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Durch die gegen Weißrussland gerichteten Sanktionen wird Russland leiden


Russland werde durch die sektoralen Sanktionen der Europäischen Union gegen das Lukaschenko-Regime stark leiden, gestehen europäische Politiker ein. Im Fall eines europäischen Boykotts könne Weißrussland bis zu 30 Prozent der Exporteinnahmen verlieren, die bis zur Pandemie 32 Milliarden Dollar überstiegen. Die größten Verluste drohen Minsk im Falle eines Verbots des Exports für weißrussische Düngemittel über europäische Häfen. Die Gewährung neuer russischer Kredite für Lukaschenko wird dadurch erschwert, dass diese Anleihen im Falle juristischer Streitigkeiten über deren Legitimität nicht zurückgezahlt werden.

Die neuen Sanktionen gegen Weißrussland werden Russland treffen, erklären Offizielle Litauens. „Die sekundäre Wirkung der Sanktionen besteht darin, dass die Verluste des weißrussischen Regimes refinanziert werden müssen. Und dies kann nur Russland tun. Somit wälzen die EU und Litauen, indem sie die Sanktionen verhängen, einen Teil von ihnen auf Russland ab, dass Belarus beeinflussen kann“, erklärte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis. Nach seinen Worten würden die EU-Sanktionen für den Sektor der weißrussischen Düngemittel etappenweise verhängt werden. Der litauische Staatsbeamte behauptet, dass das Sanktionspaket ein maximal allumfassendes sein solle. Das Paket der Sanktionen erfasst sieben Wirtschaftssektoren, darunter den Handel mit weißrussischen Düngemitteln. Die Sanktionen für Weißrussland bestätigten am Montag die Außenminister der EU-Länder. Und endgültig sollen sie am Donnerstag gebilligt werden, wenn der EU-Gipfel stattfindet.

Die EU hat die Vorbereitung sektoraler Sanktionen für Weißrussland nach dem Zwischenfall mit der erzwungenen Landung eines Flugzeugs der irischen Fluggesellschaft Ryanair am 23. Mai in der weißrussischen Hauptstadt und der Festnahme des weißrussischen Oppositionellen Roman Protasewitsch angekündigt.

Einer der weltweit größten Produzenten von Düngemitteln – „Belaruskali“ – exportiert seine Produkte über den Hafen von Klaipeda in Litauen. „Bis zur (Corona-) Pandemie belief sich der Erlös von „Belaruskali“ auf rund zwei Milliarden Dollar. Dabei gehen rund 90 Prozent dessen Erzeugnisse über Klaipeda. Operativ diese (Export-) Route mit Hilfe russischer Häfen und der Bahn zu ersetzen, wird praktisch unmöglich sein“, erläutert der weißrussische Politologe Dmitrij Bolkunez. Er ruft auf, die endgültige Entscheidung bezüglich der Sanktionsbedingungen abzuwarten. Vorerst seien nach seinen Worten 20 bis 30 Prozent des weißrussischen Exports gefährdet. Bis zum Beginn der Pandemie habe der Gesamtexport Weißrusslands 32 Milliarden Dollar ausgemacht. Somit riskiere das Lukaschenko-Regime, bis zu zehn Milliarden Dollar allein durch die europäischen Sanktionen zu verlieren.

Die Gefahr einer Abwertung des weißrussischen Rubels könne in einer Perspektive von fünf bis neun Monaten zu einer realen werden. „Russland ist nicht an einem Zusammenbruch der weißrussischen Wirtschaft interessiert. Eine direkte finanzielle Hilfe wird jedoch durch juristische Schwierigkeiten erschwert, die mit der Legitimität des Regimes zusammenhängen. Laut meinen Angaben kann das russische Finanzministerium darauf verzichten, neue weißrussische Eurobonds zu erwerben“, sagt Bolkunez.

China oder arabische Länder sind bisher auch nicht bereit, das Risiko einzugehen, in die weißrussische Wirtschaft zu investieren. Denn derartige Kredite für das Lukaschenko-Regime können angefochten und nicht zurückgezahlt werden. Die russischen Offiziellen besitzen bereits traurige Erfahrungen aus der Vergabe von Krediten an instabile Regimes. Die im Jahr 2013 bereitgestellten drei Milliarden Dollar für den damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sind nicht an den russischen Haushalt zurückgezahlt worden. Das Finanzministerium Russlands setzt den langjährigen Streit um diesen Kredit vor einem Londoner Gericht fort. An die Realität einer Rückzahlung dieser Gelder glaubt man jedoch scheinbar selbst im Ressortministerium von Anton Siluanow nicht.

„Belaruskali“ kann einen Export von Kalidüngemitteln über die Häfen Ust-Luga und Sankt Petersburg im Fall der Verhängung sektoraler Sanktionen der EU gegen weißrussisches Kaliumchlorid beginnen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass „Belaruskali“ und „Uralkali“ in der Zukunft zu einem Unternehmen fusionieren können, meint der Unternehmer Igor Udowizkij. Er ist der Haupteigner des Terminals Biriu kroviniu terminalas in Klaipeda (BKT spezialisierte sich auf das Umschlagen weißrussischer Düngemittel, und „Belaruskali“ besitzt einen Minderheitsanteil an dem Terminal).

Der Umfang des Exports von weißrussischem Kalichlorid über den litauischen Hafen Klaipeda beträgt zehn bis elf Millionen Tonnen im Jahr. Die russische Hafen- und Bahninfrastruktur könne jedoch den Transport von weniger als der Hälfte dieser Menge gewährleisten, meint Bolkunez.

Die mögliche Verhängung sektoraler Sanktionen durch die Europäische Union in Bezug auf weißrussische Kalidüngemittel werde zu einem Mangel an Kaliumchlorid auf dem globalen Markt und zu einer Zunahme der internationalen Preise für Lebensmittel führen, erklärte man im „Weißrussischen Kali-Unternehmen“ (BKK, Trader von „Belaruskali“). Im BKK behauptet man, dass „die künstliche Schaffung eines drastischen Kali-Mangels auf dem Markt die Grundlagen der internationalen Lebensmittelsicherheit untergraben, garantier den Entwicklungsprozess der weltweiten Landwirtschaft untergraben und Milliarden von einfachen Menschen in der ganzen Welt einen ernsthaften Schaden zufügen wird“.

Laut Angaben des weißrussischen Statistikamtes Belstat überstieg der Export von Kali-Düngemitteln aus Weißrussland im Zeitraum Januar-April 2021 wertmäßig 834 Millionen Dollar, was um 18 Prozent mehr war als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die wichtigsten Märkte für weißrussische Düngemittel sind Brasilien, China, die USA und Indien. Im vergangenen Jahr belief sich der Export von Kalidünger aus Weißrussland auf über 2,4 Milliarden Dollar.

Die Reaktion Lukaschenkos auf die schmerzhaften europäischen Sanktionen kann die unvorhersehbarste sein. Offizielle der BRD räumten die Gefahr einer Unterbrechung des Öl- und Gas-Transits nach Europa über das Territorium von Weißrussland ein (siehe „NG“ vom 27. Mai 2021). Wladimir Jewsjejew aus dem russischen Institut für die Länder der GUS ist jedoch der Ansicht, dass Moskau Lukaschenko davon überzeugen könne, den Transit russischer Energieressourcen nach Europa nicht zu behindern.