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Ein kleiner Stützpunkt am Asowschen Meer


Im Verlauf der Ausarbeitung der neuen ukrainischen Marine-Doktrin, die vor fünf Jahren erfolgte, war vorgeschlagen worden, nicht nur eine neue Konzeption für die Seestreitkräfte der Ukraine zu entwickeln (für einen fließenden Übergang von einer „Moskito-Flotte“ zu Mehrzweckkorvetten), sondern sich auch der Errichtung eines Marinestützpunktes anzunehmen, der der Ukraine die Möglichkeit sichern würde, Gefechtsaufgaben im Asowschen Meer zu erfüllen. Anders gesagt: periodisch Provokationen an der russischen Grenze vorzunehmen.

Der Stützpunkt wird in Berdjansk mit angelsächsischen Geldern errichtet. Die Kosten des Projekts – 553 Millionen Griwna – sind für den ukrainischen Etat bei Bestehen einer gesamten Auslandsverschuldung von 53,6666 Milliarden Dollar (laut Angaben des Finanzministeriums der Ukraine vom 31. Oktober 2021) recht enorme.

Der Standort für den neuen Stützpunkt (der aus Nikolajew verlegt wird) ist nicht zufällig ausgewählt worden. Erstens sind nach der Rückkehr der Krim in den Bestand Russlands nicht mehr so viele Variante geblieben. Und zweitens existiert und funktioniert in Berdjansk immer noch eine Infrastruktur.

Ein Teil von ihr werde, wie der Pressedienst von Präsident Wladimir Selenskij mitteilte, „den Seestreitkräften übergeben“. Und im nächsten Jahr sollen die ersten Kaianlagen entstehen. Dort „plant man, einen Teil der Verwaltungsgebäude instand zu setzen und Wohnhäuser für den Personalbestand zu errichten“.

Neben einer Gruppierung von Schnellbooten der Typen „Gyurza-M“ („Viper-M“) und „Island“ ist geplant, auf dem Stützpunkt ein Marine-Infanterie-Bataillon und Unterwasser-Diversionskräfte zu dislozieren. Doch Russland wird wohl kaum den ukrainischen Schiffen erlauben, entlang seiner Grenzen zu fahren. Und umso mehr – sie zu verletzen, wie dies im Jahr 2018 der Fall gewesen war (Schiffe der Küstenwache der Grenztruppen Russlands, die dem Geheimdienst FSB unterstehen, beschossen und enterten am 25. November 2018 einen Schlepper und zwei Patrouillenboote der ukrainischen Marine, die auf dem Weg zur ukrainischen Hafenstadt Mariupol waren – Anmerkung der Redaktion).

Zumal die Präsenz der ukrainischen Flotte im Asowschen Meer automatisch auch Schiffe von NATO-Ländern anziehen wird. Es genügt bereits dies, dass seit 1997 alljährlich die gemeinsamen Flottenmanöver „Sea Breeze“ im Schwarzen Meer abgehalten werden.

Gleichfalls sollte nicht vergessen werden, dass sich Washington und dessen Verbündete in der Allianz an die Konzeption eines schnellen globalen Schlages (Prompt Global Strike) halten, die ein entschiedenes Führen eines Schlages mit nichtnuklearen Waffen gegen jeglichen Punkt des Planeten (innerhalb einer Stunde) vorsieht.

Doppelstandards in Aktion

Das heißt: Man kann das Asowsche Meer ganz einfach zu „internationalen Gewässern“ erklären. Wie auch die 12-Meilen-Zone, die sich entlang der Küste der Halbinsel Krim erstreckt. Und die von Russland ergriffenen Maßnahmen zur Verteidigung seiner Seegrenzen werden zu einer „Aggression“ erklärt und können zum Anlass für eine Attacke werden.

Im Grunde genommen macht man in der NATO keinen Hehl aus seiner Haltung zu den internationalen Interessen Russlands. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte offen der britischen Zeitung „The Telegraph“, dass Russland kein Recht auf eine eigene Einflusssphäre habe. Dies betreffe in erster Linie das Streben der Ukraine nach einer NATO-Mitgliedschaft.

„Russland hat kein Veto- und kein Stimmrecht in dieser Frage. Und es hat kein Recht, eine Einflusssphäre festzulegen, indem es versucht, seine Nachbarn zu kontrollieren. Allein der Gedanke, dass die Unterstützung souveräner Länder durch die NATO eine Provokation sei, ist fehlerhaft“, sagte Stoltenberg. Aber darüber, dass sich der Ring aus amerikanischen Stützpunkten, Übungsgeländen und Militärlabors immer stärker an den russischen Grenzen zusammenzieht, ist nicht ein Wort gefallen.

Der Nordatlantikpakt ist nichts anderes als ein Instrument zur Kontrolle Europas, das durch Washington angewandt wird. Es genügt, sich des berühmten Satzes von Hastings Lionel Baron Ismay, des ersten Generalsekretärs der NATO, zu erinnern: „to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down“ (die Sowjetunion von Westeuropa weg, die Amerikaner in Westeuropa drinnen und die Deutschen klein zu halten).

