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Es ist schrecklich schädlich, nicht zu ökumenischen Bällen zu fahren


Patriarch Kirill wird nicht zum VII. Kongress der Führungskräfte der weltweiten und traditionellen Religionen nach Kasachstan fahren, der am 14. und 15. September stattfinden wird. Dies hatte am 24. August der Leiter der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, der Metropolit von Wolokolomask Antonij (Sewrjuk), Journalisten mitgeteilt. Die Nachricht hatte aus dem einfachen Grunde Rummel ausgelöst, dass in Kasachstan ein langerwartetes persönliches Treffen des Patriarchen mit dem römischen Papst Franziskus geplant wurde. Das erneute Scheitern solch einer Begegnung wurde von vielen Massenmedien und Bloggern als das Ergebnis der Differenzen in den Beziehungen zwischen der orthodoxen und der katholischen dargestellt. Der „antikatholische“ Flügel der Russisch-Orthodoxen Kirche interpretiert wie stets derartige Sachen als ihren Erfolg. Für den „orthodox-patriotischen Sektor“ sind die Beziehungen mit den Katholiken ein extrem schmerzhaftes Thema. Allerdings hängt die Ursache für den Verzicht von Kirill auf die Reise wohl kaum mit den Beziehungen zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Vatikan zusammen. Sie sind hier eher überhaupt auf dem zehnten Rang. Ein Kasachstan-Besuch des Oberhauptes der Russisch-Orthodoxen Kirche entspricht heute offensichtlich nicht der Politik des Kremls. Und in diesem Fall ist die Entscheidung von Kirill eher eine Entscheidung der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation. Im Juni hatte Kasachstans Staatsoberhaupt Qassym-Schomart Tokajew erklärt, dass sein Land nicht die Donbass-Republiken DVR und LVR anerkenne. Ja, und überhaupt, unter Führung von Tokajew hat Kasachstan ein schwieriges Spiel begonnen. Im Sommer fingen Analytiker an, davon zu sprechen, dass er „sich von Putin entferne“ und „zwischen Russland und der NATO laviert“. Ein Besuch des Patriarchen in solch einer „instabilen“ Region wird offenkundig unangebracht sein, solange sich Kasachstan nicht hinsichtlich seiner Prioritäten festgelegt hat. Kasachstan ist nicht Weißrussland, und Tokajew ist nicht Lukaschenko, zu dem der Patriarch nach eigenem Eingeständnis „mit leichtem Herzen“ fährt.

Die Beziehungen mit dem Vatikan und eine mögliche Begegnung mit dem Papst sind aber für die Russisch-Orthodoxe Kirche eine völlig separate Frage. Und es gibt Grund zur Annahme, dass dieses Thema für die Patriarchie nach wie vor eines der vorrangigen ist. Mehr noch, wie der Vorsitzende der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen, Metropolit Antonij, sagte, sei ein Treffen des Patriarchen mit dem Papst nach seiner Meinung so wichtig, dass es zu einem einzelnen Ereignis werden müsse und keine zufällige Episode am Rande irgendeines Forums sein dürfe.

Die Sache ist die, dass in der nikodimschen Kirchentradition, zu der sowohl der Patriarch als auch sein Protegé Antonij gehören, die Kontakte mit dem Vatikan (und überhaupt mit ausländischen religiösen Organisationen) ein überaus wichtiger Trumpf in den Beziehungen zwischen der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Staat sind. So war es zu Sowjetzeiten gewesen. Und so bleibt es teilweise auch derzeit. Dies ist ein überaus wichtiges Kapital, das von der Patriarchie mehrfach für die Klärung von Fragen in der Heimat genutzt wurde und das man natürlich nicht einfach verschleudert.

