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Ein Abbruch des „Getreide-Deals“ wird eine Blockierung der ukrainischen Häfen erfordern


Die Geschichte um die Verlängerung einer Beteiligung Russlands an der Getreide-„Schwarzmeer-Initiative“ („Getreide-Deal“ – Anmerkung der Redaktion) zeigt, dass Moskau zu keiner Zuspitzung des Konflikts um die ukrainischen Schwarzmeerhäfen bereit ist. Um aus dem „Getreide-Deal“ ohne einen Gesichtsverlust auszusteigen, wird die Russische Föderation die Bewegung der entsprechenden Frachter behindern. Doch technische Möglichkeiten dafür sind beinahe nicht mehr geblieben.

Überdies beschwört eine Blockierung der Schifffahrt ein Auftauchen von Schiffen der US Navy im Schwarzen Meer herauf. Solch eine Perspektive wird die russischen Beamten wahrscheinlich veranlassen, einer erneuten Verlängerung des Getreide-Deals mit Versuchen, die Bedingungen für einen Export von Getreide und Düngemitteln aus Russland zu erleichtern, zuzustimmen. Der neue Plan der UNO sieht eine Einbeziehung türkischer Banken in die Zahlungen für den russischen Export vor.

Aber das letzte Wort hinsichtlich einer Anwendung sekundärer Sanktionen gegen diese Banken hat Washington. UN-Generalsekretär António Guterres hatte den neuen Plan für Handlungen zur Realisierung der „Schwarzmeer-Initiative“ unterbreitet. Ein entsprechendes Schreiben des Generalsekretärs der Vereinten Nationen mit Vorschlägen zur Verlängerung des Getreide-Deals war an Moskau, Kiew und Ankara übergeben worden.

Mitte März hatte Moskau bekanntlich die Verlängerung des Getreide-Deals nicht um 120, sondern nur um 60 Tage bei einem offenkundigen Unmut Kiews und einer neutralen Reaktion der übrigen Beteiligten – der UNO und der Türkei – bekanntgegeben. Dank den Erklärungen über eine Reduzierung der Geltungsdauer des Getreide-Deals war es den russischen Offiziellen gelungen, den Anschein ihres Einflusses auf das Geschehen zu erwecken. Tatsächlich aber werden die wirksamen Hebel der Russischen Föderation für eine Absicherung ihrer Interessen in der Region des Schwarzen Meeres immer weniger, und zu Hauptinstrumenten werden die Diplomatie und spektakuläre verbale Androhungen.

Die Umstände würden sich bisher nicht zugunsten einer Verlängerung des Getreide-Deals gestalten, hatte Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des Präsidenten der Russischen Föderation, in der letzten April-Dekade erklärt. Die Bedingungen, die Russland betrafen, seien nicht realisiert worden, betonte er. Mehr noch, Kiew würde die russischen Sicherheitsgarantien für die Schifffahrt im Interesse von Attacken gegen Sewastopol ausnutzen. Unbemannte Schnellboote, die in der Nacht des 24. April den Stationierungsstandort der Schwarzmeerflotte in Sewastopol anzugreifen versuchten, hätte man aus der Region der Hafenstadt Odessa im Bereich des humanitären Korridors, der für den Export von Agrarerzeugnissen aus den Häfen der Ukraine genutzt wird, zum Einsatz gebracht, erklärte man im russischen Verteidigungsministerium. Die Beamten des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation monierten die Handlungen der ukrainischen Offiziellen: „Am 23. März und 24. April 2023 sind unter Verletzung der gewährten Garantien durch die Ukraine erneute Attacken gegen den Stationierungsort der Schwarzmeerflotte in der Stadt Sewastopol und die zivile Infrastruktur der Krim mittels unbemannter Schnellboote unternommen worden“.

Den Einsatz unbemannter Kamikaze-Schnellboote für ein Verdrängen der Russischen Föderation von der Krim (die seit 2014 offiziell Teil Russlands ist – Anmerkung der Redaktion) unterstützen jedoch offen US-amerikanische Militärstrategen. Die Ukraine könne die unbemannten Kamikaze-Schnellboote für die Neutralisierung eines größeren Teils der russischen Militärmacht auf der Krim ausnutzen. Diese neue Technologie könne Militärschiffe versenken und die Marine-Infrastruktur zerstören, schrieb auf der Internetseite der RAND Corporation William Courtney, früherer amerikanischer Botschafter in Kasachstan und Georgien und Vertreter der USA bei den amerikanisch-sowjetischen Nuklearverhandlungen. Folglich ist „die Verletzung der gegebenen Garantien durch die Ukraine“, über die sich das russische Verteidigungsminister beklagt, simpel eine Realisierung von amerikanischen Plänen zur Einnahme der Krim. Russische Militärbeamte erklären aber, dass „die terroristischen Aktionen des Kiewer Regimes eine erneute Verlängerung des Getreide-Deals nach dem 18. Mai 2023 gefährden“. Moskau könne den Getreide-Deal einstellen, wenn die G-7-Länder ein Verbot für den Export von Waren nach Russland abstimmen, drohte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitrij Medwedjew, an.

