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Ethnische Enklaven werden in Russland zu einer Realität


Laut einer Statistik des Innenministeriums war in der ersten Hälfte des Jahres 2022 eine Zunahme der Straftaten unter den Ausländern, die sich in der Russischen Föderation befinden, zu beobachten. Der überwältige Anteil sind Bürger aus Ländern der GUS. Insgesamt aber seien die Einwanderer für nicht mehr als vier Prozent der Straftaten verantwortlich, beruhigen eine Reihe von Experten. Andere pflichten solch einem Optimismus nicht bei, wobei sie darauf verweisen, dass dies nicht mehr als „die Durchschnittstemperatur für ein Krankenhaus“ sei. Man müsse sich die Situation in den für die Ankömmlinge attraktivsten Regionen anschauen. Und die Offiziellen müssten sich noch mit dem Problem der immer größeren Anzahl ethnischer Enklaven befassen, die zu Brutstätten für ein widerrechtliches Verhalten werden würden. Wie die „NG“ herausgefunden hat, sind bisher keine konkreten Maßnahmen gegen sie ausgearbeitet worden. Alle Handlungen gehen im Gegenteil davon aus, dass diese Enklaven zu einer Realität geworden sind.

Russlands Innenministerium fixiert weiterhin eine Zunahme der Anzahl von durch Ankömmlinge verübter Straftaten. Wie im Ministerium betont wird, sind im ersten Halbjahr das Jahres 2022 „durch ausländische Bürger und Personen ohne eine Staatsbürgerschaft (Staatenlose – „NG“) auf dem Territorium der Russischen Föderation 21.000 Straftaten verübt worden, was um 11,7 Prozent mehr ist als im Zeitraum Januar-Juni des Jahres 2021, darunter 17.200 Straftaten (+ 17,6 Prozent) durch Bürger von GUS-Mitgliedsstaaten. Ihr Anteil belief sich (damit) auf 81,9 Prozent“.

Es verstehe sich, dass allein die Tatsache des Bestehens solch einer Kriminalität nicht geleugnet werden könne, weist beispielsweise der Präsident der Migranten-Föderation Wadim Koschenow hin. Ihm stimmte in einem Gespräch mit der „NG“ auch das Mitglied des gesellschaftlichen Rates beim Innenministerium, Professor Wladimir Woloch aus der Staatsuniversität für Verwaltung, zu. Sie alle rufen aber auch auf, die Migranten insgesamt als Menschen zu charakterisieren, die zu Kriminellem neigen würden. Die Nachrichtenübersichten über Rechtsverletzungen unter Beteiligung von Gastarbeitern erklären sie so: Je schwieriger das Leben in der Gesellschaft sei, umso mehr würden äußere „Feinde“ zu relevanten werden. „Leider gibt es solch eine Tendenz, die Migranten zu beschimpfen“, behauptet Koschenow. Obgleich die Ausländer beispielsweise den Strafen mit einem größeren Schauer als die Bürger Russlands gegenüberstehen würden. Und „sie laufen sofort los, um sie zu bezahlen“. Dies ist jedoch durchaus verständlich. Schließlich erwartet den Menschen nach der zweiten Strafe und einer Nichtbegleichung der ersten eine Ausweisung aus der Russischen Föderation.

Beide Experten beharren darauf, dass es keinen Sinn mache, die Situation zu dramatisieren. Man müsse sich die realen Zahlen anschauen. Wenn sich in Russland rund acht bis neun Millionen Migranten befinden. Und dabei würden sie in den Gefängnissen gerade einmal 4,8 Prozent ausmachen, erläuterte Koschenow, so bedeutet dies nicht, dass zusammen mit einem Migranten 19 einheimische Einwohner einsitzen würden. Wie Woloch seinerseits berechnete, sind seit Jahresbeginn etwas mehr als zwei Millionen Straftaten fixiert worden. Aufgeklärt werden 60 Prozent von ihnen. Folglich ergebe sich, dass „die Migranten maximal 3,7 Prozent der Straftaten begehen. Dies gilt, wenn man die Aufklärungsrate berücksichtigt. Und zwei Prozent von der gesamten Zahl“. Dabei geht es in den meisten Fällen um die klassischen Alltagsstraftaten – Rowdytum, Diebstähle und Raubüberfälle -, das heißt Straftaten, „die keinen besonderen Intellekt verlangen“. Woloch lenkte gleichfalls das Augenmerk darauf, dass dies Straftaten seien, die auf „einer sich plötzlich ergebenen Absicht“ beruhen. Das heißt, die Gastarbeiter würden auch nicht im Voraus planen, irgendetwas Ungesetzliches zu verüben.

