Kirgisiens Präsident Sadyr Dschaparow hat die Bevölkerung des Landes vor einer strafrechtlichen Verantwortung für den Kauf bzw. Verkauf von Stimmen bei den bevorstehenden Parlamentswahlen, die am 28. November stattfinden, gewarnt. Die Warnung erfolgte, nachdem in der Zentralen Wahlkommission Klagen über zahlreiche Verstöße im Verlauf der begonnenen Wahlkampagne eingegangen waren.
Kirgisiens Parlament wird entsprechend einem neuen Mehrheits- und Verhältniswahlsystem gewählt. 54 Sitze der gesetzgebenden Versammlung der siebten Legislaturperiode werden über Parteilisten vergeben, 36 sind Direktwahlmandate. Um die 90 Abgeordnetenmandate bewerben sich über eintausend Menschen. Nach Einschätzungen von Experten werden in das oberste gesetzgebende Organ wahrscheinlich vier bis fünf Parteien einziehen, wobei eine 3-Prozent-Hürde zu nehmen ist.
Wie der Kirgisien-Experte Asilbek Egenmberdijew gegenüber der „NG“ sagte, hätten die regierungstreuen Parteien „Ata-Schurt Kyrgystan“ („Vaterland Kirgisien“) und „Yntymak“ („Solidarität“) die besten Positionen. Einige weitere positionieren sich gleichfalls als machttreue, wobei sie die Hoffnung hegen, ins Parlament zu gelangen. Allerdings haben selbst äußerst oppositionelle gleichfalls Chancen – „Butun Kyrgystan“ und „Ata.Meken“, aber auch die interessante zentristische Partei „Uluttar Birimdigi“ („Nationale Einheit“). Weitaus weniger voraussagbar ist der Kampf um die Direktwahlmandate. Unter den 312 Kandidaten für die 36 ausgeschriebenen Parlamentssitze sind Abgeordnete des derzeitigen Parlaments, Ex-Staatsbeamte, Oligarchen, Vertreter des gesellschaftlichen Lebens, Journalisten, Menschenrechtler, Sportler, ehemaliger Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane, aber auch der Oppositionspolitiker Rawschan Dscheenbekow, gegen den ein Untersuchungsverfahren zum Fall „Koi-Tasch-Ereignisse“ (Sturm auf die Residenz von Ex-Präsident Almasbek Atambajew im August 2019) läuft. Obwohl er in U-Haft ist, hat er es geschafft, sich als Kandidat registrieren zu lassen. Doch gelingt es nicht, einen Wahlkampf zu gleichen Bedingungen gemäß Gesetzgebung zu führen.
Ungeachtet dessen, dass das neue Parlament bei der Leitung des Staates in Vielem eine formale Rolle spielen wird, ist man bestrebt, mit jeglichen Mitteln ein ersehntes Mandat zu erhalten. Das am meisten verbreitete ist eine karitative Tätigkeit. Unter anderem schenkt man den Wählern Geld, Lebensmittel, Pferde oder Benzin, verspricht Wohnungen und Autos. Derartige Handlungen während des Wahlkampfs – ab dem Tag der Bekanntgabe des Wahltages bis zur offiziellen Verkündung der Ergebnisse – werden als Wählerbestechung gewertet. Laut Angaben der Zentralen Wahlkommission sind bereits über 60 Fälle von Verstößen gegen die Wahlgesetzgebung fixiert worden. Etwa genau so viele Fälle sind durch das Innenministerium registriert worden. Hinsichtlich aller Zwischenfälle werden Untersuchungen durchgeführt. Und bei Vorliegen von Beweisen wird der jeweilige Kandidat nicht nur aus dem Rennen genommen, sondern auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
Davor hat auch Präsident Sadyr Dschaparow gewarnt. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er: „Bei Feststellung solcher Fakten drohen ihnen anderthalb bis zweieinhalb Jahre Freiheitsentzug. Im Strafgesetzbuch gibt es solch einen Paragrafen. Folglich dürfen die Wähler ihre Stimmen nicht verkaufen. Die Kandidaten dürfen sich nicht mit Bestechung befassen. Wenn solche Tatsachen festgestellt werden, Rechtsschutzorgane, ergreifen sie harte entschlossene Maßnahmen! Von nun an implementieren wir die Tradition ehrlicher Wahlen in Kyrgystan. Mögen die vergangenen Wahlen lediglich Geschichte bleiben“. Nach seinen Worten „besteht das Problem des Landes nicht darin, dass es die Armen nicht ernähren kann, sondern darin, dass die Reichen in keiner Weise satt werden können“.
