Als am 24. Februar Russlands Präsident offiziell den Befehl zu einer militärischen Sonderoperation im Nachbarland erteilte, begann diese mit voller Wucht, um scheinbar so schnell wie möglich die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Wladimir Putin hatte sie mit den Worten „Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“ sowie die Etablierung eines neutralen Status, wie es auch in der ukrainischen Verfassung festgeschrieben ist, umschrieben. „Strikt nach Plan“ und methodisch zerstören die russischen Truppen wichtige Infrastrukturobjekte, laut Meinung von Beobachtern aber nicht so rasch, wie man in den ersten Tagen der Operation erwartet hatte. Nach inzwischen zwei Wochen Kampfhandlungen meldete der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow, am Mittwochabend, dass 2814 Objekte der militärischen Infrastruktur der Ukraine zerstört worden seien, unter anderem 974 Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge, 89 Kampfflugzeuge und 57 Hubschrauber. Über 90 Prozent der Luftabwehrkomplexe großer und mittlerer Reichweite seien im Nachbarland nicht mehr einsatzfähig. Verursachte Zerstörungen von ukrainischen Zivilobjekten waren kein Thema, wohl auch, weil Moskau lt. offizieller Lesart hochpräzise Waffen nur gegen militärische einsetzt. Kein Wort verloren wurde gleichfalls über die eigenen Verluste, so dass die erste und gleichzeitig letzte offizielle Zahl aus der ersten Woche der Sonderoperation – knapp 500 tote russische Soldaten und Offiziere – bisher unverändert im Raum steht.
Aber nicht nur tote und verwundete Militärs haben die Bürger Russlands für die von Präsident Putin angeordnete Operation zu bezahlen, denn viele Länder des westlichen Auslands reagierten auf das Vorgehen Moskaus gegen Kiew mit Sanktionen, die im Vergleich zu denen nach dem „Krim-Frühling“ von 2014 weitaus härter ausfallen und weite Bevölkerungskreise treffen. Zum einen schließen Handelsketten ihre Geschäfte und beliebte Fast-Food-Anbieter ihre Restaurants, Mastercard und Visa lassen die russischen Touristen ohne Bargeld fern der Heimat. Die russischen Fluggesellschaften, deren Park zu großen Teilen aus geleasten Boeing- und Airbus-Jets besteht, fliegen nicht mehr ins Ausland, um Beschlagnahmungen zu umgehen. Die Liste der verhängten Wirtschaftssanktionen wird immer länger. Zur gleichen Zeit verursachen die wie eine Welle aufgekommenen Wirtschaftsprobleme auch innenpolitische Herausforderungen. Patriotismus und Geschlossenheit um das Staatsoberhaupt und die russische Armee sind gefragt. Wer aber letztere diskreditiert wird bestraft – mit Geld- und Haftstrafen. Andere Kritiker des „Kreml-Abenteuers“ verlassen das Land oder gehen in eine innere Emigration, hüllen sich in Schweigen. Hurra-Patrioten schlagen derzeit gar vor, die Betriebe und Einrichtungen ausländischer Unternehmen und Investoren, die sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen haben, zu nationalisieren.
Einen hohen Preis müssen aber auch die Ukrainer zahlen, die gegen die militärische Sonderoperation der russischen Armee Widerstand leisten. Zahllose Tote und Verwundete, Flüchtlingsströme im Land und ins Ausland, die sich laut unterschiedlichen Angaben im Millionenbereich bewegen. Zerstörungen in Städten und Dörfern, aber auch in den Köpfen der Menschen. Eigentlich sind die Ukrainer und Russen Brudervölker, die überdies ein gemeinsamer Glaube vereint. Doch in den letzten acht Jahren haben sich Entwicklungen in der Ukraine vollzogen, die von den Offiziellen in Kiew unterschätzt und nicht kupiert worden sind. Es kann nicht bestritten werden, dass ukrainische Nationalisten außer Kontrolle geraten sind, ihr Unwesen im Land treiben und nicht vor Straftaten zurückschrecken, dass manche Entscheidungen der Regierenden ohne Berücksichtigung der Nachbarländer getroffen wurden. Jedoch alle mehr als 40 Millionen Ukrainer über einen Kamm zu scheren, sie als Nationalisten und Radikale hinzustellen – dies stößt auf Unverständnis, auf Ablehnung. Genauso wie das Bestreben, das der große Nachbar im Norden klar und deutlich formulierte. Nach seinem Willen soll die Ukraine ein neutrales Land sein, keine Mitgliedschaft in der NATO anstreben und den neuen Status quo in Bezug auf das Landesterritorium akzeptieren (also ohne die Krim und die von Moskau anerkannten Donbass-Republiken). Und dies alles unter Missachtung, mit einem Ignorieren der Wünsche, Interessen und der Zukunftsvorstellungen des ukrainischen Volkes.
