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Es ist verfrüht, das Szenario für einen langjährigen Konflikt Russlands mit der Ukraine ad acta zu legen


Die russische Regierung erwartet, dass bereits im kommenden Jahr in unserem Land ein Wirtschaftswachstum und eine Wiederherstellung der Realeinkommen der Bevölkerung beginnen. Dieses hoffnungsvolle Szenario ist uns aber ganz und gar nicht aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung der ukrainischen Krise garantiert. Unter den möglichen Szenarios muss man auch den Übergang des Konflikts in der Ukraine in eine langwierige Phase mit zunehmenden Unkosten für die russische Wirtschaft im Blick haben. Schließlich sind viele Experten berechtigt der Auffassung, dass Russland nicht die ukrainische Armee und die ukrainische Wirtschaft gegenüberstehen, sondern das weitaus wesentlichere Potenzial des kollektiven Westens. Dabei offerieren die Verbündeten der USA Kiew einen Zugang zu einer umfangreichen finanziellen und wirtschaftlichen Unterstützung.

Eines der letzten Beispiele für solch eine Unterstützung ist die Abschwächung der Kraft- und Brennstoffkrise in der Ukraine durch europäische Benzin-Lieferungen. Nach den russischen Raketenschlägen gegen ukrainische Erdölverarbeitungsbetriebe hat die Europäische Union praktisch die Kraftstoff-Versorgung der Ukraine übernommen. Und der Benzin-Mangel ist im Land verringert worden. Die Störung der Arbeit der ukrainischen Ölverarbeitungsbetriebe durch die russische Armee hat bereits aufgehört, ein signifikanter Faktor auf dem Weg zur Beendigung des Konflikts zu sein. Täglich passieren die Grenze der Ukraine seitens der Europäischen Union bis zu 230 Benzin-Tankfahrzeuge. Im Juni hat die EU bisher 600.000 Tonnen Kraftstoff in die Ukraine geliefert – zehnmal mehr als im März.

Laut westlichen Schätzungen gebe Russland für die Absicherung seiner den bereits 119. Tag andauernden Sonderoperation bis zu einer Milliarde Dollar am Tag aus. Und das ukrainische Finanzministerium schätzte die Ausgaben des Landes für einen Monat Kampfhandlungen auf zehn Milliarden Dollar. Man kann mit der militärischen Buchhaltung streiten. Aber der prinzipielle Unterschied besteht in etwas anderem: Die Russische Föderation kann sich nur auf die eigenen Ressourcen und Reserven stützen, die Kiewer Führung aber – auf Ressourcen aller NATO-Ländern und anderer Verbündeter der USA.

Im Falle einer Verschleppung oder gar Ausweitung des Konflikts wird die Rückkehr zu den Wirtschaftsparametern aus der Zeit vor der Krise zu einer wenig realen. Und gerade dieses Szenario entspricht durchaus den Interessen unserer Widersacher und Feinde, die das Prinzip der Zügelung Russlands proklamiert haben. Die den Krieg unterstützenden westlichen Spitzenvertreter machen keinen Hehl daraus, dass sie auf eine Verschleppung des Konfliktes setzen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, dass die Kampfhandlungen in der Ukraine Jahre andauern könnten, und rief auf, die Unterstützung für Kiew nicht einzustellen, selbst wenn der Preis aufgrund der Verteuerung der Energieträger und Lebensmittel ein hoher sein werde. Das bedeutet: Es ist wünschenswert, in den russischen Wirtschaftsprognosen und langfristigen Entwicklungsprogrammen die Pläne der NATO hinsichtlich einer Verschleppung des Konflikts zu berücksichtigen. Sowohl für die Gesellschaft als auch für das Business ist es wichtig zu verstehen, wie sich das Land bei den negativen Szenarios entwickeln wird. Ist in das System ein Festigkeitsreserve eingebracht worden? Solch eine Planung wird den Herrschenden erlauben, die Risiken der einen oder anderen Entscheidungen durchzuspielen.

Vorerst aber dominieren in der Russischen Föderation, besonders unter den Anhängern der Sonderoperation, die Hoffnungen auf eine baldige Wende in den Stimmungen der ukrainischen Militärs. Den Angaben soziologischer Erhebungen nach zu urteilen, dominiert hier vorerst die Siegesgewissheit.

Die Bürger der Russischen Föderation verfolgen aufmerksam die Erfolge der Sonderoperation und die Befreiung von immer neuen Ortschaften. Ihnen scheint der Fortschritt ein offenkundiger zu sein. In der ukrainischen Gesellschaft gibt es aber – stellt sich heraus – völlig andere Vorstellungen von der Realität. Das US-amerikanische Unternehmen PR Newswire befragte Anfang Juni rund eintausend Ukrainer und fand heraus, dass sich mehr als die Hälfte der Befragten der militärischen Siege der Ukraine über Russland gerade jetzt sicher gewesen waren. Die Erfolge der Russischen Föderation auf dem Schlachtfeld hatten nur sechs Prozent der befragten Ukrainer gesehen. Solch eine Vorstellung von der Realität in den Köpfen der ukrainischen Bürger ist zweifellos das Produkt der Propaganda und von Repressalien aufgrund alternativer Meinungen (was auch in Russland sicherlich nicht anders ist, allein schon aufgrund der verschärften Gesetzgebung gegen angeblicher Fake-News oder eine angebliche Diskreditierung der in der Ukraine agierenden russischen Armee – Anmerkung der Redaktion). Aber diese Tatsache hebt nicht das Gleichgewicht der gesellschaftlichen Stimmungen auf, denen nach zu urteilen, es bis zu einer Bereitschaft, den Konflikt in der Ukraine zu beenden, noch weit ist.