Die Entlassung des Vorgängers von Antonij, von Metropolit Hilarion (Alfejew), aus dem Amt des Leiters der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen im Juni dieses Jahres ist von vielen fehlerhaft als ein „Scheitern der philokatholischen Partei“ in der Russisch-Orthodoxen Kirche aufgefasst. Tatsächlich aber ist Antonij ein weitaus größerer Ökumenist und Philokatholike als Hilarion. Und während Hilarion ein Sproß aus der Moskauer „Pitirim“-Szene ist (das heißt aus dem Kreis von Metropolit Pitirim (Netschajew), der recht feindselig gegenüber Metropolit Nikodim (Rotow) eingestellt und ganz bestimmt Kirill fremd ist), so ist Antonij ein hundertprozentiger Mann von Kirill, in der Vergangenheit war er sein persönlicher Sekretär und ist überdies vom Geist her ein Anhänger von Nikodim (während des Studiums in den Sankt Petersburger geistlichen Schulen hat er sogar einen Metropolit-Nikodim-Preis erhalten).

Bei der Amtseinführung von Antonij als Vorsitzender der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen hatte der Patriarch bemerkenswerte Worte gefunden, die viel über die Haltung der Nikodim-Vertreter zum interkonfessionellen Dialog aussagen: „Das Amt, das sie angenommen haben, steht mit einer sehr schwierigen Tagesordnung in einem Zusammenhang. Dies ist eine Arbeit, wie man jetzt sagt, „an der Außenkontur“, die heutzutage keine friedliche und ruhige ist, sondern im Gegenteil von einer erheblichen Spannung und vielen Konflikten geprägt wird. Und obgleich diese Konflikte nicht im Kirchenbereich liegen, ist die Kirche aber, ob sie dies möchte oder nicht, aufgrund ihres Wesens in das Leben der Menschen involviert“. Anders gesagt: Der Patriarch gab zu verstehen, dass alle Kataklysmen der letzten Jahre in der christlichen Welt (einschließlich – wie es sich ergibt – sowohl der Spaltung mit Konstantinopel als auch der schwierigen Situation mit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche sowie der Meinungsverschiedenheiten mit dem Papst und der Differenzen mit den Kollegen aus dem Weltkirchenrat) für vom Wesen einfach Politik seien und nichts, was „im Kirchenbereich“ liegt. Die Zeiten ändern sich, alles wird sich wandeln, man muss arbeiten.

Von einer Verstärkung des Nikodim-Vektors in der Patriarchie zeugen auch die Entscheidungen des jüngsten Synods, die am 25. August verabschiedet wurden. Unter anderem ist die Verwaltung der Moskauer Patriarchie für die Auslandseinrichtungen aufgelöst und unmittelbar in die Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen integriert worden. Vom Prinzip her hatte sowohl das eine als auch das andere auch so Metropolit Antonij (Sewrjuk) geleitet. Die symbolische Bedeutung dieser administrativen Reform ist aber recht groß. Dies bedeutet, dass der Patriarch erstens unbedingt Antonij vertraut. Und zweitens ist die „Hochburg“ von Antonij zu einer geschlossenen und von daher eine bedeutendere geworden. Es sei daran erinnert, dass zu Beginn seines „Pontifikats“ Kirill in einer genau entgegengesetzten Art und Weise handelte. Nachdem er Patriarch geworden war, teilte er die heimatliche bzw. angestammte Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen in Teile zwischen Hilarion (Alfejew) und Oberpriester Wsewolod Tschaplin auf. Offensichtlich, um die Machtkonzentration in wenigen Händen zu verringern. Ja, und jetzt ist alles sozusagen in die entgegengesetzte Richtung vorgenommen worden.

