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Eine Präsidentschaft Bidens erhöht die Risiken von Finanzsanktionen gegen Russland


Ein Sieg von Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen kann die Richtung der antirussischen Sanktionen seitens der USA ändern. Zu einem neuen Ziel der Restriktionen kann der russische Finanzsektor werden. Ihre Wirtschaft vor der größten globalen Krise seit den letzten 100 Jahren werden die Vereinigten Staaten zu Lasten anderer Länder retten. Darunter auch zu Lasten Russlands, meinen Experten der „NG“.

Analytiker und Politiker diskutieren aktiv die langfristigen Folgen für die russische Wirtschaft bei einem möglichen Wechsel des Hausherren im Weißen Haus und sind in den Meinungen uneinig, was für die Russische Föderation vorzuziehen sei – eine Stabilität in Gestalt von Donald Trump oder „Neues“ in Gestalt von Joe Biden, der als Vizepräsident unter Barak Obama durch harte Handlungen gegen die Russische Föderation aufgefallen war. 

Am Donnerstag sahen entsprechend den Ergebnissen der Auszählung der Stimmen von den US-Präsidentschaftswahlen, die am 3. November stattgefunden hatten, Bidens Chancen vorteilhafter aus. Er hatte 253 Stimmen bei 270 notwendigen für einen Sieg bekommen, während Donald Trump nur auf 214 Wahlmännerstimmen gekommen war. 

Vor dem Hintergrund dieser Nachrichten wurden die Handelsgeschäfte an den amerikanischen Aktienbörsen mit dem stärksten Zuwachs der letzten vier Monate abgeschlossen. Die Moskauer Börse verzeichnete einen Anstieg von 2,2 Prozent. Und der Rubel zeichnete sich durch die stärkste positive Dynamik der letzten vier Jahre aus. 

Biden werde genauso wie auch Trump im Falle eines Sieges einen für Russland unbequemen außenpolitischen Kurs verfolgen, meint Dmitrij Nowikow, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsduma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten. Mehr noch, nach Meinung des Abgeordneten sei bei Biden der antirussische Vektor härter und klarer ausgeprägt. „Sowohl Biden als auch Trump werden einen gelinde gesagt recht unangenehmen Kurs für die Russische Föderation in der internationalen Arena mit unterschiedlichen Methoden fahren“, sagte der Parlamentarier. 

Von Biden werden im Falle seines Sieges härtere Aktionen in Bezug auf Russland erwartet, pflichtet der Business-Botschafter von „Delowaja Rossia“ („Business-Russland“) in Kalifornien, Ilja Mikin, bei. „Für die Wirtschaftsbeziehungen Russlands und der USA wäre ein Sieg von Trump ein wünschenswerterer. Wenn man sich das Ergebnis von2019 anschaut, so ist der Handelsumsatz zwischen den Ländern ungeachtet der Sanktionen um 4,9 Prozent gestiegen. Da dies aber im Falle eines Sieges die letzte Amtszeit von Tramp sein wird, kann er freier agieren und weiter die Beziehungen zwischen unseren Ländern aufbauen“, nimmt Mikin an.  

Der Leiter der Verwaltung für Informations- und analytischen Content der Firma „BKS Welt der Investitionen“ Wassilij Karpunin ist der Auffassung, dass ein Sieg Bidens die Annahme eines neuen Pakets von Maßnahmen zur Stimulierung der amerikanischen Wirtschaft beschleunigen und die Handelsbeziehungen der Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China verbessern könne, was sich wiederum positiv auf die sich entwickelnden Märkte einschließlich des russischen auswirken werde.  

