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Ein „schwarzer Dienstag“ für die Orthodoxie


An einem Tag wurde in der Ukraine ein Gesetz verabschiedet, das auf das Verbot der Gemeinden der Ukrainischen orthodoxen Kirche auf dem Territorium des Landes abzielt, und in Estland eine Neufassung des Status der dortigen Metropolie (der Estnischen orthodoxen Kirche), die damit den Zusatz „des Moskauer Patriarchats“ ablegen wollte. Und dazu kommt noch die Wahlkampferklärung von Georgiens Premierminister Irakli Kobachidse über Pläne der regierenden Partei „Georgischer Traum“, Abchasien und Südossetien in den Bestand des Staates zurückzuholen, was außer einer politischen Komponente potenziell auch eine kirchliche beinhaltet. In beiden „halbanerkannten“ Republiken, die zum kanonischen Territorium der Georgische Kirche gehört, versehen heute Geistliche der Russischen orthodoxen Kirche ihren Dienst.

Der dritte Punkt ist sehr fraglich. Aber die ersten beiden sind vom Wesen her bereits realisiert worden. In jedem Fall gibt es aber eine eigene Spezifik. Angesichts der Besonderheiten der ukrainischen Gesetzgebung hat die Ukrainische orthodoxe Kirche keine einheitliche Rechtsperson. Dies bedeutet, dass jede Gemeinde und jedes Kloster (und davon gibt es laut unterschiedlichen Angaben 6000 bis 7000 in der Ukrainischen orthodoxen Kirche) eigenständig in Gerichten um ihre bzw. seine Existenz kämpfen wird. Dies ist für die Organisation und Gläubigen nicht einfach. Aber so ist praktisch unmöglich, die ganze Kirchenstruktur vollkommen zu zerstören. Ein Übergang der Ukrainischen orthodoxen Kirche in einen halblegalen Zustand verursacht kolossale Probleme nicht so sehr für sie selbst, sondern auch für den ukrainischen Staat, der die Kontrolle über die größte Konfession im Land verliert.

Die Situation in Estland scheint äußerlich eine bessere zu sein. Die Estnische orthodoxe Kirche ist vom Staat als eine religiöse Organisation anerkannt worden und bekommt sogar Zuschüsse seitens des estnischen Kirchenrates. Die estnischen Offiziellen signalisieren wie auch die ukrainischen die Notwendigkeit der Schaffung einer geschlossenen bzw. einheitlichen nationalen Kirche und rufen die Estnische orthodoxe Kirche zu einer Vereinigung mit der Organisation unter der Leitung des Patriarchats von Konstantinopel auf. Sie erlauben sich aber keine solch grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirchen. Von einem Verbot der Estnischen orthodoxen Kirche ist auf offizieller Ebene keine Rede, wenn man einmal den jüngsten Vorbehalt des Sprechers des Innenministeriums der Republik, Raivo Küüt, außer Acht lässt („Die Tätigkeit der Kirche kann einfach eingestellt werden“, merkte damals an, fügte aber sofort hinzu: „Wir hoffen, dass es dazu doch nicht kommen wird“). Im Unterschied zu den ukrainischen Kollegen schätzen die estnischen Beamten den kanonischen Status der Estnischen orthodoxen Kirche und wollen in Estland keine Schaffung einer analogen Institution zur halbanerkannten Orthodoxen Kirche der Ukraine (wie Küüt unterstrich, „dürfen die Geistlichen der Estnischen orthodoxen Kirche in keinem juristischen Vakuum bleiben“). Außerdem haben einerseits die Behörden das Oberhaupt der Estnischen orthodoxen Kirche, Metropolit Jewgenij (Reschetnikow) aus der Republik ausgewiesen, andererseits aber kann man jetzt Jewgenij weder festnehmen noch Gerichtsverhandlungen und Verhören aussetzen oder faktisch als Geisel nehmen – im Unterschied zum Oberhaupt der Ukrainischen orthodoxen Kirche, Metropolit Onufrij (Beresowskij).

Zur gleichen Zeit ist es aber für die Staatsbeamten leichter, Druck auf die Estnische orthodoxe Kirche auszuüben. Getan wird dies durch zwei Personen, den Vikarbischof von Tartu, Daniil Lepisk, und die Vorsteherin des Klosters von Püchtiz, Hegumene Filareta (Kalatschjowa). Mit der Äbtissin führt man getrennt Verhandlungen, da die Nonnen von Püchtiz formal nicht zur Estnischen orthodoxen Kirche gehören und unmittelbar dem Moskauer Patriarchen unterstellt sind. Und von der Standhaftigkeit und den diplomatischen Qualitäten Daniils und Filaretas hängt direkt die Zukunft der Orthodoxie in Estland ab.

Vor dem Hintergrund der Probleme, die der „Schwarze Dienstag“ dem Kirchen-Moskau bescherte, bleiben die Reaktionen der Kirchenbeamten von Konstantinopel auf das Geschehen wenig bemerkte. Sie sind ebenfalls keine feierlichen. Durch das Verbot der Ukrainischen orthodoxen Kirche gewinnt die Struktur von Metropolit Epiphanius (Dumenko), das heißt die Orthodoxe Kirche der Ukraine bei weitem nicht. Ungeachtet der demonstrativen Begeisterung des „Paten“ der Dumenko-Struktur, des ukrainischen Ex-Präsidenten Pjotr Poroschenko, in den sozialen Netzwerken („Ein großer historischer Tag!“) befindet sich das Projekt Orthodoxe Kirche der Ukraine in einer kritischen Lage. Die ukrainische Kirchenpolitik entwickelt sich in all den letzten Jahren als ein „Echo“ der amerikanischen. Und eine kritische Masse der Angaben über Verfolgungen der Ukrainischen orthodoxen Kirche ist auf dem Informationsfeld der USA erreicht worden.