Der Präsident selbst hat sich scheinbar von den Parlamentswahlen distanziert und schickt sich nicht an, irgendeiner der politischen Parteien den Segen zu erteilen. Kirgisische Medien meldeten jedoch, dass hinter der Partei „El Umutu“ („Hoffnung des Volkes“) angeblich die Gattin des Staatsoberhauptes Aigul Dschaparowa stehe. Und der Parlamentsabgeordnete Dastan Bekeschew erklärte, dass diese Partei der Sohn von Sadyr Dschaparow, Rustam, bewerbe. Der Pressedienst des Präsidenten dementierte diese Informationen. Aber kirgisischen Medien ist es gelungen, in den Listen der Partei dem Staatsoberhaupt nahestehende Personen ausfindig zu machen.
Nach Meinung des Politologen Denis Berdakow bringe die letzte Woche vor den Wahlen viel Erstaunliches, denn ihre „Probe“ erfolgte im Frühjahr und Sommer dieses Jahres im Verlauf der Wahlkampagne für die Kommunalwahlen. Damals waren viele Kandidaten und Parteien für die Stadt-Keneschs (die Räte der Volksabgeordneten – „NG“) aus dem Rennen genommen worden. Und einige Wahlergebnisse sind annulliert worden. Viele Kandidaten bereiten Geld vor, fürchten sich aber, dies zu verwenden. Jetzt kann man sie dafür auch einsperren. Berdakow schließt nicht aus, dass bekannte Politiker und Führungskräfte entsprechend den Abstimmungsergebnissen leer ausgehen könnten. Derzeit erfolge die Vorbereitung auf einen „Krieg der kompromittierenden Materialien“.
In Bischkek ist die Rede davon, dass sich eine Gruppe von Kandidaten mit geringen Erfolgschancen auf die Durchführung von Protestaktionen vorbereite. Informierte Quellen behaupten, dass die vom US State Department finanzierte Stiftung „Gemeinsame Sache“ schon die öffentliche Meinung auf Massenproteste vorbereite, indem sie von der Feststellung „von Voraussetzungen für ernsthafte Verstöße bei der Abstimmung“ spreche. Die Rede ist gleichfalls von einem begonnenen Wählerstimmen-Erwerb und von Verstößen gegen die Agitationsregeln. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die erfolglosen Kandidaten versuchen werden, durch aktive Handlungen auf der Straße die Herrschenden zu nötigen, sich mit ihnen auf einen Deal einzulassen.
„Die Wahlen zum Parlament Kirgisiens haben eine prinzipielle Bedeutung für die Zukunft des Landes. Die heutigen Herrschenden rutschen mehr und mehr in Richtung eines autoritären Führungsstils. Die Versprechen, keine Verwandten in Staatsämter zu bringen, hat Sadyr Dschaparow nicht gehalten. Die Beziehungen mit dem benachbarten Tadschikistan bleiben angespannte. In der internationalen Arena gibt es einen Drive in Richtung Türkei. Wenn irgendetwas bei den Wahlen nicht so laufen wird, wird dies zu erneuter Instabilität in der Republik führen. Zur gleichen Zeit lassen die Androhungen, die die Herrschenden gegenüber der Bevölkerung und den politischen Kräften vorbringen, keinen Optimismus aufkommen. Das Wichtigste ist, dass diese Politik nicht gegen die politischen Kräfte gerichtet ist, die am Wahlprozess teilnehmen“, sagte der „NG“ Alexander Kobrinskij, Direktor der Agentur für ethno-nationale Strategien.