Ein riesiger Schaden ist bereits in den ersten zwei Wochen der russischen Militäroperation angerichtet worden. Ihr Ende ist nicht abzusehen, wie jüngst auch im Élysée-Palast nach dem letzten Telefonat von Präsident Emmanuel Macron mit Wladimir Putin konstatiert wurde, denn im Kreml will man das begonnene Unterfangen voll durchziehen. Um jeden Preis. Trotz des Widerstands, den die Ukrainer leisten und über den Präsident Wladimir Selenskij in einer erneuten Botschaft an das Volk am 14. Tag der Kämpfe sprach. „NG Deutschland“ veröffentlicht nachfolgend auszugsweise eine Übersetzung dieser emotionalen Ansprache.
„Tapfere Ukrainer eines unbeugsamen Landes!
Wir haben bereits den 14. Tag unserer Verteidigung, unseres Verteidigungskampfes. Den 14. Tag unseres Vereinens. Eines wahrhaft gesamtukrainischen. Die Dimension der Bedrohung für den Staat ist eine maximale. Das Okkupationskontingent hat bereits fast alle auf unser Territorium kommen lassen, die man für einen Einmarsch in die Ukraine vorbereitet hatte. Aber auch die Dimension unserer Antwort ist eine maximale. Und dies sind zwei verschiedene Worte „maximale“ – bei ihnen und bei uns.
Sie haben nur Technik. Ein Maximum. Wir haben zu der Technik auch noch unser Volk. Es ist auf der Höhe. Sie haben nur Befehle. Angreifen, töten, schikanieren. Wir aber haben auch noch den realen Wunsch von Millionen Ukrainern zu siegen. Sich zu verteidige, ihren Staat zu säubern…
Ukrainer! Ukrainerinnen!
Alles liegt in unseren Händen. Wir haben standgehalten und die ganze Welt durch unsere Entschlossenheit inspiriert. Es gibt keine Ecke auf der Welt, wo man nicht weiß, mit was für einem Heroismus das ukrainische Volk unser wunderbares Land verteidigt. Selbst dort, wo man uns nicht unterstützt, selbst weiß man gut darum, was wir erreicht haben. Und man spürt, was wir noch erreichen werden, wenn wir das Land bewahren. Wenn wir die Einheit wahren, die nationale Stärke. Wenn wir auch weiterhin weise und kühn auf die Aktivitäten des Feinds reagieren werden, der die Mauern unserer Häuser, unserer Schulen, unserer Kirchen zerstören kann. Er kann die ukrainischen Unternehmen zerstören. Er wird es aber nie bis zu unserer Seele schaffen, zu unserem Herzen, unserem Vermögen, frei zu leben. Und tapfer zu kämpfen.
Unsere Militärs und Angehörigen der territorialen Verteidigung vermochten das Arsenal unserer Technik durch viele Trophäen aufzufüllen, die auf dem Schlachtfeld genommen wurden. Die Panzer des Feinds, Schützenpanzer und Munition werden nun für unsere Verteidigung wirken. Für unser Leben. Für unser Land. Was kann für Okkupanten erniedrigender sein? Wir werden gegen den Feind mit seinen Waffen kämpfen. Zusätzlich zu unseren, die die russischen Truppen bereits nicht schlecht zu spüren bekommen haben. Sie haben es so zu spüren bekommen, dass sich immer mehr Soldaten und Kommandeure des Gegners die einfache Frage stellen: Wozu hat man sie in dieses fremde Land geschickt, in diesen Krieg? Auch wir haben keine Antwort. Außer einer – um ums Leben zu kommen.
Russische Soldaten!
Ihr habt noch eine Chance, um zu überleben. Fast zwei Wochen unseres Widerstands haben Euch gezeigt, dass wir uns nicht ergeben werden. Denn dies ist unser Haus. Dies sind unsere Familien und Kinder. Wir werden kämpfen, solange wir nicht unser Land zurückgeholt und solange wir nicht im vollen Maße für all unsere getöteten Menschen geantwortet haben. Für die getöteten Kinder. Ihr könnt Euch noch retten, wenn Ihr einfach geht. Glaubt nicht Euren Kommandeuren, wenn sie sagen, dass Ihr noch Chancen in der Ukraine habt. Auf Euch wartet hier nichts. Außer eine Gefangenschaft, außer der Tod. Ihr nehmt unsere Leben und gebt Eure her…
Man muss diesen Krieg beenden. Man muss zum Frieden zurückkehren. Verlasst unsere Häuser, kehrt zu Euch zurück!“
Am Donnerstag kommen in Antalya die Außenminister Russlands und der Ukraine unter Vermittlung der Türkei zusammen. Seit dem OSZE-Außenministertreffen Anfang Dezember in Stockholm wird dies ihre erste persönliche Begegnung sein. Mit Spannung wird der Ausgang dieser Gespräche erwartet, denn in beiden Ländern ist man an einer Wiederherstellung des Friedens interessiert.
Das Treffen dauerte 1,5 Stunden und wurde praktisch auf einen Meinungsaustausch reduziert. Inzwischen kündigte Ukraine die Beschlagnahme russischen Eigentums in der Ukraine an.