Er bestätigte jedoch gegenüber der „NG“, dass sich dennoch häufiger Situationen mit Rowdytum und Massenschlägereien ergeben würden, an denen Zugereiste beteiligt seien. Dies bedeute unter anderem, dass die Rechtsschützer den Akzent von der Aufklärung verübter Straftaten auf deren Verbeugung verlegen müssten. Das heißt, es sei eine prophylaktische Arbeit nötig. Aber auch noch eine Vervollkommnung der Gesetzgebung, aber nicht in Richtung einer Verschärfung, sondern hinsichtlich einer Unausweichlichkeit der Haftung für eine widerrechtliche Tat.

Dabei erklären die Erforscher von Migrationsströmen, dass im Land die Anzahl der Migranten-Communitys zunehme, die sich auf sich selbst fokussieren, darunter in territorialen Enklaven oder faktischer Ghettos, aber auch klar und deutlich ihre Werte den gesamtnationalen Werten entgegenstellen. Man dürfe keine Isolierung der Migranten und ihre Marginalisierung zulassen. Es dürfe nicht zum Entstehen von ethnischen Enklaven auf dem Territorium unseres Landes kommen. Es müsse eine bestimmte Proportion der Präsenz beispielsweise in den Schulen geben, erläuterte Woloch. „Die Grundlage bildet unsere Kultur. Und diejenigen, die in die Russische Föderation kommen, müssen sie ins Kalkül ziehen. Wir wollen die Zugereisten nicht unterdrücken. Sie sind berechtigt, ihre Riten einzuhalten. Dies darf aber in keiner Weise die indigene Bevölkerung und das Leben, an das wir uns alle gewöhnt haben, beeinträchtigen“.

Jedoch könne man, merkte der Migrationsexperte und Dozent der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst sowie Direktor der Autonomen nichtkommerziellen Organisation „Akademische Allianz“, Michail Burda, an, „völlig verschiedene Herangehensweisen an dieses Problem beobachten“. Nach seinen Worten sei es zum Beispiel überhaupt kein Geheimnis, dass es in Russland gesellschaftliche Organisationen gebe, die eine maximale Zufuhr von Migranten lobbyieren würden. Und ihre Emissäre würden auf unterschiedlichen Plattformen weiterhin monoton das Mantra lesen, „wonach wir ohne Migranten nicht auskommen werden“. „Entsprechend der Statistik verüben die Migranten nur vier Prozent der Gesamtzahl der Straftaten“ usw. „Im Zusammenhang damit möchte man gern die Aufmerksamkeit auf drei Momente lenken, die die Adepten einer unkontrollierten äußeren Migration gern verschweigen. Erstens sind diese sattsam bekannten vier Prozent die „Durchschnittstemperatur für ein Krankenhaus“. In der Russischen Föderation sind die Migranten (territorial) extrem ungleichmäßig verteilt“, erläuterte der Experte. Es gebe fünf bis sieben Regionen, wohin sie auch kommen würden. Und es gebe Regionen, wo es sie praktisch nicht gäbe. Es sei klar, dass in den Regionen, wo es keine Migranten gebe oder eine unerhebliche Zahl, die Werte für die ethnisch geprägte Kriminalität gen Null tendieren würden. Dabei werde die Situation – sagen wir einmal – in Moskau, im Moskauer Verwaltungsgebiet, Petersburg, im Leningrader Gebiet und anderen eine absolut entgegengesetzte sein. Burda unterstrich, dass sich beinahe alle spektakulären Fälle von Migranten-Straftaten, die in die Medien gelangten, gerade in jenen Regionen ereignet hätten, wo es wirklich sehr viele Zugereiste geben würde. Zweitens konstatierte er, seien die vier Prozent eine Zahl von der Gesamtzahl der Straftaten. Wenn man sich aber die Zahlen hinsichtlich der Diebstähle, Plünderungen, Raubüberfälle, Vergewaltigungen, des illegalen Drogenverkehrs usw. anschaue, so würde es da prinzipiell andere Zahlen geben, die gelinde gesagt frustrierender seien. „Und drittens, wenn wir von den vier Prozent hören, so muss man begreifen, dass es sich nicht um erfasste handelt, sondern um aufgeklärte Straftaten, bei denen die schuldige Person ermittelt worden ist. In diesem Fall ein ausländischer Bürger. Daher sind die Werte ganz und gar keine so erfreulichen, wie dies uns die Migrationslobbyisten vorzugaukeln versuchen“, resümierte Burda.

