Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Elektronische Einberufung in die Armee – was bedeutet dies konkret


Angeblich plane der Kreml keine neue Mobilisierungswelle, doch das neue Einberufungsgesetz spricht scheinbar eine andere Sprache. Wehrdienstfähige können künftig per E-Mail eingezogen werden. Wer nicht erscheint, wird praktisch zur Fahndung ausgeschrieben. Wenn auch nicht sofort.

In Russland können Staatsbürger künftig elektronisch zur Armee einberufen werden. Präsident Wladimir Putin unterzeichnete am Freitag ein erst am Dienstag und Mittwoch von beiden Parlamentskammern im Schnelldurchlauf verabschiedetes Gesetz, das die Mobilisierung von Soldaten deutlich erleichtern soll. Künftig kann Reservisten ihr Einberufungsbescheid auch über ein staatliches Online-Portal übermittelt oder einer anderen Person zugestellt werden. Bisher mussten Einberufungsbescheide persönlich zugestellt werden.

In Russland ist die Digitalisierung des öffentlichen Lebens stark verbreitet. Zum Beispiel sind praktisch alle russischen Bürger auf dem staatlichen Web-Portal Gosuslugi (Staatliche Dienstleistungen) registriert. Alle Ärztebesuche, Impfungen, Zahlungen von Steuern oder Strafen, die Registrierung von Wohnungen beim Kauf oder Verkauf, Anträge auf die Ausstellung neuer Pässe, Anmeldungen oder Abmeldungen usw. erfolgen heutzutage in der Regel über diese Internetseite, wo jeder registrierte russische Bürger (aber auch ständig in Russland lebende und arbeitende Ausländer bzw. Staatenlose) seine persönliche Zugangsstelle (ein sogenanntes persönliches Kabinett) hat und mit der Verwendung eines elektronischen Codes Zugang bekommt.

Praktisch kann das unter anderem mit Hilfe von Mobiltelefonen (aber keine Knopf-Handys) erfolgen. Schließlich kann man diese staatliche Internetseite auf Handys installieren und mit denen jedes Mal aufrufen.

In jedem Stadtbezirk gibt es außerdem die sogenannten multifunktionalen staatlichen Zentren, wo all diese elektronischen Leistungen doubliert werden. Man kann dort persönlich erscheinen und unter Vorlage des Inlands- oder Reisepasses alle notwendigen Auskünfte schriftlich von den Mitarbeitern des Zentrums bekommen.

Im September vergangenen Jahres erklärte Vizepremier Dmitrij Tschernyschenko, dass es in Russland etwa 130 Millionen Internet-Nutzer gebe. Dies sind etwa 90 Prozent der gesamten russischen Bevölkerung. Freilich sagt diese beeindruckende Zahl nichts darüber, wie intensiv das Internet genutzt wird. Überdies gibt es nach wie vor Regionen, wo es Probleme mit einem Zugang zum Internet gibt. Darauf verwiesen auch die Kritiker des neuen Gesetzes über die Digitalisierung der Erfassung von Wehrpflichtigen. Ungeachtet dessen hat das Gesetz bereits viel Beunruhigung unter Russlands wehrpflichtigen Männern ausgelöst, da viele Details erst nach und nach bekannt werden. Ja, es sind einige Restriktionen in dem Dokument vorgesehen, die jedoch nicht sofort wirksam werden. Diese sind jedoch teilweise sensible – Sperrung von Konten, das Verbot für die Registrierung von Privatunternehmen bis hin zu einem Ausreiseverbot oder gar die Verwehrung von Krediten. Im Verteidigungsministerium, das hinter der Neuerung steht, ist sich ebenfalls im Klaren, dass nicht jeder einen Account auf dem Webportal „Gosuslugi“ hat. Diese Glückspilze werden also weiterhin auf traditionelle Art und Weise Einberufungsbescheide erhalten, wie Andrej Kartapolow, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses in der Staatsduma, erklärte. Ab 1. Oktober – mit Beginn der Herbsteinberufungskampagne – wird das Gesetz zur Wirkung kommen. Und ob sich bis dahin das Gefühl von Verantwortung und Bewusstheit bei Russlands Männern entsprechend entwickeln wird (denn gerade darauf beruhe das neue Gesetz lt. Kartapolow), bleibt abzuwarten.