Die Türkei hat als entscheidender Organisator und Nutznießer aufgrund des Getreide-Deals mehrfach aufgerufen, ihn unter Verweis auf die potenzielle Gefahr einer Lebensmittelkrise zu verlängern. Mevlüt Çavuşoğlu, der Außenminister der Türkei, berichtete, dass die UNO türkischen Banken angeboten hätte, als Vermittler bei der Bezahlung der Lieferungen von Dünger und Getreide aus Russland aufzutreten. „UN-Generalsekretär António Guterres, mit dem ich in New York ein Treffen hatte, hat vorgeschlagen, dass türkische Banken als Vermittler bei der Bezahlung auftreten. Natürlich müssen wir Garantien dafür erhalten, dass unsere Banken bei diesen Operationen nicht unter Sanktionen geraten. Ich habe diese Möglichkeit mit Vertretern der USA und Großbritanniens erörtert“, unterstrich Mevlüt Çavuşoğlu. Nach seinen Worten müssten auch die Hindernisse bei einer Versicherung der Schiffe ausgeräumt werden, die Agrarerzeugnisse und Düngemittel aus Russland transportieren werden. „Die Getreidelieferungen sind für die ganze Welt wichtig. Wir arbeiten daran, den Forderungen Russlands gerecht zu werden. Wir haben unsere Anstrengungen aktiviert. Und wenn dies funktioniert, so wird das Abkommen verlängert werden. Es ist wichtig, dies im Mai zu tun. Andernfalls wird in der Welt eine Lebensmittelkrise beginnen, wie dies während der (COVID-) Pandemie war“, erläuterte der türkische Außenminister. Bemerkenswert ist, dass Dmitrij Peskow diese Argumentation mit Verweisen auf die Gefahr einer Lebensmittelkrise faktisch zurückweist.

Der Wegfall ukrainischen und russischen Getreides auf dem Markt werde zu keiner Ursache für eine mögliche weltweite Lebensmittelkrise werden, erklärte Ende April der Pressesekretär des russischen Staatsoberhauptes. „Wir wissen, dass die Genesis einer weltweiten Lebensmittelkrise andere Wurzeln hat und keine direkte Folge eines Verschwindens ukrainischen Getreides vom Markt ist. Zweifellos kann ein Verschwinden ukrainischen Getreides und russischen Getreides vom Markt einer der Faktoren sein, aber nicht der entscheidende. Die Genesis der Krise ist eine andere. Und dies hat die russische Seite mehrfach erläutert“, betonte Peskow.

„Für uns hat dieser Getreide-Deal nichts Gutes gebracht. Zugesagt wurde eine Antwortbewegung. Dies ist aber nicht eingetreten. Es ist zu keinerlei Erleichterung hinsichtlich unserer Probleme bei der Ausfuhr und den Lieferungen für den internationalen Markt gekommen. Wir haben Probleme mehr als genug, die die Kosten für die Versicherung der Schiffe und die Ausfertigung von Versicherungspolicen betreffen. Es gibt Probleme mit den Zahlungen – Barrieren, lange Zeiträume. Ich rede schon nicht von den Lieferungen russischer Düngemittel“, berichtete Arkadij Slotschewskij, Chef des Getreideverbands Russlands.

Post Scriptum

Intensiv laufen derzeit die Verhandlungen im Interesse des Getreide-Deals. Am 5. Mai war dazu auch UNCTAD-Generalsekretärin Rebeca Grynspan in Moskau gewesen. Derweil meldete am Mittwoch die türkische Zeitung „Daily Sabah“, dass es um eine mögliche Verlängerung von erneut zwei Monaten gehe. Dabei berief sich das Blatt auf den türkischen Außenamtschef Mevlüt Çavuşoğlu. Rund um die scheinbar schwer verlaufenden Gespräche wurden auch einige interessante Zahlen veröffentlicht. Das Gemeinsame Koordinierungszentrum für den Getreide-Deal berichtete beispielsweise, dass die Ukraine fast 30 Millionen Tonnen Lebensmittel im Rahmen der „Schwarzmeer-Initiative“ exportieren konnte. Aber nur mehr als 595.000 Tonnen gelangten mit Unterstützung des Weltweiten Lebensmittelprogramms der UNO als humanitäre Hilfe nach Afghanistan, Äthiopien, Kenia, Somalia und Jemen.

Sollte der Getreide-Deal nicht verlängert werden, könnten 14 Schiffe mit rund 600.000 Tonnen Getreide und anderen Agrarerzeugnissen nicht die ukrainischen Häfen verlassen, über die die Exporte der Ukraine abgewickelt werden.

Russland exportiert derweil gleichfalls aktiv Getreide. Der Russische Getreideverband informierte, dass Russland im April 5,03 Millionen Tonnen Weizen für den Export verschifft hätte, ein Rekordwert für diesen Monat seit den letzten sechs Jahren. Im April sind auch die Exporte von Mais und Gerste deutlich angestiegen – um 38 Prozent bis auf 627.000 Tonnen bzw. um das 3,4fache bis auf 387.000 Tonnen. Damit wird deutlich, dass es bei Getreide zurzeit wohl weniger Probleme als beim Export russischer Düngemittel gibt.