Karpunin hofft gleichfalls, dass sich mit Bidens Machtantritt die Beziehungen der USA und Chinas verbessern könnten. „Der Fokus wird auf eine Verringerung der Spannungen in den Handelsbeziehungen der USA mit vielen Ländern einschließlich der Volksrepublik China gelegt werden“, ist sich der Analytiker gewiss. Viele Experten denken jedoch anders. So hält die deutsche Zeitung „Die Welt“ die Hoffnungen auf eine Verbesserung in der Weltwirtschaft aufgrund eines möglichen Tauwetters in den Beziehungen der USA und Chinas für ungerechtfertigte. „Pekings Problem: In Washington ist es inzwischen parteiübergreifender Konsens, dass man gegenüber China – besonders in Handels- und Menschenrechtsfragen – klare Kante zeigen muss. Zudem hat der Demokrat Joe Biden – im Gegensatz zum Isolationisten Trump – angekündigt, mit Europa zusammenzuarbeiten. Eine transatlantische Allianz, die für einen harten Kurs gegenüber Peking eintritt – das wäre für die Volksrepublik die noch größere Katastrophe,“ schreibt das angesehene Blatt. 

Das Düsseldorfer „Handelsblatt“ betont, dass, auch wenn Biden als ein Gegner der Gaspipeline „Nord Stream 2“ gelte, er jedoch nicht so hart wie Trump für einen Export amerikanischen verflüssigten Schiefergases nach Europa eintrete. Und dies erhöhe die Chancen für Kompromisse.   

Eine nahe Meinung vertritt Andrej Kortunow, Generaldirektor des Russischen Rates für internationale Angelegenheiten. Seinen Worten zufolge werde Biden anstreben, die transatlantische Einheit wiederaufleben zu lassen. Russland könnte dadurch sogar gewinnen. Möglicherweise werde Biden „vorsichtiger Sanktionen gegen die europäischen Unternehmen anwenden“, die am Projekt „Nord Stream 2“ beteiligt sind, vermutete Kortunow.

Alexander Timofejew, Dozent der Russischen G.-V.-Plechanow-Wirtschaftsuniversität, ist sich gewiss, dass im Falle einer Wahl Bidens der Druck auf Russland wie auch auf jegliche Interessen Russlands in der Außenpolitik mehr werde. „Am ehesten werden neue Akzente in Bezug auf die lokalen bewaffneten Konflikte gesetzt. Man kann eine markantere Präsenz der USA bei der Lösung der ukrainischen Fragen erwarten. Aufgrund des Alters wird Biden danach streben, früher nicht umgesetzte Pläne zu realisieren. Er wird anstreben, die Positionen sowohl in Europa als auch im Nahen Osten und in Asien, wo vor allem die Interessen Chinas und der USA aufeinanderprallen, zu verstärken“, sagte der Experte gegenüber der „NG“. „Für Russland ist es am wichtigsten, dass das Projekt „Nord Stream 2“ zu arbeiten beginnt. Nicht auszuschließen sind auch Zugeständnisse seitens Russlands, wenn der Druck auf das Bankensystem der Russischen Föderation und die Schuldenobligationen zunehmen wird. Die Banken sind nicht die schwächste Stelle. Doch neue Einschränkungen für den Finanzbereich sind recht wahrscheinlich.“ 

„Der Sanktionsdruck auf Russland wird sich auf jeden Fall verstärken, wer immer auch bei den Wahlen gewinnt“, sagte gegenüber der „NG“ der Exekutivdirektor des Departments für Kapitalmärkte der Investitionsfirma „Univer Capital“, Artjom Tusow. „Unter Trump, der mehrfach von einer Verbesserung der Beziehungen mit Russland sprach, sind nicht wenige Sanktionen hinzugekommen. Biden aber macht aus seiner negativen und militanten Haltung hinsichtlich unseres Landes keinen Hehl daraus.“ 

