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Eine Verbesserung der Beziehungen mit den USA? Der Kreml hegt da keine Hoffnungen


Das vergangene Jahr wurde von tektonischen Veränderungen in der Außenpolitik Russland geprägt. Neben dem großen Ukraine-Konflikt stand im Zentrum der Ereignisse die tiefe Krise in den Beziehungen mit den westlichen Ländern, der im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts herangereift war. Die Sache ist so weit gegangen, dass Außenminister Sergej Lawrow bei der Bilanzierung der Tätigkeit der russischen Diplomatie im Jahr 2022 den USA die Vorbereitung einer „Endlösung für die russische Frage“ vorwarf.

„Genauso wie Napoleon praktisch das ganze Europa gegen das Russische Imperium mobilisierte, wie Adolf Hitler die meisten europäischen Länder eroberte und bewaffnete und sie gegen die Sowjetunion einsetzte, haben die USA eine Koalition aus praktisch allen Europäern, die zur NATO und der EU gehören, formiert und führen über die Ukraine „entsprechend einer Vollmacht“ einen Krieg gegen unser Land auch mit eben jener Aufgabe – einer Endlösung für die „russische Frage“. Hitler wollte endgültig die „Juden-Frage“ lösen“, erinnerte Lawrow (und trat damit ordentlich ins Fettnäpfchen, urteilt man anhand der Reaktion des Europäischen Jüdischen Kongresses – Anmerkung der Redaktion).

Obgleich antiamerikanische Ausfälle in der letzten Zeit keine Seltenheit gewesen waren, erklangen früher keine derartigen Charakterisierungen für Washington seitens Lawrows. In dem vom Minister skizzierten Bild von der heutigen Welt erscheinen die USA als ein weltweiter „Diktator“, der nicht nur die Europäische Union, die „sich vollkommen dem amerikanischen Diktat unterordnete“ (ein Narrativ Moskaus, das seit langem verbreitet wird und unter der russischen Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert wird – Anmerkung der Redaktion), aber auch Großbritannien, Japan, Australien und andere Länder verwalte. Die Position der Vereinigten Staaten wird in Moskau als das „Hauptproblem, dass Schwierigkeiten hinsichtlich aller Koordinatenachse schafft“, anerkannt.

Den Aussagen des Sekretärs des russischen Sicherheitsrates, Nikolaj Patruschew, nach zu urteilen, seien die Ereignisse um die Ukraine zum Ergebnis einer mehrjährigen Vorbereitung der USA auf einen Hybrid-Krieg gegen Russland geworden. Wobei „man begreifen muss, dass selbst mit einer Beendigung der „heißen Phase“ des Konflikts in der Ukraine die angelsächsische Welt den Proxy-Krieg gegen Russland und dessen Verbündete nicht beenden wird“, verkündete er seine Sicht auf die Situation auf einer jüngsten Tagung zu Fragen der Ausbildung von Ingenieurkadern für den Schiffbau und die Seestreitkräfte Russlands.

Alles in allem sind die russisch-amerikanischen Beziehungen ohne irgendeine Andeutung für eine mögliche Enteisung ins Jahr 2023 gekommen. Wenn Lynne Tracy, die vor kurzem in Moskau eingetroffene neue Botschafterin der USA, im Weißen Haus und im State Department keine Anweisung erhalten hat, zumindest den Versuch zu unternehmen, das Knäuel von Problemen in den bilateralen Beziehungen zu entwirren. Augenscheinlich hat nicht zufällig der Koordinator für strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat, John Kirby, das Amt des Botschafters der US in der Russischen Föderation, das nach der plötzlichen Abreise von John Sullivan aufgrund familiärer Umstände im vergangenen September vakant geworden war, als „einen diplomatischen Schlüsselposten“ bezeichnet.

Und Tracy selbst hatte gesagt, dass sie mit einer Erweiterung der offiziellen Nachrichtenkanäle zwischen Washington und Moskau rechne und beabsichtige, „sich an Russlands Bürger auf allen Ebenen der Gesellschaft zu wenden“. „Selbst in den düstersten tagen des sowjetischen Regimes hatten Menschen guten Willens in unseren beiden Ländern Verbindungen miteinander geschaffen“, erinnerte sie. Allerdings erklärte Tracy Ende November bei Anhörungen im Senatsausschuss für internationalen Angelegenheiten, die der Bestätigung ihrer Kandidatur gewidmet waren, dass sie mit dem Sanktionskurs Washingtons in Bezug auf Moskau einverstanden sei und eine weitere Verschärfung der antirussischen Restriktionen unterstütze. Entsprechend der Ironie des Schicksals hatten gerade am 26. Januar, als Lynne Tracy nach einer fünfjährigen Unterbrechung wieder Moskauer Boden betreten hatte, das State Department und das US-Finanzministerium Sanktionen gegen eine neue große Gruppe russischer Staatsbeamter, Geschäftsleute, Militärs, aber auch Unternehmen verhängt.

