Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Eine gemeinsame Zukunft von Weißrussland und Russland ist ganz und gar nicht garantiert


Der Tag der Einheit der Völker Weißrusslands und Russlands wurde durch gegenseitige Gratulationen der Staatsoberhäupter und Erklärungen von Experten über die Unzerstörbarkeit der Freundschaft beider Völker geprägt. Der Sanktionsdruck macht sie heute zu einer starken wie nie zuvor. Und als ein Zeichen der besonderen Bedeutsamkeit der brüderlichen Beziehungen wird sogar vorgeschlagen, den 2. April zu einem arbeitsfreien Tag in beiden Ländern zu machen. Die Opposition sieht jedoch ein ganz anderes Szenario für die Zukunft.

Alexander Lukaschenko gratulierte den Mitbürgern und erklärte: „Um stärker als die Sanktionen und das Diktat zu sein, erweitern und vertiefen wir die Integration zwischen Belarus und Russland. Es ist ein großer Schritt vorwärts unternommen worden, verabschiedet wurde ein großangelegtes Paket von Unionsprogrammen, gewährleistet sind praktisch gleiche Bedingungen für die Wirtschaftstätigkeit und den Handel, wie es auch zwischen Brudervölkern sein muss“.

Und sich an seinen russischen Amtskollegen wendend, unterstrich Weißrusslands Staatsoberhaupt: „Heute, an der Wende historischer Epoche, hat der Unionsstaat, in dessen Entwicklung wir nicht wenige Kräfte und Energie investiert haben, in vollem Maße seine Lebensfähigkeit und Effektivität demonstriert“.

Wladimir Putin erwiderte: „Dies entspricht zweifellos den grundlegenden Interessen unserer Brudervölker und ist unter Berücksichtigung der angespannten internationalen Lage wahrhaftig wichtig“.

Derweil bewertete die Vorsitzende des Föderationsrates, des russischen Oberhauses, Valentina Matwijenko, die Bedeutsamkeit des Feiertages so hoch, dass sie ihn in eine Reihe mit dem Tag Russlands und dem Tag der Volkseinheit (die in Russland am 12. Juni bzw. 4. November begangen werden – Anmerkung der Redaktion) stellte und sogar vorgeschlagen hat, ihn zu einem arbeitsfreien zu machen.

Der Integrationsprozess erlebte in diesem Jahr seinen 26. Jahrestag. Am 2. April 1996 hatten die Präsidenten Alexander Lukaschenko und Boris Jelzin in Moskau den Vertrag über die Bildung der Gemeinschaft von Belarus und Russland unterzeichnet. Die Geschwindigkeit und Intensität der Vereinigungsinitiativen waren im Verlauf der verstrichenen Jahre recht ungleichmäßige. Doch die „Wende der historischen Epochen“ hat sie, wie es scheint, zu alternativlosen gemacht. Dies erklärte im öffentlichen Raum eine ganze Reihe von Experten.

So konstatiert der Politologe Pjotr Petrowskij: „Im Jahr 2021 hat sich bei uns Vieles radikal verändert. Es gibt 28 Unionsprogramm für eine vertiefte Integration. Wir sind endlich endgültig zur Bezahlung in Rubeln für das Erdöl und Erdgas übergegangen. Mehr noch, zu innerrussischen Tarifen“.

Ihm pflichtet der Analytiker Alexej Awdonin aus dem Weißrussischen Institut für strategische Forschungen bei. „Wir sehen in den letzten zwei Jahren nicht einen Durchbruch, sondern ein massives Vorankommen in verschiedenen Richtungen. Die Stärke des Zusammenwirkens, der Integration ist in allen Bereichen eine große“.

Der Experte konstatiert: „Der Tag der Einheit wird wirklich mit einer inneren Energie begangen. Denn früher war dies eine gewisse Formalität. Jetzt ist dies etwas völlig anderes. Sicherlich sind in uns dieser slawische Geist und das Bewusstsein, dass, wenn wir nicht unsere Einheit bewahren, man uns trennen, uns auseinanderreißen und dann einzeln umbringen wird, erwacht“.

Eine Bürgschaft dafür, dass dieses überaus schlimme Szenario zum Scheitern gebracht wird, „sind die absolut einmaligen Beziehungen“ der Oberhäupter beider Staaten. Gerade so hatte sie auch Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, in einem großen Interview für den staatlichen Fernsehkanal „Belarus 1“ charakterisiert. Seinen Gedanken erläuternd, betonte er: „Glauben Sie mir, mitunter sagen sie sich einander ganz und gar unangenehme Sachen. Und sie verteidigen sehr hart die Interessen ihrer Länder (denn es gibt ja doch Interessen von Belarus, und es gibt die Interessen Russlands)“.

Der Pressesekretär erklärte gleichfalls: „Dies ist eine Integration unabhängiger souveräner Staaten. Aber gerade jene Integration, die nicht nur für den Staat Gutes bringt, sondern, was das Wichtigste ist, für die Völker beider Länder. Daher braucht man überhaupt dem kein Gehör schenken, was Ihre Opposition sagt, die da durch die westlichen Länder Defilees auf Kosten der westlichen Steuerzahler veranstaltet. Dies ist solch ein pseudopolitischer Tourismus. Man muss ihnen keine Beachtung schenken“.

Derweil versäumte es einer der angesehenen „politischen Touristen“ nicht, sich an dem gleichen Tag hinsichtlich der Integrationsprozesse zu äußern. Pawel Latuschko, Weißrusslands einstiger Kulturminister und heutzutage einer der Anführer der Opposition, bezeichnete den Feiertag als einen „Tag der Einigkeit von Aggressoren“.

Allerdings gibt es unter den Kommentaren seitens der Opposition auch recht überraschende. Beispielsweise hat der Politologe Igor Tyschkewitsch Tendenzen hervorgehoben, die seines Erachtens davon zeugen würden, dass Alexander Lukaschenko ganz und gar nicht die Orientierung auf Russland als eine alternativlose ansehe. In seinem Blog unterstrich der Experte: „Irgendetwas sagt mir voraus, dass Lukaschenko bald zu singen anfängt, wie er bereit sei, der Ukraine beim Wiederaufbau zu helfen. Zumindest gibt es einige interessante Nachrichten, die zwei Tage erfassen: Die russischen Truppen in Belarus werden weniger, sowohl die Landgruppierung als auch die Luftstreitkräfte… Erneute Erklärungen von Lukaschenko an sich über einen Frieden und so weiter und so fort… Die Aufhebung der Restriktionen für eine Ausreise aus dem Land (darunter auf das Territorium der Ukraine) für die Bürger von Belarus“.

Was aber die geopolitischen Orientierungen der eigentlichen Opposition angeht, so belegt sie recht sinnfällig der Name der Freiwilligen-Einheit, die aus Bürgern Weißrusslands besteht und derzeit auf dem Territorium der Ukraine handelt – Kastus-Kalinouski-Bataillon (war ein Adeliger und eine der führenden Persönlichkeiten der belarussischen nationalen Befreiungsbewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Anführer des polnischen Januaraufstandes 1863–64 im Gebiet des früheren Großfürstentums Litauen, sowie Publizist und Dichter – Anmerkung der Redaktion). Die Bildung der Einheit hat Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja begrüßt. Alexander Lukaschenko bezeichnete aber deren Teilnehmer als „verrückte Bürger“, wohl auch im Wissen darum, dass Kalinouski für eine Loslösung der weißrussischen Gebiete von Russland und deren Integrierung in den Bestand einer neuen Rzeczpospolita mit der Hauptstadt Warschau gekämpft hatte.