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Dschaparow rät man, die Ambitionen zu zügeln


Die Zentrale Wahlkommission Kirgisiens hat 15 Agitationsgruppen für das anstehende Verfassungsreferendum registriert, das am 11. April stattfinden soll. Am geltenden Grundgesetz sollen über 80 Änderungen vorgenommen werden. In einem Gutachten der Venedig-Kommission wird betont, dass den Bürgern des Landes ein Dokument vorgeschlagen werde, das auf die Schaffung einer strengen Machtvertikale abziele. Nach Meinung der Experten könne die Annahme des Entwurfs in solch einer Form zu einer politischen Krise führen. Die Ergebnisse des Referendums werden nicht später als am 2. Mai verkündet.

Von den 15 registrierten Agitationsgruppen treten zwölf für die Annahme des neuen Grundgesetzes ein, drei sind dagegen. Die Opponenten sind der Auffassung, dass der Entwurf ein roher sei und man ihn nicht annehmen dürfe. Die Venedig-Kommission des Europarates, an die sich das Institut des Ombudsmannes im Namen Kirgisiens mit der Bitte, den Verfassungsentwurf zu bewerten, gewandt hatte, bestätigte alle Befürchtungen und Verstöße, über die die Juristen- und Experten-Community und die Zivilgesellschaft Kirgisiens ständig gesprochen hatten.

Im Gutachten der Venedig-Kommission wird darauf verwiesen, dass die Bestimmungen des Entwurfs des neuen Grundgesetzes das notwendige Gleichgewicht der Machtzweige gefährden würden. Mehrere seiner Normen würden eine Bedrohung für den Schutz der persönlichen Freiheiten in sich bergen, die wesentliche Bedeutung für die Demokratie und die Hoheit des Rechtes haben.

Als Empfehlungen hat die Venedig-Kommission vorgeschlagen, die Vollmachten des Präsidenten zu revidieren und die Notwendigkeit der Schaffung solch eines Instrumentes wie die Volkskurultai, deren Funktionen im Gesetz nicht festgeschrieben worden sind, zu überprüfen, aber auch dem Parlament mehr Vollmachten einzuräumen sowie die Funktionen des Generalstaatsanwaltes und die Teile der Bestimmungen hinsichtlich des Gerichtssystems zu präzisieren.

Juristen der öffentlichen Stiftung „Rechtsklinik „Adilet““ unterstreichen: Der Entwurf des Grundgesetzes sehe eine Verstärkung der alleinigen Macht des Präsidenten vor. Nivelliert werde das System der Zügel und Gegengewichte, das das zentrale Element des Prinzips der Gewaltenteilung im Staat ist.

Die Juristen betonen, dass der Präsident, dem bevorstehe, die exekutive Gewalt zu leiten, alle Institute inkl. das Rechtssystem beeinflussen werde. Dabei seien aber die Mechanismen für die Verantwortlichkeit nicht festgeschrieben worden. Drastisch würden sich die Möglichkeiten für eine Gewährleistung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Judikativen verringern, was sich unweigerlich auf die Unvoreingenommenheit der Rechtsprechung auswirken werde.

Dr. sc. jur. Sania Toktogasijewa ist der Meinung, dass es nicht lohne, sich mit der Annahme der neuen Verfassung zu beeilen. „Die neue Fassung des Grundgesetzes ist eine rohe geworden. Es bestehen Widersprüche zwischen Artikeln. Ein großer Teil der Vollmachten sind an den Präsidenten übergeben worden. Wir nehmen keine Änderungen an Gesetzen vor, wir verabschieden eine neue Verfassung. Dabei hat man sie in nur ganzen zwei Monaten verfasst. Wenn wir den Empfehlungen der Venedig-Kommission nicht zustimmen, wird das Ansehen von Kirgisistan in der internationalen Arena erschüttert. Im Ergebnis dessen kann sich dies auf das Investitionsklima im Land auswirken“, nimmt Toktogasijewa an.

