftsleuten an der Reihe ist, die plattgemacht werden sollen. Beispielsweise wird eine strafrechtliche Verantwortung für eine ungenehmigte Reise ins Ausland durch diejenigen, die mit Staats- und Dienstgeheimnissen zu tun haben und hatten, eingeführt. Das führt mindestens zu einem Freiheitsentzug von drei Jahren. Das maximale Strafmaß in solch einem Fall soll sieben Jahre Haft betragen. Bestrafen will man gleichfalls ungehorsame Vertreter des IT-Sektors, die bei sich keine technischen Mittel zwecks Kontrolle des Internets installieren wollen. Neben großen Geldstrafen sollen ihnen bis zu drei Jahre Haft drohen.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Bei der Auswahl und Vorbereitung des Beitrags von Ivan Rodin fiel uns eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur INTERFAX mit der Überschrift „Im Kreml hat man nicht vor, ein Moratorium für die Gesetzgebung, die die Opposition betrifft, zu verkünden“ in die Hände. In dieser Meldung wurde Kremlsprecher Dmitrij Peskow mit den folgenden Worten zitiert: „Die Stabilität stört sicherlich jener Teil der Opposition, die keine Gesetze braucht, die die Situation provoziert. Ein Provozieren der Situation und ein Überschreiten der Rahmen des Gesetzes, ja, sie stören die Entwicklung“. So antwortete er auf die Frage, ob es denn nicht zweckmäßig sei, in Russland ein Moratorium für die Annahme neuer Gesetze bezüglich der Entwicklung des politischen Systems zu verkünden, wie dies in anderen Bereichen getan werde. Peskow betonte, dass dies damit zusammenhänge, dass die Gesellschaft nicht auf der Stelle stehe, sich das Land entwickele und mit neuen Herausforderungen konfrontiert werde. Beim genaueren Hinsehen stellte sich heraus, dass Putins Pressesekretär dies vor einem Jahr, am Rande des Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums erklärt hatte. Am 4. Juni 2021. Und nach fast dreizehn Monaten kann konstatiert werden: Es hat sich nichts geändert. Russlands Herrschende machen keinen Halt vor denjenigen Mitbürgern, die andere Meinungen als die offizielle haben. Vor allem jetzt, vor dem Hintergrund der sogenannten militärischen Sonderoperation in der Ukraine, die am 24. Februar von Präsident Wladimir Putin befohlen wurde. Vor inzwischen 125 Tagen.