All dies erfolge nach seiner Meinung aufgrund des Fehlens von Mechanismen zur Kontrolle jener, die zu uns und mit welchen Zielen. Es gebe kein System für eine Vorbereitung vor der eigentlichen Einwanderung, keine realen und wirksamen Instrumente für eine Integration gefragter Migranten in die russische Gesellschaft. Derweil führt die Zunahme der Kriminalität unter den Migranten zu einer Verstärkung des Konfliktcharakters in unserer Gesellschaft und ergo auch zu einer negativeren Wahrnehmung der Zugereisten durch Russlands Bürger, was in bestimmter Weise das politische System destabilisiert und was bereits soziologische Umfragen belegen. „Die Migrationsgesetzgebung der Russischen Föderation verlangt schon längst eine differenzierte Herangehensweise an den Zustrom auswärtiger Arbeitskräfte. Lassen Sie uns gesetzeshörige und hier gebrauchte Ausländer gewinnen und nicht die Wünsche der Einwanderungslobbyisten fördern“, erklärte Burda gegenüber der „NG“.

Wie Georgij Fjodorow, Präsident des Zentrums für soziale und politische Studien „Aspekt“, meint, werde die Kriminalität im Migranten-Milieu durch zwei Hauptfaktoren bedingt. Erstens sei dies der illegale Status der überwiegenden Mehrheit der Arbeitsmigranten, die sich im Land befinden. „Indem sie auf das Territorium Russlands gelangen, finden sie sich faktisch außerhalb des Rechtsfeldes wieder. Sie beherrschen nicht die russische Sprache und kennen nicht die russischen Gesetze. Sie erweisen sich in einem für sie fremden sozialen und kulturellen Umfeld. Und daraus ergibt sich auch das zweite Problem – die ethnischen Enklaven, die in ihnen ihre Regeln und Gesetze festlegen“, sagte er der „NG“. Wobei sich viele von solchen Gemeinschaften wenig von einer organisierten Kriminalität unterscheiden würden, da dorthin nicht nur durch Arbeitgeber betrogene Arbeitskräfte geraten, sondern auch Personen, die in Gefängnissen gesessen hätten. „Die geltenden Normen für die Einwanderungskontrolle begrenzen faktisch nicht die Gewinnung billiger Arbeitskräfteressourcen aus dem Ausland für das Land. Die einheimischen Arbeitgeber aber, besonders im Bereich des Bauwesens und der kommunalen Wohnungswirtschaft, brauchen auch nur dies – billige und rechtlose Arbeitskräfte. Wie lange sich solch ein Mensch im Rahmen von Recht und Ordnung halten kann, ist eine rhetorische Frage“. Fjodorow ist sich gewiss: Gebraucht werde eine grundlegend andere Einwanderungspolitik, die vor allem auf eine qualitätsgerechte Auswahl von Arbeitskräften abziele.

