Der populäre Moskauer Oberpriester Andrej Tkatschjow hat erneut die Öffentlichkeit aufgewühlt, indem er erklärte, dass „vor langem schon ein Übel durch die Gebildeten gekommen ist“. Der Geistliche verwies dabei auf den Heiligen der Kirche von Konstantinopel, auf Kosmas von Aitolien (ein 1961 heiliggesprochener griechisch-orthodoxer Mönch vom Berg Athos, der von 1714 bis 1779 lebte – Anmerkung der Redaktion), der zu Zeiten der Osmanen-Herrschaft auf dem Balkan Schulen gründete, in denen in griechischer Sprache unterrichtet wurde. Dabei opponierte der Mönch den Politikern, die nicht das religiöse, sondern das nationale Selbstbewusstsein des griechischen Volkes an die erste Stelle gesetzt hatten.
Tkatschjow behauptet, dass durch eine übermäßige intellektuelle Entwicklung Unglaube hervorgebracht werde, während die Grundschulausbildung erlaube, religiöse Bücher zu lesen. Und dies sei ausreichend. Nach Meinung des Oberpriesters würden in den Akademie der Wissenschaften verschiedener Länder Gottlose die Mehrheit ausmachen. Und die würden die junge Generation schlecht beeinflussen.
Die entsprechende Predigt von Tkatschjow hat wie auch in vielen anderen Fällen große Resonanz ausgelöst. Vertreter der Synodalen Abteilung für die Beziehungen der (Russisch-orthodoxen) Kirche mit der Gesellschaft und den Massenmedien mussten sich erklären. Dort entgegnete man dem Prediger, dass auch hochgebildete Menschen Gläubige sein können. Derweil kommt sich die Abteilung der Russisch-orthodoxen Kirche, die dazu berufen ist, die Informationsaktivitäten des Klerus zu organisieren und in geordnete Bahnen zu bringen, bereits nicht das erste Mal in der letzten Zeit mit populären Bloggern-Geistlichen, deren Aussagen das Publikum schockieren, in die Haare.
Vor gerade einmal ein paar Wochen mussten die Kirchenoffiziellen Aussagen des Oberpriesters Sergej Kulpinow aus Irkutsk widerrufen, wonach Russlands Bürger einen Zehnten von ihren Einkommen zahlen müssten, um die Kirche zu unterhalten. Damals erklärte man in der Abteilung für die Beziehungen der Kirche mit der Gesellschaft und den Massenmedien, dass die Aussagen einzelner Geistlichen nicht die Position der gesamten Russisch-orthodoxen Kirche zum Ausdruck bringen würden. Und die Kleriker an sich hatte man zu Verantwortung und Ausgewogenheit in den öffentlichen Aussagen aufgerufen.
Solche Kommentare erklingen seit Jahren. Die hörten wir beispielsweise im Jahr 2012, als ein Mitarbeiter der Tomsker Eparchie alleinstehende Mütter mit einem unflätigen Wort belegte. So haben die Offiziellen auch den Rummel in dutzenden, wenn nicht gar in hunderten anderen Fällen kommentiert. Derartige Fälle wiederholen sich mit einer regelmäßigen Häufigkeit. In der Russisch-orthodoxen Kirche erfolgt ein Generationswechsel unter den Predigern, es finden sich aber stets Figuren, die schockierende Äußerungen nutzen, um eine starke Wirkung zu erzielen. Möglicherweise machen sich diese Internet-Missionare zu sehr Sorgen um die Bewahrung ihre Popularität.
Einerseits bleibt die Kirche auf der Ebene einzelner geistlicher Spitzenvertreter und einzelner Gemeinden eine Plattform für eine lebendige Meinungsbekundung, für einen indirekten Meinungsaustausch mit den Offiziellen der Kirche. Oft sind diese Äußerungen auch an das äußere Umfeld gerichtet. Mitunter erlauben sich Geistliche, selbst die politische Elite von obskuren Positionen aus zu kritisieren.
Andererseits beruht solch eine Epatage (deutsch: ein Schocken) auf brutalen Einschätzungen und mitunter gar auf sehr groben und für einige soziale Kategorien beleidigenden Aussagen. Am meisten werden Frauen und Vertreter der Intelligenz geschelmt, Menschen mit kreativen Berufen. Dies veranlasst, sich über die spezifische Tendenz der Predigten vieler Kirchenvertreter Gedanken zu machen, die die Aufmerksamkeit des Publikums suchen. Diese Tendenz geht in der Regel in Richtung einer exotischen Archaik, einer Apologie der Simplifizierung des Lebens. Einige vernehmen in den Appellen der Missionare gar Motive der Schwarzen Hundertschaften (übergreifende Bezeichnung für rechtsextreme und monarchistisch-nationalistische Organisationen in den letzten Jahrzehnten des Bestehens des Russischen Reiches – Anmerkung der Redaktion).
Da die Prediger den sozialen Bereich und gar die politische Sphäre tangieren, kann man auch eine Reaktion des Staates erwarten. So hat man in China entschieden, eine derartige Tätigkeit mit administrativen Methoden zu regeln. Man veröffentlichte einen Kodes für das Verhalten der Geistlichen im Internet. Gemäß diesen Regeln „sollen die Geistlichen gute Angewohnheiten im Internet entwickeln, bewusst einer schlechten Internetkultur entgegenwirken und sich nicht mit Eigenwerbung befassen oder religiöse Themen und Inhalte für die Gewinnung von Aufmerksamkeit und für einen aktiven (Internet-) Traffic ausnutzen“. Der russische Klerus befürchtet eine derartige Entwicklung der Ereignisse. Aber dies kann nicht ausgeschlossen werden, wenn man berücksichtigt, wie eifrig man in verschiedenen Ländern die sozialen Innovationen aus der Volksrepublik China wahrnimmt (und gar für eine Umsetzung im eigenen Land — „NG Deutschland“) aufgreift.
Ein Lob auf die Unwissenheit
16:05 27.09.2025