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Ein Zwischenfall im AKW Saporoschje wird die NATO in den ukrainischen Konflikt hineinziehen


Der anhaltende Beschuss des AKW Saporoschje und eine mögliche radioaktive Verschmutzung (Verseuchung) weiter Territorien könnten zu einem Anlass für den Eintritt von NATO-Kräften in den Konflikt werden, deuten britische und US-amerikanische Politiker an. Eine mögliche Nuklearkatastrophe in Europas größtem AKW und jeglicher Austritt radioaktiver Strahlung würden Menschen in den NATO-Ländern töten. Und dies „muss automatisch Artikel 5 des NATO-Statuts (über eine kollektive Verteidigung – „NG“) zur Wirkung bringen“, schrieb das Mitglied des Repräsentantenhauses des US-Kongresses Adam Kinzinger auf Twitter. Eine Erklärung über ein hypothetisches Versetzen von Kräften der Allianz in ein Gefechtsregime im Falle einer Katastrophe auf dem AKW Saporoschje gab das Mitglied des britischen Parlaments Tobias Ellwood ab.

Im Westen ignoriert man die Erklärungen der Russischen Föderation, wonach Raketen- und Artillerieeinheiten der ukrainischen Streitkräfte einen Beschuss des AKW Saporoschje vornehmen, wobei sie vorziehen, die Behauptungen von Kiew ins Kalkül zu ziehen, wonach die russischen Militärs selbst die Schläge führen würden. Der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Wladimir Popow lenkt die Aufmerksamkeit auf die Erklärungen des russischen Verteidigungsministeriums, dass die ukrainischen Streitkräfte in der Nacht zum Sonntag das Territorium des Kraftwerks mit 155-Millimeter-NATO-Geschossen beschossen hätten: „Die Kernreaktoren werden sie wohl kaum beschädigen. Doch durch die Artillerieschläge wird möglicherweise das Lager für radioaktive Abfälle in Mitleidenschaft gezogen. Und dies bedeutet, dass, wenn die Dosimeter real einen nuklearen Störfall fixieren, dies für Kiew eine große Chance sein wird, vorsätzlich die NATO in die Kampfhandlungen gegen die Russische Föderation zu involvieren“.

Popow betont, dass man, derartige Ereignisse voraussehend, die englischen Militärs augenscheinlich psychologisch auf Kampfhandlungen vorbereite. Darüber hatte die britische Zeitung „The Mirror“ geschrieben. „Die britischen Militärs bereiten sich gegenwärtig vor, sich einer „Bedrohung“ seitens Russlands zu widersetzen, und sind zu einem Krieg bereit“, zitiert das Londoner Blatt den Warrant-Officer der Armee Großbritanniens, Paul Carney. „Ich möchte, dass wir alle überprüfen, dass wir physisch zu Kampfhandlungen bereit sind. Und es ist noch wichtig, dass wir die Nächsten und die Familien vorbereiten, denen bei unserem Fehlen oft die schwerste Rolle zufällt“, erklärte Carney gegenüber der Zeitung „The Mirror“. Zuvor hatte der Kommandierende der britischen Armee, General Patrick Sanders, aufgerufen, in einem dritten Weltkrieg „Russland zu besiegen“. Der Stabschef der britischen Luftstreitkräfte Michael Wigston erklärte, dass die Armee die Vorbereitung zu einer „Auseinandersetzung in der Luft“ mit Russland vornehme. Derweil zitiert „The Mirror“ General Richard Dannatt, der die Worte von Paul Carney kommentierte und erklärte, dass die Bereitschaft der englischen Soldaten zu einem Krieg „nicht bedeutet, dass die Armee jetzt jeden Augenblick in die Ukraine aufbrechen wird. Die Vorbereitung auf einen Krieg hinsichtlich aller Lebensaspekte ist aber die Pflicht jeglicher Armee“.

„Großbritannien gibt zusammen mit den Amerikanern den Ton beim Anheizen des militärischen Konfliktes in der Ukraine an“, betont Popow. „Nach den USA ist es das zweite Land hinsichtlich des Umfangs der Militärhilfe für Kiew. Gegenwärtig organisierte London nicht nur Lieferungen hochpräziser Raketenwerfer-Systeme ähnlich den US-amerikanischen HIMARS für die ukrainischen Streitkräfte, sondern nimmt auch zusammen mit anderen Ländern (Estland, Schweden und Finnland) eine Ausbildung von rund 10.000 ukrainischen Militärangehörigen entsprechend den NATO-Standards vor. Dies bedeutet, dass sich Kiew bewusst vorbereitet, die Kampfhandlungen fortzusetzen. Und in der Allianz erwartet man von den ukrainischen Truppen in baldiger Zukunft entschlossene Offensivhandlungen. Dieses Thema wird am Dienstag, dem 23. August auch beim zweiten internationalen Summit „Ukrainische Plattform“ online erörtert werden. An diesem werden unter anderem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz teilnehmen. Das Hauptthema der Veranstaltung, die bereits von ihren Organisatoren angekündigt wurde, ist ein Zurückholen der Krim unter die Kontrolle der Ukraine.

