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Ein gemeinsames Referendum für das gesamte „Neurussland“ wird jetzt nicht mehr erwartet


Die Vorbereitung zu Referenda gerade am 11. September ist scheinbar in allen Regionen von „Neurussland“ eingestellt worden. Möglicherweise mit einer Ausnahme – in der Lugansker Volksrepublik. Dieses Territorium befindet sich vollkommen unter russischer Kontrolle. Aber noch wichtiger ist, dass dort ein Staatsapparat geschaffen wurde, der imstande ist, ein Ergebnis zu bringen. Vielleicht machen die Offiziellen der LVR daher auch keinen großen Rummel um das Plebiszit. Aber das Verwaltungsgebiet Cherson kann gerade aufgrund des Fehlens von staatlichen moskauhörigen Strukturen augenscheinlich nicht den Prozess zu solch einem Termin organisieren. Und die Führung der Donezker Volksrepublik erklärt heutzutage, dass die Einwohner der ganzen Republik nach deren vollkommenen Befreiung abstimmen sollten. Derweil hat im Gebiet Saporoschje die Situation um das dortige AKW offenkundig begonnen, die Bekundung des Wählerwillens zu stören. Alles in allem ist bisher keine generelle feierliche Willensbekundung zusammen mit dem übrigen Russland zu erwarten. Wenn es früher auch solch einen Plan gegeben hatte, so hat ihn die Präsidialadministration nunmehr allem nach zu urteilen von der Tagesordnung genommen.

Der offizielle Telegram-Kanal der Militär- und Zivilverwaltung des Verwaltungsgebietes Cherson informierte darüber, dass jetzt auch die persönliche Internet-Ressource des Leiters der Verwaltung, Wladimir Saldo, durch den Regierungsvorsitzenden der Region, Sergej Jelisejew, genutzt werde. Es sei daran erinnert, dass dieser russische Beamten-Export, der mit Entscheidung der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation zur Verstärkung entsandt worden war, jetzt während der Moskauer Heilbehandlung von Saldo amtierender Verwaltungschef der Region Cherson ist. Dabei ist nach wie vor nicht vollends bekannt, was mit Saldo geschehen ist. Hängt seine überraschend schwere Erkrankung mit Übermüdung im Staatsdienst für die Moskauer Interessen oder mit einer äußeren feindlichen Einwirkung zusammen.

Zumindest spielt gegenwärtig gerade auf die letzte Version hartnäckig noch ein prorussischer Aktivist an, der aber bereits für Saporoschje zuständig ist. Das Mitglied des Hauptrates der Militär- und Zivilverwaltung des Gebietes, Wladimir Rogow. In einem seiner jüngsten Interviews erklärte er, dass Saldo noch eine toxikologische Expertise bevorstehe. Dabei ist Rogow Anführer der gesellschaftlichen Bewegung „Wir sind zusammen mit Russland“, die jüngst ihren Kongress abgehalten hatte. Und zu dessen Ergebnissen hat der Chef der Militär- und Zivilverwaltung von Saporoschje, Jewgenij Balizkij, auch dieser Tage seine Anordnung über ein bevorstehendes Referendum unterzeichnet, das in den staatlichen und kremltreuen russischen Massenmedien umfangreich vermeldet wurde. In denen hatte man sie als eine eindeutige Entscheidung über eine Abstimmung vollmundig präsentiert. (Und nun befinden sich diese in Erklärungsnot, weil die Hurra-Meldungen keine weitere Fortsetzung erleben. – Anmerkung der Redaktion)

Freilich wurde das Balizkij-Papier listiger überschrieben: „Über die Vorbereitung der Organisierung der Abhaltung eines Referendums durch die Wahlkommission des Verwaltungsgebietes Saporoschje“. Kurz gesagt, aus solch einer Überschrift kann man in keiner Weise begreifen, wer, wen und worauf vorbereiten wird. Und im Wortlaut des Dokuments ist alles auf maximale Weise simpel gesagt worden: Die Wahlkommission werde lediglich beauftragt, „Vorschläge zur organisatorischen, materiell-technischen und anderen Absicherung von Maßnahmen zur Vorbereitung zwecks Abhaltung eines Referendums über den Beitritt zur Russischen Föderation durchzuarbeiten und der Militär- und Zivilverwaltung vorzulegen“. Ausgewiesen wurden keinerlei Termine und Fristen, nicht einmal hinsichtlich dieser Vorbereitung, schon ganz zu schweigen von einem ungefähren Datum der Abstimmung an sich. Daher ist wieder der Propagandist Rogow eingespannt worden, der versichert, dass die Einwohner von Saporoschje alles tun würden, um dieses Referendum näherzubringen. Aber schließlich würden sie dabei sehr stark die unmenschlichen Handlungen der Kiewer Offiziellen stören, und genauer gesagt, die Handlungen ihrer US-amerikanischen und britischen Herren in Bezug auf das AKW Saporoschje.