Merkwürdig sei nach Meinung der offiziellen Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa auch das, dass das Eintreffen von Tracy mit der Entscheidung von Präsident Biden über die Lieferung amerikanischer Panzer an die Ukraine zusammengefallen sei. „Einen schlechteren Background für die Botschafterin kann man sich nicht ausdenken“, sagte Sacharowa ironisch bei ihrem Briefing am 27. Januar.

Auf die Frage nach den Perspektiven für eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen im Lichte des Eintreffens der neuen US-Botschafterin antwortete Sacharowa: „Von was für einer Verbesserung kann die Rede sein, wenn die USA die Lieferung schwerer Waffen beschließen, aus denen man unsere Bürger zu töten plant? Ein Fortschritt wäre eine Nichtverschlechterung der bilateralen Beziehungen. Aber daran ist schwerlich zu glauben“.

Derweil stelle sich Tracy das Ziel, die Anzahl der Mitarbeiter der US-Botschaft zu erhöhen und in der Perspektive die Ausstellung von Visa wiederaufzunehmen, erklärte Anfang Januar der Sprecher des State Departments, Ned Price, bei einem Briefing. „Sie wird die Aufmerksamkeit auf die Leitung der Botschaft und die Aufrechterhaltung der bilateralen Beziehungen in der Zeit der außerordentlich hohen Spannung sowie die Arbeit mit den russischen Behörden, um die personelle Versorgung der amerikanischen Botschaft zu verbessern, konzentrieren“, sagte er. Nach Aussagen von Price sei dies für eine Wiederaufnahme der Basisfunktionen der Botschafter, darunter für die Ausstellung von Visa notwendig.

Eine andere Priorität für Tracy werde, wie sie sagte, die Befreiung der in Gewahrsam in der Russischen Föderation verbliebenen Amerikaner sein. Unter ihnen ist Paul Whelan, der im Dezember 2018 von russischen Geheimdiensten festgenommen worden war. Im Jahr 2020 erkannte man ihn aufgrund von Spionage für schuldig und verurteilte ihn zu 16 Jahren Lagerhaft. „Wie der Präsident der USA unmittelbar der Whelan-Familie sagte, werden unsere Anstrengungen zur Befreiung von Paul so lange fortgesetzt werden, solange er nicht nach Hause zu seiner Familie zurückkehrt, die ihn mit Ungeduld erwartet“, erklärte US-Außenminister Antony Blinken am 28. Dezember.

Was aber den weiteren Dialog zwischen Moskau und Washington zur Ausarbeitung neuer Abkommen im Bereich der Rüstungskontrolle angeht, so sei er nach Aussagen von Tracy möglich, nachdem Russland Vertretern der USA erlaubt, die Inspektionen im Rahmen des Vertrages zum Abbau und zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen wiederaufzunehmen.

Wie sich herausstellte, hatten die USA „mit Ungeduld“ die Durchführung der Tagung der bilateralen Konsultationskommission zum Start-3-Vertrag erwartet, die vom 29. November bis einschließlich 6. Dezember in Kairo stattfinden sollte. Washington hätte jedoch damals nach Aussagen von eben jenem John Kirby keine „eindeutige Antwort“ von Moskau über die Gründe für die Verschiebung des Treffens erhalten.

Einige Tage später erklärte der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow, dass die USA ausschließlich eine Wiederaufnahme der Inspektionen diskutierten wollten, die seit dem Jahr 2020 nicht mehr durchgeführt wurden, zuerst aufgrund der COVID-19-Pandemie und danach aufgrund deren Aussetzung, die von Russland am 8. August 2022 bekanntgegeben wurde. Die harten restriktiven Maßnahmen des Westens gegen Moskau haben Bedingungen geschaffen, unter denen sich die Durchführung von Inspektionen durch Russland in den USA im Rahmen des Start-3-Vertrages vom Wesen als eine blockierte erwies. Das Fehlen eines normalen Flugverkehrs zwischen Russland und den USA, die Sperrung des Luftraums für ein Überfliegen durch russische Flugzeuge durch die europäischen Verbündeten der Vereinigten Staaten, die Probleme mit dem Erhalt von Transitvisa für die Mitglieder der Inspektionsgruppen und Flugbesatzungen, die Schwierigkeiten bei der Vornahme von Zahlungen für Leistungen während der Inspektionen – all dies hat die russischen Überprüfungen auf dem Territorium der USA erschwert.