Popow verweist darauf, dass Kiew aktive Kampfhandlungen hinsichtlich russischer Militärobjekte auf der Krim beginne. „Nach Meinung des Westens ist dies ein Territorium der Ukraine. In der vergangenen Woche hatte es mehrere Angriffe gegen die Halbinsel mit Hilfe von Kampfdrohnen gegeben. Das Ziel solcher Schläge ist die Schaffung einer langfristigen Bedrohung für kritisch wichtige Objekte. Wie wir sehen, ist es sehr schwierig, dem Paroli zu bieten. Aber vor Moskau steht die wichtige Aufgabe, ein Gegengift dagegen zu finden und wirksamer auf die Schläge der ukrainischen Streitkräfte zu reagieren“, meint Popow.

Vor solch einem Hintergrund ist für Kiew die Bekanntgabe neuer Militärhilfe von Washington ein zusätzlicher Stimulus. Die hatte dieser Tage das US-Verteidigungsministerium bekanntgegeben, wobei es konkret über zusätzliche Waffenlieferungen im Umfang von 775 Millionen Dollar an die Ukraine informierte, erinnerte der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Nikolaj Schulgin gegenüber der „NG“. Er lenkt das Augenmerk darauf, dass laut Angaben des Pentagons das neue Hilfspaket 15 wenig auffällige Aufklärungsdrohnen vom Typ Scan Eagle umfasst. Sie werden für eine Erkundung der Örtlichkeiten und die Zielvorgabe in einer operativ-taktischen Tiefe von bis zu 100 Kilometern eingesetzt. Sie wurden bereits früher an die Ukraine geliefert und haben sich bei den Kampfhandlungen gut bewährt. Geplant werden neue Lieferungen hochpräziser Munition für die Mehrfachraketenwerfer-Systeme HIMARS an Kiew, aber auch die Übergabe einer Artillerie-Division – 16 105-Millimeter-Haubitzen. Dies sind taktische Haubitzen mit einer Reichweite von zehn bis fünfzehn Kilometern. Das heißt, die US-Militärs nehmen eine Fortsetzung der Artillerieduelle zwischen den ukrainischen und russischen Einheiten, aber auch eine Vernichtung wichtiger Objekte in einer Tiefe von bis zu 70 Kilometern durch hochpräzise HIMARS-Geschosse an. „Wie viel Munition für die Mehrfachraketenwerfer-Systeme geliefert wird, wird nicht gesagt. Wie viele es aber auch letztlich sein werden, sie werden für die Ukraine eine Unterstützung sein. Allein für eine Division werden auch 36.000 Geschosse zu den Haubitzen geliefert. Dies sind fast 40 Kampfsätze für jede Waffe. Mit solch einer Menge kann man mindestens drei Monate lang intensive Gefechtshandlungen führen“, sagte Schulgin. Es sei angemerkt, dass ein Kampfsatz für ein Geschütz der ukrainischen Streitkräfte 80 Geschosse ausmacht.

In den Medien seien derweil Informationen aufgetaucht, dass man in den USA ukrainische Militärs ausbilde, um A-10-Thunderbolt-Kampfjets zu steuern, sagte der Experte. Im Pentagon gebe es mehrere hundert solcher Kampfflugzeuge. Sie seien keine sehr neuen, aber entsprechenden den Erfahrungen aus dem Gefechtseinsatz auf dem Balkan im Krieg gegen Belgrad, in Afghanistan, im Irak und in Syrien würden sie als wirksame für eine Unterstützung der Infanterie sowie für eine Bekämpfung von Positionen des Feindes und befestigter Objekte gelten. „Die Übergabe von zwei, drei Regimentssätzen an A-10-Thunderbolt-Jets an Kiew (bis zu 120 Stück) kann die Gefechtsmöglichkeiten der Luftstreitkräfte der ukrainischen Armee vollkommen wiederherstellen“, meint Schulgin.