Und während beim bipolaren System solch eine Vorgehensweise angesichts der Existenz von Pufferzonen eine begründete war, so stellt heutzutage die offenkundig aggressive Rhetorik der NATO eine Bedrohung dar. Besonders unter Berücksichtigung dessen, mit was für einer Leichtigkeit in den letzten Jahren die Verträge über eine gegenseitige Waffenkontrolle unterlaufen und gemeinsame Projekte unter an den Haaren herbeigezogenen Vorwänden gecancelt werden. Offensichtlich ist die Degradierung der Außenpolitik des Westens, der bisher nicht gewillt ist, sich mit dem schrittweise in die internationale Arena zurückkehrenden Russland abzufinden, schon ganz zu schweigen von dem an Stärke gewinnenden China.

„Die Hauptursache sind die fehlende Bereitschaft Washingtons und dessen westlichen Verbündeten, die Realitäten des sich herausbildenden polyzentristischen (multipolaren) Systems des Aufbaus der Welt anzuerkennen, ihr hartnäckiges Bestreben, auftretende Probleme gewaltsam mit einem Sich-stützen auf ein breites Spektrum illegitimer Instrumente – vom Einsatz einseitiger Wirtschaftssanktionen bis zu einer direkten Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten im Geiste der „bunten“ Revolutionen – zu lösen“, erläutert der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Die Allianz auf fremdem Terrain

Derweil schürt die NATO Panik mittels Phantasien über einen „Einmarsch der Russischen Föderation“ und versucht weiterhin, mit der Tür in die historisch entstandene Einflusssphäre Russlands zu fallen, die heutzutage als postsowjetischer Raum bezeichnet wird.

„Georgien und die Ukraine sind langjährige und nahe Partner der NATO, die eine Mitgliedschaft in der Organisation anstreben. Wir halten weiter an der Unterstützung fest, die wir beiden Ländern gewähren. Und wir verstärken bereits ihr Verteidigungspotenzial, halten gemeinsame Manöver ab und tauschen Informationen aus“, erklärte Stoltenberg auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen des jüngsten Dreiertreffens in Riga.

Die Gelegenheit nutzend, setzen einzelne Länder die langjährige Konkurrenz mit Russland fort. Ein überaus markantes Beispiel ist Großbritannien, dass bereits seit dem 15. Jahrhundert ein Opponent Russlands ist und weiter seinen Beitrag zur Zügelung der „russischen Aggression“ leistet.

Vor nicht allzu langer Zeit sickerten dank internationaler Medien Informationen über britische Brimstone-Raketen durch, deren Lieferungen in den Seestreitkräften der Ukraine erwartet werden. Jetzt jedoch distanziert sich London von dem Vertrag, über den am 21. Oktober der ehemalige stellvertretende Generalstabschef der ukrainischen Streitkräfte, Generalleutnant Igor Romanenko, berichtet hatte.

„Das Abkommen war bereits im vergangenen Jahr unterzeichnet worden, im Oktober, als Präsident Selenskij zu einem Besuch in London weilte. Damals unterzeichneten wir einen Freihandelsvertrag. Präsident Selenskij hatte auch eine andere wichtige Sache getan. Er vereinbarte mit Boris Johnson, dass Großbritannien hilft, das Potenzial der ukrainischen Flotte zu vergrößern. Dies betrifft die Entwicklung der Infrastruktur der Häfen und Seekriegsschiffe. Zum ersten Mal werden Seekriegsschiffe mit Verteidigungswaffen ausgerüstet. Dies ist kein Vertrag über die Bereitstellung von Waffen. Dies ist ein Abkommen über die Forcierung des Potenzials der Seestreitkräfte der Ukraine. Die zwei Raketen, über die die Zeitung „The Times“ geschrieben hatte, sind – wie mir scheint – aufgrund eines Fehlers in dem Beitrag aufgetaucht. Denn in dem Abkommen ist lediglich von einer Verstärkung des Verteidigungspotenzials der Seestreitkräfte die Rede“, erklärte Großbritanniens Botschafterin in Kiew, Melinda Simmons.

Unter Berücksichtigung dessen, dass die Informationen über die Raketen zuvor von dem berühmten Blatt vorgelegt worden waren, sehen die Rechtfertigungen der britischen Botschafterin erbärmlich und lächerlich aus. Und obgleich Simmons behauptet, dass London nichts von irgendwelchen Brimstone-Raketen wisse, liegt auf der Hand, dass sich durch die Veränderung der Formulierungen das Wesen nicht verändert. Es wird sowohl einen neuen Marinestützpunkt als auch Schiffe und Waffen mit Munition geben.