Es ist verständlich, dass in der Übersetzung in eine verständliche Sprache dies eines bedeutet: Der 11. September ist schon kein Arbeitsdatum mehr. Obgleich der gleiche Rogow früher gerade darauf angespielt hatte, als er von dem Wunsch sprach, die historische Abstimmung „in der ersten Septemberhälfte“ abzuhalten. Nunmehr erklärt er, dass eine Synchronisierung des Prozesses nicht einmal nicht nur mit den Donbass-Republiken DVR und LVR, sondern auch nicht mit dem Verwaltungsgebiet Cherson möglich sei. Zumal erstere ja doch bereits gestandene und von Russland anerkannte Staaten seien. Und die südlichen Nachbarn der Saporoschjer müssten keinen bewaffneten Kampf für die Befreiung entscheidender Kreise ihrer Region führen. Zur anschaulichsten Nachricht im Kontext des offensichtlichen Cancelns des ursprünglichen Plans, auf dem gesamten von Russland kontrollierten Territorium von „Neurussland“ ein gleichzeitiges Referendum gerade am Einheitswahltag, am 11. September, über die Bühne zu ziehen, wurde eine Erklärung des Oberhaupts der Donezker Volksrepublik, Denis Puschilin. Dieser Funktionär des prorussischen Donbass scheint schon lange nur das zu sagen, was durch den Kreml sanktioniert worden ist. Ja, und in einem erneuten Interview für die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti hat Puschilin auch jüngst erläutert: „was unsere Hauptanstrengungen angeht, so sind sie jetzt auf eine vollständige Befreiung des Territoriums der DVR ausgerichtet. Sobald es in den verfassungsmäßigen Grenzen befreit worden ist, werden wir alle gemeinsam sehr schnell das Datum für die Abhaltung eines Referendums erfahren“.

Interessant ist, dass die eine Zeit lang kursierenden Gerüchte über einen Beitritt der vier oben ausgewiesenen ukrainischen Verwaltungsgebiete und auch noch des Gebietes Charkow sich nunmehr vollkommen verflüchtigt haben – selbst ungeachtet der dort aktiver gewordenen Kampfhandlungen und vereinzelter Siegesmeldungen der Offiziellen der Russischen Föderation. Und der von Moskau eingesetzte Chef der Charkower Militär- und Zivilverwaltung, Vitalij Gantschew, der operativ gar ein prorussisches Wappen präsentiert hatte, hat sich in der Medienlandschaft ganz und gar in Luft aufgelöst. Übrigens, auch die ungeklärte Diagnose von Saldo ist möglicherweise durchaus unter zwei – ganz und gar nicht medizinischen – Aspekten zu betrachten. Der erste ist eine „diplomatische“ Krankheit, um rechtzeitig aus dem Epizentrum der bevorstehenden Ereignisse herauszukommen. Der zweite sind die Handlungen von Geheimdiensten, um entweder eine schwache Figur oder gar überhaupt einen Doppelagenten aus dem Spiel zu entfernen. Vor diesem Hintergrund sieht der Chef der Lugansker Volksrepublik, Leonid Pasetschnik, vorteilhafter aus. Über das Referendum hat er in der letzten Zeit überhaupt nichts gesagt. Doch gerade in Lugansk ist am 11. September augenscheinlich auch nur eine Abstimmung möglich.

Im Großen und Ganzen hat – allem nach zu urteilen – die Administration des Präsidenten der Russischen Föderation die ursprüngliche Anbindung an dieses Datum aufgehoben, wenn es auch solch eine gegeben haben sollte. Zumal die Kuratoren der Innenpolitik offenkundig den Organisatoren der Außenpolitik den Vorrang einräumen mussten, was das Pushen des Themas der nuklearen Sicherheit durch Russland in der internationalen Arena belegt. Und diese Tatsache demonstriert, wie es scheint, dass Russlands Präsident noch keine politische Entscheidung über die Referenda in den Regionen von „Neurussland“ gefällt hat. Genauer gesagt: Eine Anweisung über sie ist wahrscheinlich gegeben worden, aber nur in gröbsten Zügen. Oder „es gibt offensichtlich einen politischen Willen für die Abhaltung von Referenda“, wie der „NG“ der Chef der analytischen Verwaltung des ZK der KPRF, Sergej Obuchow, erläuterte, „da sie signalisiert worden waren. Ergo bedeutet ihr Canceln einen Gesichtsverlust“. Aber „es wird augenscheinlich keinen großen Feiertag, keine gleichzeitige Abhaltung von Referenda auf allen Territorien am 11. September geben“. „Die militärpolitische Situation zum heutigen Zeitpunkt erlaubt dies nicht“, meint Obuchow. Er unterstrich, dass die Plebiszite wahrscheinlich zu verschiedenen Zeitpunkten entsprechend der Befreiung der einen oder anderen Territorien erfolgen werden. Mehr noch, ist sich der Kommunist sicher, der Kreml hat auch keine Anbindung an bestimmte Daten. Alles werde entsprechend der Bereitschaft der einheimischen moskautreuen Verwaltungen erfolgen, wie dies auch im Jahr 2014 auf der Krim gewesen war.