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Erneut will man gegen Patriarch Kirill Sanktionen verhängen


Im Vorfeld der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK, auch Weltkirchenrat), die vom 31. August bis 8. September 2022 in Karlsruhe stattfinden wird, sind erneut die Diskussionen über einen Ausschluss von Patriarch Kirill und der Russischen orthodoxen Kirche aus dieser ökumenischen Organisation aufgeflammt. Freilich, dieses Mal hatten die Mitglieder des Rates beschlossen, listig zu handeln: Sie haben die Orthodoxe Kirche der Ukraine praktisch zu einem Mitglied des Weltkirchenrates gemacht, indem sie deren Beobachter zur Vollversammlung nach Deutschland eingeladen haben, womit sie die Russische orthodoxe Kirche nötigen, den Weltkirchenrat zu verlassen.

Nachdem Großbritannien zum ersten und vorerst einzigen Land geworden ist, das das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche auf eine Sanktionsliste aufgrund dessen Unterstützung für die international kritisierte militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine gesetzt hat, hat sich im Ökumenischen Rat der Kirchen spürbar die antirussische Lobby aktiviert.

Vom 15. bis 18. Juni fand eine turnusmäßige Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen statt, bei der eine Reihe von Reformen gebilligt wurden. Erstens wurde ein neuer Generalsekretär gewählt. Anstelle des rumänischen orthodoxen Geistlichen, Priester Prof. Dr. Ioan Sauca, der seit Ende März des Jahres 2020 geschäftsführender Generalsekretär gewesen war, wird nun ab Januar kommenden Jahres Pastor Prof. Dr. Jerry Pillay den Ökumenischen Rat der Kirchen leiten. Er gehört zur Presbyterianischen Unionskirche im südlichen Afrika und stammt auch aus Südafrika.

Zweitens wurde das Thema der Ukraine angesprochen und eine Erklärung der Mitglieder des ÖRK verabschiedet, in der sie den „illegalen und nicht zu rechtfertigenden Krieg“ der Russischen Föderation auf dem Territorium der Ukraine verurteilten. In dem Dokument wird gleichfalls „jeder Missbrauch der religiösen Sprache und religiösen Autorität zur Rechtfertigung dieser bewaffneten Aggression“ zurückgewiesen. Dies war ein Seitenhieb gegen Patriarch Kirill, der die Politik Russlands unterstützte und unterstützt. Es erfolgte auch eine Diskussion über die Vertreibung der Russischen orthodoxen Kirche aus dem Kirchenrat. Freilich ist im Zentralausschuss der Organisation bisher eine Minderheit für diese Idee eingetreten. Jerry Pillay äußerte sich taktvoll für die Notwendigkeit einer Fortsetzung des Dialogs mit dem Moskauer Patriarchat, wobei er der Auffassung ist, dass „eine militante Politik keinen Nutzen bringt“ und nur „die oft aus dem Munde von Patriarch Kirill zu vernehmende These bestätigt, dass der Westen gegenüber Russland feindselig eingestellt sei“.

Es wurde jedoch auch ein effektvoller Schachzug vorgenommen: Der Ökumenische Rat der Kirchen hat die Orthodoxe Kirche der Ukraine eingeladen, zu einem vollwertigen Mitglied dieser ökumenischen Organisation zu werden. Mit der Entsendung eines Engagements an das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine hat der Rat somit den kanonischen Charakter und die Legitimität dieser Kirche anerkannt. Als die die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandria taten, aber auch die Oberhäupter der orthodoxen (autokephalen) Kirche von Griechenland und der Zypriotischen orthodoxen Kirche, brach das Moskauer Patriarchat mit ihnen die eucharistischen Kontakte ab. Dementsprechend wird die Delegation der Russischen orthodoxen Kirche, die sich bereits mit allen Kräften auf eine Teilnahme an dem Gipfeltreffen in Karlsruhe vorbereitet, mehrere Tage lang an einem Ort mit Vertretern der Orthodoxen Kirche der Ukraine koexistieren müssen.

Das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanij (Dumenko) hat in der ganzen vergangenen Woche Besuche in europäischen Institutionen unternehmen und Reden gehalten, die Russland und die russische Orthodoxie anprangerten. Interessant ist, dass beinahe sofort nach seinen spektakulären Erklärungen Delegierte der Synode der Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz, die vom 13. bis 15. Juni in Bern stattgefunden hatte, mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit (44 dafür und 29 dagegen) den Vorschlag annahmen, die Frage nach einem Ausschluss der Russischen orthodoxen Kirche aus dem Weltkirchenrat zu erörtern. Zum Initiator der Idee war der Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Michel Müller, geworden, der unterstrich, dass „die Haltung von Patriarch Kirill für den gesamten Ökumenismus unerträglich ist“.

Eine so harte Haltung gegenüber der Russischen orthodoxen Kirche seitens einiger Mitglieder des Weltkirchenrates hängt wahrscheinlich auch noch mit dem Wechsel des Leiters der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen des Moskauer Patriarchats zusammen. Durch einen Beschluss des Synods vom 7. Juni hat dieses Amt nun Metropolit Antonij (Sewrjuk) eingenommen. Und der einstige Chef des diplomatischen Amtes der Kirche – Metropolit Hilarion (Alfejew) – ist nach Budapest versetzt worden. Dabei hatte Alfejew Anfang Mai noch als Vertreter der Russischen orthodoxen Kirche an der orthodoxen Vorversammlung des Weltkirchenrates, die auf Zypern erfolgte, teilgenommen. Beobachter hatten hervorgehoben, dass die Haltung des hochrangigen Kirchenvertreters in Bezug auf die Sonderoperation der Russischen Föderation, die während dieser Begegnung formuliert worden war, kritischer als die von Patriarch Kirill gewesen sei. Nachdem Alfejew sein Amt verloren hat, wird er wohl kaum zur Vollversammlung des Weltkirchenrates reisen. An seiner Stelle wird Antonij (Sewrjuk) nach Deutschland kommen, der – wie Experten annehmen – vollkommen Patriarch Kirill unterstellt ist und nicht beginnen werde, von der Hauptlinie der Russischen orthodoxen Kirche abzugehen.