Dieser Tage war Rjabkow in einem Interview für die Moskauer Tageszeitung „Kommersant“ offenherziger. Er erläuterte, dass es seitens Washingtons recht merkwürdig gewesen sei, von Moskau eine Wiederaufnahme der Inspektionstätigkeit auf Objekten der strategischen Offensivwaffen unter Bedingungen zu verlangen, unter denen „das Kiewer Regime Versuche unternahm, Schläge gegen Objekte unserer weitreichenden Luftstreitkräfte zu führen, und dies bei einer unmittelbaren militärtechnischen sowie Aufklärungs- und informationsseitigen Beteiligung der USA. Es ergibt sich die Frage: Was gerade wollen die Amerikaner dort überprüfen? Die Folgen dieser Attacken?“ (womit Rjabkow nicht gerade originell war – Anmerkung der Redaktion).

Am 24. Januar fand ein Treffen des russischen Botschafters in den USA, Anatolij Antonow, und Lynne Tracy in der Residenz des russischen Botschafters in Washington statt. Details des Gesprächs der Diplomaten hatte die Botschaft nicht preisgegeben, im State Department betonte man aber, dass sie nicht über „irgendeine Form für eine Regulierung durch Verhandlungen“ im Zusammenhang mit den Handlungen Russlands in der Ukraine gesprochen hätten.

Am selben Tag erklärte Rjabkow gegenüber Journalisten, dass die Erörterung der Fragen, die mit den Reizfaktoren in den russisch-amerikanischen Beziehungen zusammenhängen, mit Tracy fortgesetzt werde. Bisher gelinge es nach seinen Worten nicht Berührungspunkte hinsichtlich der problematischen Themen in den Beziehungen Moskaus und Washingtons zu finden. Und dass man im Kreml keine Hoffnungen auf eine Verbesserung der Beziehungen mit den USA nach der Ernennung der neuen Botschafterin hätte, erklärte zuvor Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des Präsidenten der Russischen Föderation. Zumal die Involviertheit der Vereinigten Staaten in den bewaffneten Konflikt Russlands und der Ukraine zunehme.

Nach Meinung von Valerij Garbusow, Direktor des USA- und Kanada-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, sei die Ernennung von Tracy – der ersten Diplomatin für das Amt des amerikanischen Botschafters in Moskau – zweifellos eine wichtige Tatsache. Für eine Veränderung des Charakters des russisch-amerikanischen Zusammenwirkens sei dies aber unter den gegenwärtigen Bedingungen bei weitem keine entscheidende. Die Ernennung eines neuen Botschafters führe selten zu einer Wende in zwischenstaatlichen Beziehungen.

„Die große Professionalität Tracys sowie die Kenntnisse der russischen Sprache, über das Aufenthaltsland und der ganzen Region insgesamt können helfen, die Probleme zu lösen, die sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Konsular-Einrichtungen und Botschaften ergeben. Möglicherweise können sie helfen, gesellschaftliche Kontakte anzubahnen und jene Barrieren zu beseitigen, die durch beide Seiten in der letzten Zeit errichtet wurden“, sagte Garbusow der „NG“. „Dabei ist wichtig, dass ihre Anstrengungen in dieser Richtung ein Echo sowohl seitens der russischen Offiziellen als auch in der Gesellschaft finden“.

Die aus Barberton (US-Staat Ohio) stammende Lynn Tracy beendete 1986 die University of Georgia und erhielt den Grad eines Bachelors auf dem Gebiet der Sowjetologie. 1994 erhielt sie den wissenschaftlichen Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften in der University of Akron — School of Law. In Russland hatte sie mehrmals gearbeitet, unter anderem von 1987 bis einschließlich 1990 in der Botschaft, aber nicht im Status einer Diplomatin. Von 2014 bis einschließlich 2017 bekleidete sie das Amt des stellvertretenden Leiters der diplomatischen Mission der USA in Moskau (Botschafter war zu jener Zeit John Francis Tefft). Bis zu ihrer Ernennung für Russland leitete sie die US-Botschaft in Armenien. Und vor dem Einsatz in Jerewan war sie Senior-Berater für Russland-Fragen im Büro des State Departments für Angelegenheiten Europas und Eurasiens.

Der berufliche Werdegang Tracys umfasst gleichfalls eine Tätigkeit in der Funktion einer stellvertretenden Botschafterin der USA in Turkmenistan, eines leitenden Mitarbeiters der US-Mission in Pakistan (Peschawar), einer Mitarbeiterin für politische Fragen in Afghanistan und einer Konsulatsmitarbeiterin in Kirgisien. Hinsichtlich der Ergebnisse des Dienstes als Konsulin der Vereinigten Staaten in Peschawar in den Jahren 2006-2009 erhielt Tracy die Auszeichnung „Für Heroismus“ von der damaligen Außenministerin Hillary Clinton.