Für eine Festigung der Positionen von Antonij wird mittelbar auch noch eine andere schicksalsschwere Entscheidung des Synods wirken, die alle im Stand einer Nonne oder eines Mönchs betrifft. Dies ist das faktische Verbot, neue „städtische“ Mönche zu weihen, die keiner konkreten Mönchsgemeinde angehören und nicht in einem Kloster leben. Dies bedeutet, dass der „Zutritt“ zur Korporation der Erzbischöfe der Russisch-Orthodoxen Kirche nunmehr spürbar erschwert wird. Früher konnte ein Erzpriester ein Mensch werden, der nicht einen einzigen Tag in einem Kloster gelebt hatte (wie die meisten Bischöfe der Nikodim-Ära inklusive Patriarch Kirill an sich). Jetzt wird die Messlatte angehoben: Um irgendein Dienstamt außerhalb eines Klosters zu bekommen, ganz zu schweigen vom Amt eines Erzpriesters bzw. Bischofs, muss man zuerst wie alle leben, sozusagen auf allgemeiner Grundlage.

Dies bedeutet, dass Patriarch Kirill bereits die eigene „Rekrutierung“ junger Erzpriester bzw. Bischöfe im Range von Führungskräften, die in der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen und Religionsschulen erzogen wurden, abgeschlossen hat. Das erforderliche Kontingent ist zusammengestellt worden. Und jetzt muss man es vor potenziellen Konkurrenten bewahren. Die Bischöfe werden augenscheinlich aus den Reihen der Klosterbewohner gestellt werden – und möglicherweise gar häufiger, da ein bestimmter Personalmangel in der russischen Kirche andauert (es wirken sich auch die Folgen der COVID-Pandemie aus). Wie aber die Praxis zeigt, sind solche Bischöfe weitaus weniger vom Management her und politisch aktiv. Und sie werden dort gebraucht, wo Bischöfe in der Rolle von Statisten nötig sind (ein charakteristisches Beispiel ist dafür das heutige Weißrussische Exarchat). Insgesamt wird es eine Konsequenz geben: Die Machtvertikale des Patriarchen wird noch weiter gefestigt. Seine Umgebung wird ihr Gewicht erhöhen. Die gefährlichen „Emporkömmlinge“ bzw. „Arrivierten“ und „Skandal-Auslöser“ aber werden weit vor dem Erreichen der Verwaltungsstrukturen ausgebootet.

Dass Anatolij auf entschiedene Handlungen und Schritte orientiert ist, belegen die symbolträchtigen Absetzungen der letzten Tage von „außenpolitischen“ Kirchenämtern. Nach Metropolit Hilarion, der „sich nicht in die Wende eingetaktet hatte“, sind auch andere Mitglieder des Hilarion-Teams entlassen worden. So wurde „auf eigenen Wunsch“ Oberpriester Nikolaj Balaschow, der einstige Stellvertreter von Metropolit Hilarion, der nach der Ablösung von letzterem in der Struktur der Abteilung zu einem „fünften Rad“ geworden war, aus der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen verabschiedet. Entlassen wurde gleichfalls der langjährige Mitstreiter von Alfejew, Oberpriester Andrej Kordotschkin, aus dem Amt des Sekretärs der Hispano-Portugiesischen Diözese.

Antonij, der im Unterschied zu Hilarion nicht mit spektakulären Kommentaren in den Massenmedien zu nicht zum Profil gehörenden Themen wie etwa die Schwangerschaftsverhütung oder das Schicksal des Lenin-Mausoleums um sich wirft, bewegt sich jedoch im eigentlichen Berufsmetier weitaus souveräner. Am 5. August hatte er sich mit Papst Franziskus getroffen. Die Audienz erfolgte hinter verschlossenen Türen. Details des Gesprächs wurden nicht bekanntgegeben. Möglicherweise wird sich Antonij auch in den nächsten Septembertagen mit dem Pontifex treffen. Schließlich wird gerade er anstelle von Patriarch Kirill die Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Religionsgipfel in Kasachstan leiten. Der Patriarch aber, der einst ein ständiger Gast von ökumenischen Veranstaltungen gewesen war, wird dieses Mal augenscheinlich zu Hause bleiben. Was für ihn sicherlich unangenehm ist. Schließlich sei es schrecklich schädlich, wie Aschenbrödel im entsprechenden Stück von Schwarz sagte, „nicht zu Bällen zu fahren, wenn du dies verdienst!“.