Ihren Worten zufolge könne Präsident Sadyr Dschaparow wie zu Zeiten von Askar Akajew und Kurmanbek Bakijew erneut zusammenrufen und ein Referendum anberaumen. „Wir wissen, dass Akajew unter Ausnutzung dieses Rechts die Verfassung viermal änderte. Bakijew hat das gleiche getan. Man hat dieses Recht extra den Präsidenten genommen, aber es kommt zurück. Der Präsident bringt Gesetzentwürfe in das Parlament (Dschogorku Kengesch) ein, bestimmt die Regierungsstruktur. Das Wichtigste ist, die Vorsitzenden des Verfassungs- und des Obersten Gerichts, die Leiter der Nationalbank, des Rechnungshofes, den Generalstaatsanwalt und die Hälfte der Zentralen Wahlkommission zu ernennen. Dabei ist das Impeachment-Verfahren komplizierter geworden. Bei uns ist in der ganzen Geschichte nicht ein Präsident solch einer Prozedur ausgesetzt worden. Und jetzt wird dies umso mehr unmöglich werden“, betonte Toktogasijewa. Ihren Worten zufolge müsse man, um dem Präsidenten ein Impeachment zu erklären, ein Gutachten nicht nur der Generalstaatsanwaltschaft, sondern auch des Verfassungsgerichts erhalten. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Generalstaatsanwalt und der Vorsitzende des Verfassungsgerichts durch den Präsidenten ernannt werden. Daher werde das Prozedere für ein Impeachment wohl kaum realisierbar sein können.

Nicht zufällig bezeichnete man im Volk die neue Verfassung Khan-Verfassung. In Bischkek findet sonntags der Marsch „Für die Gesetzlichkeit!“ gegen die Änderungen des Grundgesetzes und die Abhaltung des Referendums statt. Die Organisatoren erklären, dass die Vollmachten des Parlaments der früheren, der sechsten Legislaturperiode mit groben Verstößen um ein ganzes Jahr verlängert wurden. Durch das Verschulden dieser Abgeordneten ereignete sich auch der Oktober-Umsturz. Durch einen ungesetzlichen Erlass wurde die Verfassungsberatung gebildet, der Anhänger des jetzigen Präsidenten Sadyr Dschaparow angehörten. Das Gesetz über die Anberaumung des Referendums haben die Abgeordneten gleichfalls mit Verstößen verabschiedet. Und dies bedeutet: Die Gültigkeit des neuen Grundgesetzes kann in der Zukunft als nichtlegitim anerkannt werden. Kirgisische Juristen und Experten sind der Auffassung, dass es richtig gewesen wäre, zuerst Parlamentswahlen abzuhalten und danach den neuen Entwurf der Verfassung anzunehmen. Doch die Parlamentswahlen hat man auf den Herbst dieses Jahres verschoben.

Derweil erklärte Sadyr Dschaparow in einem Interview von Radio Asattyk (der kirgisische Dienst von Radio Liberty), dass das Parlament und die Verfassungsberatung die Verantwortung für die Verfassungsreform tragen würden. Das Staatsoberhaupt, auf dessen Anordnung hin die Reform initiiert worden war, hat de facto die Verantwortung für deren Scheitern von sich genommen.

Allerdings halten die Experten für wenig wahrscheinlich, dass die Bürger ein weiteres Mal die neue Variante der Verfassung nicht billigen werden. „Dem Kernelektorat von Dschaparow ist der Atem noch nicht ausgegangen, es ist konsolidiert. Überdies ist das Team von Dschaparow nicht auseinandergefallen, obgleich viele gesagt hatten, dass alles dazu kommen werde. In dieser Hinsicht wird es keinerlei Probleme geben werden. Wahrscheinlich werden die Zahlen denen ähnlich sein, die es im Verlauf der Abstimmung bei den Präsidentschaftswahlen und zur Initiierung des Referendums am 10. Januar 2021 gegeben hat – über 70 Prozent. Aber man darf die Abhaltung des Verfassungsreferendums nicht hinausschieben, denn das Kernelektorat von Dschaparow wird mit jedem Monat schwächer, und die Gegner der gegenwärtigen Herrschenden können sich konsolidieren, ein Krieg von kompromittierenden Materialien beginnen und den Versuch unternehmen, die Situation in den Regionen zum Schlingern zu bringen. Und solange dies nicht der Fall ist, muss man das Referendum schneller abhalten“, sagte der „NG“ Andrej Grosin, Leiter der Abteilung für Mittelasien und Kasachstan des Instituts der GUS-Länder.

Außerdem betonte der Experte, dass Dschaparow vorerst noch die Unterstützung Moskaus habe. „Russland hat im Verlauf des Besuchs von Dschaparow zu verstehen gegeben, dass es die Versuche des Übergangs von Kirgisien von einer gemischten Präsidial- und parlamentarischen Herrschaftsform zu einer präsidialen unterstützt. Daher verweist nichts darauf, dass das Referendum scheitern kann. Es gibt in der Republik derzeit keine Figuren, die den Widerstand gegen das Referendum anführen könnten“, meint Grosin. Eine andere Sache sei nach Meinung des Experten, dass die Offiziellen versuchen werden, die Beteiligung zu pushen.