Am 20. August erschien im Wochenblatt „The American Conservative“ ein Beitrag von Flavius Mihaies (https://www.theamericanconservative.com/ukraines-two-wars/). Der als unabhängiger Journalist ausgewiesene Autor ist auch ein offizieller Experte der Weltbank. Er bereiste die Routen von UN-Kommissaren, die früher die Ukraine besucht hatten, führte Gespräche mit Vertretern des Klerus und mit Gläubigen. In dem Beitrag wird mitgeteilt, dass die Ukrainische orthodoxe Kirche größte religiöse Organisation in der Ukraine sei, ausgewiesen werden detaillierte Angaben über die Besetzung von Gotteshäusern der Ukrainischen orthodoxen Kirche durch Vertreter der Orthodoxen Kirche der Ukraine, über das Verprügeln von Menschen und über Gewalt. Daneben wird erstmals in der US-amerikanischen Analytik die Ukrainische orthodoxe Kirche deutlich der Struktur von Dumenko als eine nicht weniger „patriotische“ gegenübergestellt, dafür aber als eine „kanonischere“. Das Treffen von Dumenko mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomeus, am 13. August hätte der Orthodoxen Kirche der Ukraine keinerlei Ergebnis gebracht, mit Ausnahme von ein paar Paradefotos. Es waren keinerlei gemeinsame Kommuniqués und Appelle zur Unterstützung der Orthodoxen Kirche der Ukraine seitens Konstantinopels veröffentlicht worden. Dafür erschien aber nach zwei Tagen ein Aufruf von Dumenko an den Metropoliten Onufrij, „ohne jegliche Vorbedingungen einen Dialog über eine Einheit zu beginnen“. Was unter Berücksichtigung des Kontextes praktisch wie ein SOS-Signal aussieht.

Freude ist auch bei der Führung der Estnische Kirche mit ihrer konstantinopeltreuen Haltung nicht auszumachen. Ungeachtet dessen, dass die Offiziellen Estlands sie ständig zu aktiven Handlungen veranlasst, begreift man in der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche (EAOK) ausgezeichnet, dass die Verluste der „Moskauer“ Kirche bei weitem zu keinen Gewinnen für die „griechische“ werden. Bereits im April hatte der Hauptvikar der EAOK, Mattias (Madis) Palli, diplomatisch bei Beantwortung der Frage des Hörfunksenders Kuku über die Bereitschaft der „Griechen“, die Estnische orthodoxe Kirche im Falle ihrer Loslösung von Moskau in ihren Bestand aufzunehmen, angemerkt: „Wenn es die hiesigen russischen Gemeinden wünschen“. Dies ist auch verständlich, da die „Metropolie von Konstantinopel“ die potenzielle „frühere russische“ lediglich in dem Sinne aufnehmen könne, dass eine Schlange ein Krokodil schlucken könne (könne, aber nur einmal. Und dies wird aber auf jeden Fall für sie tödlich sein). Bei aller politischen Unterstützung seitens der Globalisten-Lobby und der einheimischen Offiziellen ist nicht eine der Strukturen von Konstantinopel – im Unterschied zu denen von Moskau – in der Lage, sich gar dem Level der größten religiösen Gemeinschaft in irgendeinem Lande anzunähern.

Folglich werden die Konsequenzen des „schwarzen Dienstag“ für die Russische orthodoxe Kirche offenkundig keine einfachen sein, doch es ist auch schwer, sie als einen Sieg für Konstantinopel zu bezeichnen. Klar ist eines: Eine „Finsternis, die vom Mittelmeer heraufgezogen war“ (im Stil von Bulgakow und seiner Kurzgeschichte „Ägyptische Finsternis aus dem Jahr 1925 – Anmerkung der Redaktion), hat die Länder der früheren UdSSR überzogen. Ihre „geistliche Unabhängigkeit“ erweist sich als einer immer mehr scheinbare. Der Pressedienst der Estnischen orthodoxen Kirche unterstreicht, dass die Verabschiedung der neuen Fassung des Status dem 33. Jahrestag der Unabhängigkeit Estlands gewidmet sei. Die einheimischen Gläubigen ironisieren allerdings bereits mit Bitterkeit, dass man Christus auch im Alter von 33 Jahren gekreuzigt hätte.

Post Scriptum:

Die Diskussion um den Namen der Estnischen orthodoxen Kirche ist noch nicht beendet, da aus der Sicht von Innenminister Lauri Laanemets die Neufassung des Status der Kirche im Grunde genommen nur den Teil „des Moskauer Patriarchats“ entfernte. Solche „kosmetischen und administrativen“ Veränderungen können nicht akzeptiert werden. Auf einer Pressekonferenz in Tallin sagte er am Mittwoch: „Wir wünschen, dass die hier wirkende Kirche sich dem Einfluss des Kremls entzieht und nicht von der Meinung des Kremls und seinen Entscheidungen abhängt“. „Den neuen Namen könnte man akzeptieren, wenn die Organisation unter sich alle orthodoxen Gemeinden und alle orthodoxen Gläubigen vereinen würde. Aber dies macht sie nicht“, meinte Laanemets.