Im Verlauf der nächsten vier Jahre sei zu erwarten, dass die US-Administration (wer immer sie auch anführen mag) weiter die Wirtschaftsinteressen des eigenen Landes auf Kosten anderer Regionen durchsetzen werde. Und unser Land sei keine Ausnahme, denkt Tusow. „Dies betrifft besonders den Öl- und Gasmarkt. Die USA verdrängen planmäßig die russischen Rohstoffe vom europäischen und asiatischen Markt, wobei sie keinen Hehl daraus machen. Dies betrifft auch „Nord Stream 2“, die eine Konkurrenz für die zunehmenden Lieferungen amerikanischen LNGs in die EU verursachen. Dies gilt auch für die erste Phase des Handelsabkommens mit China, in dem eine ernsthafte Erweiterung der Lieferungen verflüssigten Gases aus den Staaten vorgesehen ist (dabei verringern sich die Lieferungen russischen Pipelinegases durch die Leitung „Power of Sibiria“). Die Welt ist in eine globale Krise geraten, in die größte der letzten 100 Jahre. Und natürlich werden die Staaten ihre Wirtschaft durch ein Verdrängen anderer Länder retten. Die betrifft in erster Linie die Volksrepublik China und Russland. Dies taten die vorangegangenen Präsidenten der USA im Verlauf vieler Jahre. Diese Politik wird auch im Weiteren fortgesetzt werden“, sagte der Experte. 

„Unabhängig von den Wahlergebnissen werden die USA einen Anlass finden, um ein neues Sanktionspaket gegen Russland in Kraft zu setzen. Unter Biden wird dies aber einfach schneller erfolgen als unter Trump“, sagte Pawel Sigal, 1. Vizepräsident von „Opora Rossii“ („Stütze Russlands“) gegenüber der „NG“. „Der Kandidat versprach, hart zu agieren. Der neue Präsident muss Macht und reale Handlungen im Amt demonstrieren. Daher sind Sanktionen gegen „Nord Stream 2“ und russische Finanzorganisationen wahrscheinlich“. Es bestehe die Wahrscheinlichkeit, dass das Oberhaupt der USA einen Anlass in einer angeblich erneuten Einmischung in die amerikanischen Wahlen finden werde, obgleich die amerikanischen Geheimdienste keinerlei Attacken fixieren. Und er werde neue Sanktionen auch noch aus diesem Anlass verhängen, schließt der Experte nicht aus. 

„Jeder der Kandidaten, der zum Präsidenten wird, wird Russland keinerlei Unterstützung bescheren. Sie müssen gegen das Coronavirus und dessen Folgen kämpfen. Daher werden kolossale Mittel gebraucht, die durch das Drucken neuen Geldes und eine aggressive Wirtschaftspolitik beschafft werden“, meint Sigal.   

Derweil verfolgen den erbitterten Kampf von Trump und Biden und die gegenseitigen Anschuldigungen in Bezug auf Wahlfälschungen auch die Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle. „Meister“ (https://t.me/maester) kritisiert das Geschehen: „Beim Anblick jeglicher Person, die sich an den „hohen Standards der westlichen Demokratie“ begeistern wird, kann man getrost „einen Vogel zeigen“ und an seiner geistigen Gesundheit. Nun, und die Amerikaner verlieren endgültig das Recht, irgendwem „Demokratie beizubringen“, wenn sie überhaupt irgendwann einmal dieses Recht hatten“. Nicht weniger skeptisch reagieren die Autoren des Kanals „Die Maus im Gemüsefeld“ (https://t.me/kbrvdvkr). Die Autoren des Kanals „Müsli laut gedacht“ (https://t.me/mysly) kommentieren Meldungen amerikanischer Medien, wonach ein Wähler im Alter von mehr als 200 Jahren gefunden worden sei: „Ein Wähler des Jahrgangs 1823. Das ist so herrlich, dass es dafür keine Worte gibt. Zugleich bedeutet dies, dass das Wählerverzeichnis in Detroit hinsichtlich einer Übereinstimmung mit der Realität mindestens 100 Jahre lang nicht überprüft worden ist. Und vielleicht ist es überhaupt nie überprüft worden“. Und der Chefredakteur des Hörfunksenders „Echo Moskaus“, Alexej Wenediktow, lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die Wahlen in den USA sogar Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko bei einem Telefon erörtert haben. „Was sollen sie denn noch erörtern?“, ironisiert Wenediktow auf seinem Kanal (https://tlgrm.ru/channels/%40aavst55).