Die Zunahme der Straftaten, die von Migranten verübt werden, sei durchaus gesetzmäßig und sei lange vor dieser eigentlichen Zunahme vorausgesagt worden, merkte der aus dem liberalen Lager kommende gesellschaftliche Aktivist Alexej Jegorkin aus Moskau an. „Während sie immer mehr Lebens- und sozialen Raum einnehmen, dabei aber keine legitimen Rechten erhalten, begreifen die Migranten die ganze Ungerechtigkeit der Situation und beginnen, auf sie zu reagieren“. Dies erfolge üblicherweise innerhalb ihrer ethnischen Gruppen. Jetzt aber richte sich die Aggression auch gegen die indigenen, die alteingesessenen Bürger Russlands. Nach Meinung von Jegorkin sei offensichtlich, dass die Massenschlägereien, über die recht häufig berichtet wird, etwas mit einer Aufteilung von Einflusssphären und von Territorien zu tun hätten. Das heißt: „Enklaven und organisierte kriminelle Gruppierungen sind innerhalb dieser bereits gebildet worden“. Seine Prognose ist solch eine: Mit alltäglichen Rechtsverletzungen seitens der Migranten würden die Einwohner des Landes bereits täglich konfrontiert werden. Aber die „schwierige Wirtschaftssituation, in der um Arbeitsplätze vor dem Hintergrund der eingebrochenen Einkommen gekämpft werden muss, führt dazu, dass formierte nationale organisierte kriminelle Gruppierungen „groß einsteigen“. Zu einer Lösung der Probleme – sowohl dieses als auch vieler anderer – könnte eine klare und verständliche Einwanderungspolitik werden. Ihre Elemente müssen sein: sowohl die Vorbereitung von Anwärtern auf einen Job in Russland an deren Wohnorten noch vor der Ankunft als auch eine Attestierung sowie ein Vertrag, nach dessen Beendigung der Einwanderer das Land verlassen muss. Nicht weniger wichtig sei nach Aussagen von Jegorkin, dass es eine „beiderseitige Verantwortung im Falle der Verübung einer Straftat durch den Gastarbeiter“ gibt.

Und natürlich würden Maßnahmen hinsichtlich einer erzwungenen Assimilierung einzelner Kategorien von Migranten gebraucht werden. In erster Linie müsse man aber darauf aufpassen, dass sich jene nicht an Orten eines kompakten Zusammenlebens zusammenballen, keine verschiedenen „Verbände“ entsprechend der nationalen Zugehörigkeit schaffen. Und es müssten die Versuche jeglicher Art unterbunden werden, die Probleme derjenigen, die sich gegenüber den Gesetzen der Russischen Föderation schuldig gemacht haben, außerhalb des Rechtsfeldes zu lösen, womit die Diasporen oft sündigen würden. Nicht unnütz sei ein Arbeiten der Behörden mit der Bevölkerung hinsichtlich einer Bewahrung der gewohnten Lebensweise, erklärte Jegorkin gegenüber der „NG“. „Mitarbeiter von Geschäften zu tadeln, die sich untereinander nicht auf Russisch unterhalten, oder jene geachteten Gäste, die ihr religiöses Bedürfnis auf Kinderspielplätzen realisieren. Die Verteidigung der eigenen Kultur und der eigenen Ordnung müssen zu einer Norm werden“, betonte der Moskauer. Hier müssten sowohl die Einwanderungsdienste als auch die Abteilungen des Innern sowie die Systeme für soziale Betreuung und des Bildungswesens, aber auch gesellschaftliche Organisationen gemeinsam handeln. Denn „die Rechte der Migranten wie auch der anderen Menschen muss man unbedingt einhalten. Man muss ihnen aber auch Verantwortung, Selbstvervollkommnung und Konkurrenz beibringen“. Und Konkurrenz ergebe sich nur in jenem Falle, wenn die einheimischen Einwohner beim Erhalt von Arbeit Vorrang hätten, formulierte Jegorkin eine anfechtbare Meinung. Denn diese Einheimischen überlassen aufgrund der geringen Bezahlung den Gastarbeitern oft gerade derartige Arbeitsplätze.