Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Eine Amnestie soll Lukaschenko die Chance geben, sich mit der Opposition auszusöhnen


In den nächsten Tagen wird den Parlamentsabgeordneten der Entwurf eines Amnestiegesetzes zur Behandlung vorgelegt werden. Darüber informierte Wladimir Andrejtschenko, Vorsitzender der Repräsentanten-Kammer. Von diesem Gesetz kann sehr Vieles abhängen. Experten betonen, dass Alexander Lukaschenko die Rhetorik ändere und beginne, die Möglichkeit eines Kompromisses mit der Opposition anzudeuten. Der werde aber in Vielem davon abhängen, wer und zu welchen Bedingungen aus der Haft entlassen wird. Außerdem würden ein Stolperstein in den Beziehungen der Offiziellen mit der Opposition die Beziehungen mit Russland bleiben.

Der Vorsitzende der Repräsentanten-Kammer des weißrussischen Parlaments, Wladimir Andrejtschenko, hat erklärt: „In der Repräsentanten-Kammer ist bereits der Entwurf des Staatsbürgerschaftsgesetzes eingegangen, erwartet wird der Entwurf für ein Amnestiegesetz. Dies sind jene Fragen, die gegenwärtig einen besonderen Klang besitzen und die nationale Sicherheit unseres Staates tangieren. Daher müssen sich die Abgeordneten sehr ausgewogen und aufmerksam diese durch das Prisma der Gewährleistung von Stabilität und Ruhe in der Gesellschaft anschauen“.

Es sei daran erinnert, dass während der Behandlung des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft im Kabinett von Alexander Lukaschenko vor ein paar Wochen er den Gedanken geäußert hatte, dass „man sich noch einmal jene anschauen muss, die nach dem Weggang ins Ausland zum Schaden des Staates und des Volkes handeln, womit sie Verbrechen begehen“. Damals hatte sich der Präsident die Frage hinsichtlich des Schicksals der politischen Emigranten gestellt: „Sind es diese Leute würdig, Bürger von Belarus zu bleiben, wenn sie aus dem Heimatland gerannt sind und faktisch mit ihm die Verbindungen abgebrochen haben?“. Nun haben die Abgeordneten diese Frage zu beantworten.

Und danach wird ein Gesetz über eine Amnestie an der Reihe sein. Ursprünglich war vorgesehen worden, dass sie zum Tag der Volkseinheit bekanntgegeben wird, der am 17. September begangen wurde. Der Feiertag ist aber ins Land gegangen, und die Amnestie wird erst noch diskutiert.

In ihrem Telegram-Kanal hat die Chefin der weißrussischen Opposition, Swetlana Tichanowskaja, so darauf reagiert: „Am 17. September ereignete sich keine Amnestie. Lukaschenko hat ein weiteres Mal gelogen. Er hat gleichfalls den „Feiertag“ des 17. September erfunden. Aber dies ist auch eine Lüge. Dieses Datum war niemals in der Geschichte ein Tag der Einheit für das Volk von Belarus gewesen“.

Tichanowskaja erklärte: „Dabei steigen in Belarus die Preise für buchstäblich alles, die Verhaftungen und Prozesse gehen jeden Tag weiter. Aber Regime belügt weiterhin sowohl sich als auch die Menschen, wonach es angeblich das Land aus der Krise führen könne. Dies sind aber auch bloß Worte. Solange das Regime täglich Nichteinverstandene festnimmt, sind jegliche Versprechen und „Amnestie“ lediglich ein Freimachen von Gefängnissen für neue Häftlinge. Die zivilisierte Welt weiß schon, was sein wird, wenn du einem Deal mit der Diktatur zustimmst, daher sind die alten Methoden nicht mehr akzeptabel“.

Swetlana Tichanowskaja ist der Auffassung, dass ein Kompromiss nur unter der Bedingung einer Freilassung aller, die die Opposition für politische Häftlinge hält, möglich sei. Sie betont: „Wir alle wollen, dass die Menschen aus den Gefängnissen kommen, damit die Familien wiedervereint werden, damit die Kinder wieder die Eltern umarmen können – ohne ein Schachern, ohne neue Festnahmen. Dann wird dies ein Beweis für eine Lösung der Krise und für eine Veränderung der Politik zum Wohl des Volkes sein. Freigelassen werden müssen alle. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Land ohne politische Häftlinge auch ein normales Land ist“.