Schließlich sind das Vollpumpen der Ukraine mit ausländischen Waffen und die Entsendung von Militärspezialisten dorthin eine „Erhöhung des Verteidigungspotenzials“ in Reinform. Im Oktober dieses Jahres unterzeichnete Großbritanniens Verteidigungsministerium unter anderem einen Vertrag, der die Lieferung von zwei Minenräumschiffen für die ukrainischen Seestreitkräfte und den gemeinsamen Bau von acht Raketenschiffen vorsieht. Aber auch „die Lieferung und Modernisierung von Waffensystemen auf vorhandenen Schiffen“.

Eine Schocktherapie für Hitzköpfe

Insgesamt aber wird die von Stoltenberg und anderen „sprechenden Köpfen“ erwähnte Unterstützung sowohl durch Militär-Tranches als augenscheinlich auch durch eine „kalte Dusche“ für die Ukraine zum Ausdruck kommen. Was die Präzisierung des Generalsekretärs der Allianz über die Sicherheitsgarantien belegt.

Die NATO gibt unter anderem zu verstehen, dass, auch wenn die Ukraine in einen realen Konflikt mit Russland geraten sollte, keiner der Allianz-Mitglieder für sie Blut vergießen werde. Die Ukraine, die lediglich ein Anwärter auf eine Mitgliedschaft ist, kann und darf aus objektiven Gründen nicht auf das Wirken von Artikel 5 des NATO-Vertrages setzen. „Die Ukraine ist kein Mitglied der NATO. Daher hat sie keine solchen Sicherheitsgarantien wie die Mitglieder des Blocks, die verpflichtet sind, einander zu verteidigen, wenn man eines von ihnen überfällt. Man muss zwischen Partnern und Mitgliedern der Allianz unterscheiden“. Ja, und dies ist die ganze Erklärung.

Ungeachtet des offenkundigen Signals der NATO dauert in der Ukraine der Informationskrieg an (obgleich sich auch das russische Staatsfernsehen diesbezüglich keine Blöße gibt und ebenfalls mit aggressiver Rhetorik aufwartet – Anmerkung der Redaktion). Fortgesetzt wird das totale Ignorieren der Minsker Abkommen und ganz und gar auch die Versuche einer Revision dieser Vereinbarungen. Aber am Geschehen habe aus irgendeinem Grunde Russland Schuld, woran sowohl die Ukraine als auch die USA ständig erinnern.

Deutschland aber versucht sich auszuklammern, obgleich es auch der größte Geldgeber für Kiew ist. Die Position Deutschlands belegt deutlich eine Erklärung des inzwischen ehemaligen Bundesaußenministers Heiko Maas. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Anzahl der täglichen Verletzungen des Feuereinstellungsregimes in der Ukraine zugenommen, was Sorgen macht“, sagte er auf der jüngsten OSZE-Außenministerratstagung in Stockholm.

Bei der gleichen erwähnten Veranstaltung war auch US-Außenminister Anthony Blinken. Ungeachtet zahlreicher Beweise dafür, dass die ukrainische Seite selbst die Spannungen in den Verwaltungsgebieten Donezk und Lugansk provoziert, behauptet er nach wie vor, dass gerade Russland nicht das Feuer einstelle und nicht die schweren Waffen abziehe. Obgleich nach Moskauer Lesart Russland keine Seite des Konflikts ist.

Was aber die Waffen angeht, erfolgt die Bewegung von Truppen und gepanzerter Technik auf dem Territorium Russlands. Die Initiatoren der Diskussionen vergessen aber aus irgendeinem Grunde, dass an dessen Grenzen die Kräfte der NATO verstärkt werden. Und im Donbass habe nach Aussagen des russischen Außenministers Sergej Lawrow in der letzten Zeit die Zahl der westlichen Instrukteure zugenommen.

Somit ist das Einzige, was die Ukraine verstärkt, die Rolle eines Testgeländes für den Nordatlantikpakt und die Bereitschaft, sich auf militärische Abenteuer einzulassen.

Allerdings bewegen die Probleme der Indianer nicht den Sheriff. Und dies bedeutet, dass im Falle unvorsichtiger Handlungen die ukrainische Führung die Früchte ihrer Politik zu spüren bekommen wird. Und das Lenken der Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf einen Krieg gegen einen angenommenen Aggressor wird wenig helfen.

Schließlich hatte Selenskij am 1. Dezember nicht ohne Grund den Geschäftsmann Rinat Achmetow der „Vorbereitung eines Staatsstreichs“ mit Unterstützung Russlands bezichtigt. Hier kann man gar nicht so sehr den Versuch Selenskijs ausmachen, irgendeine Miene zu einem bösen Spiel zu wahren, als vielmehr eine Erklärung über die Ablehnung einer Opposition in jeder beliebigen Form. Wie hatte doch der berühmte schottische Dichter Robert Burns geschrieben: „How pathetic the jester is, on the king’s throne, How stupid the people who allowed it“ („wie erbärmlich ist der Narr auf dem Königsthron, wie dumm die Leute, die es zugelassen haben“).