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Einige Worte zur „Kontakt-Geopolitik“


Ein Krieg gegen die Ukraine. Beinahe drei Monate befindet sich dieses Thema im Mittelpunkt der internationalen Agenda. Mit einem unweigerlichen Strom an analytischen Materialien, die den Einschätzungen von Vorteilen und Verlusten für Russland gewidmet sind.

Außenpolitische Vorteile und Interessen Russlands sind schwer zu finden. Eine Einnahme Kiews? Eine Ablösung des Regimes? Eine Okkupation des gesamten Landes von Donezk bis nach Lwow? Wozu? Was soll mit diesem Territorium und diesem Volk getan werden? Wie wird auf den Protest der einheimischen Bevölkerung reagiert werden, auf die Demonstrationen von Millionen, auf die Antikriegsmanifestationen, auf den Widerstand? Auf den Partisanenkampf? Doch nicht etwa mit Hilfe der russischen Garde?

Wenn lediglich die selbstproklamierten Republiken Donezk und Lugansk angegliedert werden sollen, so bedarf diese Aktion keine solche Menge an Gefechtstechnik. Denn die Anerkennung dieser Gebilde ist vor allem ein politischer Akt. Er wird gleichzeitig einen freiwilligen Ausstieg Russlands aus den Minsker Abkommen bedeuten, deren Draft (englisch: Entwurf) bekanntlich Wladimir Putin eigenhändig niedergeschrieben hatte. Wozu soll er die Legitimität der russischen politischen Position aufgaben, die durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates sanktioniert wurde?

Die unweigerlichen antirussischen Sanktionen werden in diesem Fall zu einer spürbaren Verschlechterung der Finanz- und wirtschaftlichen Lage des Landes und seiner Bürger führen. Und die zusätzliche Bürde an Ausgaben für die Finanzierung des Lebens und der neuen Ordnung auf den angegliederten Territorien wird zu einer weiteren Zunahme der Inflation und einem Einbrechen der Realeinkommen der Bevölkerung führen. Wobei die innere Stabilität untergraben wird.

Man kann sich auch die innenpolitischen Interessen ansehen, die mit Hilfe der Instrumente einer äußeren Militärpolitik erreicht werden können. Dies wird vor allem eine scharfe Wende zu Totalitarismus, Isolationismus sowie zu einer Vernichtung der Opposition und eines Andersdenkens sein. Und zu einer Verstärkung des Blocks der Militärs sowie der Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane in der Elite, der auf maximale Weise vom ersten Teil der Verfassung mit ihrer Apologie der Menschenrechte und -freiheiten entfernt ist. Die Delegitimierung der höchsten Offiziellen im Interesse der einflussreichen Gruppen unter ihnen ist kein so exotisches Thema, wie es scheint, sondern ein durchaus funktionierendes, ein instrumentelles.

Ein Krieg führt stets zu einer Verstärkung der Kommando- und zentralisierten Ansätze in der Führung der Gesellschaft, bei der Kollektivierung und Sozialisierung, zu einer Verteilung und Umverteilung sowie zu einem Aufstieg von Demagogen und Schwätzern, von Lügen-Patrioten und einfach Betrügern, von jenen, die sich durch Militärlieferungen und Mangelerscheinungen bereichern.

Unter diesen Bedingungen braucht das Regime eine Vereinigung, einen Zusammenschluss um einen bewehrten Führer. Für lange Jahre. Je länger, umso bewehrter! Anders gesagt: Dieses Szenario brauchen jene, denen heute alles recht ist und die keinen unberechenbaren (Macht-) Transit brauchen. Durch die Qualität, das Niveau und die Art und Weise des Lebens der Bürger des Landes.

Wladislaw Surkow (ein früherer Berater des russischen Präsidenten von 2013 bis 2020 – Anmerkung der Redaktion) hat in seiner nachdenklichen Manier einen Text geschrieben, der beweist, dass es in Russland eine ernsthafte Schicht einflussreicher und waghalsiger Menschen – Anhänger der „Kontakt-Geopolitik“ für einen „richtigen Frieden“ gibt. Surkow schreibt: „Es ergibt sich: Russland ist nach vielen Jahren erneut zurück in die Grenzen eines „ungehörigen Friedens“ zurückgedrängt worden. Ohne den Krieg verloren zu haben, ohne an einer Revolution krank geworden zu sein. Es reichte irgendeine lachhafte Perestroika (russisch: Umgestaltung), irgendeine trübe Glasnost (russisch: Transparenz), damit das sowjetische Patchwork-Imperium aus den Nähten ging. Folglich war die fatale Anfälligkeit in das System eingebaut worden.

Und was weiter? Genau: keine Stille. Im Weiteren viel Geopolitik. Praktische und angewandte. Und möglicherweise sogar eine Kontakt-Geopolitik.

Wie auch anders, wenn es für Russland eng ist. Und langweilig und beschämend… und undenkbar, in den Grenzen des ungehörigen Friedens zu bleiben.

Wir sind für Frieden. Das versteht sich. Aber nicht für einen ungehörigen. Für einen richtigen“.

Die Konzeption für einen „richtigen Frieden“, einen Frieden, der nicht auf einer völkerrechtlichen Anerkennung der Grenzen, eines Friedens mit einer grenzüberschreitenden Herrschaft „von Menschen mit einer richtigen Ideologie“ im Kopf beruht, die mit der „Kalifat“-Konzeption verwandt ist, die die Terroristen im Nahen und Mittleren Osten vor einigen Jahren durchzusetzen versucht hatten. Das hatte nicht geklappt. Man hatte sie zerbombt, darunter auch die russischen Luft- und Kosmos-Streitkräfte. Es darf keiner keinerlei Illusionen dahin gehend geben, dass es irgendwem gelingen wird, wie sehr sich auch dieser irgendwer für einen charismatischen halten möge, einen „richtigen Frieden“ zu schaffen. Der richtige Frieden heute ist ein Frieden, der auf den völkerrechtlichen Standards der UNO basiert.

Die Veröffentlichung des Textes von Surkow ist als eine Illustrierung jener unumstößlichen Tatsache wichtig, dass es in Russland Interessen einzelner einflussreicher „Interessengruppen“ gibt, die durchaus den nationalen Interessen Russlands als Staat widersprechen können. Und des russischen Volkes insgesamt. Diese Interessengruppen von Kämpfern gegen einen „ungehörigen Frieden“ gehören wahrscheinlich zu jenem Typ von Fanatikern, für die der subjektive idealistische Wert ihrer eigenen Vorstellungen von einer richtigen Weltordnung stets die Erwägungen hinsichtlich des Wohlergehens des Volkes überwiegt.

Hier lohnt es sich auch nicht, viel zu reden. Es genügt sich zu erinnern, wie diese Idealisten vor einhundert Jahren das orthodoxe Christentum für einen wertlosen Irrtum hielten und anfingen, Kirchen zu zerstören, Kreuze einzuschmelzen und Ikonen zu verbrennen. Schließlich nimmt der Kampf gegen einen „ungehörigen Frieden“ und für den neuen Menschen keine Rücksicht auf Opfer und den Volkszorn.

Wir erinnern uns, dass sich der „imperialistische Krieg“ damals in einen Bürgerkrieg verwandelte. Dieses Mal ein dummes Wiederholen unserer Geschichte nicht zuzulassen, ist eine Aufgabe der Gesellschaft.

Wir sind gegen einen Krieg!