Derweil stellt der Politologe Pawel Usow auf der Internetseite „Salidarnasz“ (deutsch: Solidarität) Überlegungen über die neuen Intonationen in der Rhetorik von Lukaschenko an. Und er denkt, dass ein Dialog mit ihm beginnen könnte, aber nicht zu solchen harten Bedingungen, die Tichanowskaja formulierte.

Usow betont: „ich glaube natürlich nicht den Worten Lukaschenkos. Bereits zu weit ist die Situation gegangen, sowohl im Land als auch außerhalb von ihm. Aber nicht zu begreifen, was sich abspielt, und dies zu ignorieren, das kann er nicht. Daher ist eine gewisse Abschwächung zumindest der Rhetorik seinerseits zu beobachten, was man anhand seines Auftritts beim „Forum“ am 17. September feststellen konnte“.

Der Experte hob hervor, dass der Präsident eindeutig harte Formel ablehne: „Dies ist bereits kein Mobilmachungsaufruf an seine Anhänger, der auf eine Vernichtung der inneren Feinde abzielt. Hier gibt es ein generelles WIR“.

Sicherlich erstmals seit vielen Jahren. Was ist dies aber, eine einmütige Erleuchtung bzw. Besinnung oder etwas Ernsthafteres? Darin könne man eine Andeutung für ein mögliches „Reden“ mit den Gegnern herauslesen: „Lassen Sie uns zur Vernunft kommen, im Interesse des Landes (!), welches Sie bereit sind, wie in den Jahren 2018, 2019 und 2020 zu zerreißen. Schließlich hatte er früher gefordert, dass die „Flüchtigen“ auf Knien herbeikriechen und um Vergebung bitten. Aber jetzt ein WIR, „Unser Land“ und äußere internationale Akteure gegen unsere Interessen“.

Der Experte ist der Annahme: „Ein Signal für eine neue Umgestaltung der Innenpolitik wird eine „Amnestie“ sein, die er auch selbst verkündete. Natürlich ist es nutzlos, eine vollständige Amnestie unter der Diktatur zu erwarten. Aber die Freilassung von Frauen (ohne Vorbedingungen), insbesondere von Katharina Andrejewa, Polina Scharendo-Panasjuk oder Valeria Kostjugowa, kann man als ein wirkliches Signal zum Handeln bewerten“.

Dabei stellt sich der Politologe die Frage: „Wie wird die demokratische Gemeinschaft darauf reagieren? Unter Berücksichtigung dessen, dass die Gesellschaft einerseits im Prozess der Konfrontation mit dem Regime einen hohen Preis zahlte und andererseits aufgrund dieser Anspannung müde geworden ist, die Hoffnung auf baldige Veränderungen verloren hat und von den politischen Akteuren enttäuscht ist“. Und er sieht zwei Varianten: Die erste ist eine harte. Das heißt die, die auch Tichanowskaja formulierte. Der Politologe hält aber auch die zweite als eine durchaus wahrscheinliche. Ihr Wesen besteht in Folgendem: „Ein von einem Kompromiss bestimmtes Vorgehen (bedingt — ein Deal): eine Lockerung der Sanktionen, der Beginn eines Verhandlungsprozesses hinter den Kulissen zwecks einer „weiteren Normalisierung der Situation“ im Land, ein Entziehen des Landes dem Einfluss Russlands und Garantien für eine persönliche Sicherheit Lukaschenkos“.

Derweil fordert Alexander Lukaschenko gerade selbst bei der Vorbereitung der aktualisierten Konzeption für die nationale Sicherheit, die Bündnisbeziehungen mit Russland zu fixieren. Er erklärte bei einer Begegnung mit dem Staatssekretär des Sicherheitsrates, Alexander Wolfowitsch: „Ich würde darum bitten, bevor wir sie im Sicherheitsrat behandeln, dass sie eine absolut offene ist. Man darf nichts verstecken, ausgehend von irgendwelchen politischen Motiven oder gar wirtschaftlichen“. Lukaschenko unterstrich: „Wenn wir mit Russland sind, bedeutet dies: Wir sind mit Russland. Wir haben einen Verteidigungsraum geschaffen. Wir haben gemeinsame Streitkräfte“.