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Für die Referenda mangelt es an prorussischen Beamten


Die Erklärungen der gegenwärtigen Herrschenden der ukrainischen Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje über Referenda für einen Beitritt zur Russischen Föderation sind allem nach zu urteilen nicht mehr als Propaganda. Es scheint, dass Moskau den Prozess aufgrund der Nichtbereitschaft der sogenannten befreiten Territorien, ihn zu realisieren, vorerst nicht zu forcieren beginnt. Denn, wenn die Aufgabe steht, zumindest minimal eine juristische Reinheit des Prozederes zu gewährleisten, so wird man ohne die Etablierung einer Volksrepublik Cherson und einer Volksrepublik Saporoschje offensichtlich nicht auskommen. Dafür ist aber ein real prorussischer Staatsapparat nötig, mit dem es augenscheinlich Probleme gibt.

Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, war am 23. Juni ein weiteres Mal gezwungen gewesen, die waghalsigen Äußerungen einzelner Vertreter der prorussischen Behörden auf den ostukrainischen Territorien zu korrigieren. Er erklärte, dass „vorerst keine Rede“ von einer Aufhebung der Staatsgrenze zwischen Russland und dem Gebiet Saporoschje sei. Wie sich Peskow ausdrückte, sei „dies nach allem Anschein keine ganz korrekte Fragestellung“. Bezeichnend ist jedoch das gerade demonstrative Lakonische des Kreml-Sprechers, der nicht einmal den Versuch unternahm, die bittere Pille zu versüßen – beispielsweise sich in Überlegungen darüber auszulassen, dass dies nur in der Perspektive möglich sei, nun bereits nach Abschluss der bereits den 121. Tag andauernden Sonderoperation usw. Es sei daran erinnert, dass Medienvertreter Peskow gebeten hatten, die Erklärungen des Mitglieds des Hauptrates bei der Militär- und Ziviladministration des Gebietes Saporoschje, Wladimir Rogow, zu kommentieren

Entsprechend der sich bereits herausgebildeten Tradition hatte die staatliche russische Nachrichten RIA Novosti als erste begonnen, die Aussagen dieses prorussischen Beamten zu verbreiten. „Für uns ist die Grenze mit Russland schlimmer als die Berliner Mauer für die Deutschen. In der Ukraine haben in Abhängigkeit von der Region 73 bis 85 Prozent der Einwohner Verwandte in Russland. Dementsprechend darf es diese Grenze nicht geben“, erklärte vollmundig Rogow. Es ist offensichtlich, dass er auch keine unverzügliche Abschaffung der Grenzposten im Blick hatte.

Gerade Peskow spricht sich in der letzten Zeit negativ zum Thema einer operativen Organisierung von Beitrittsreferenda an der Peripherie Russlands aus. Nach Konsultationen, die eine Delegation Südossetiens in Moskau durchgeführt hatte, sprach er auch von einem gewissen „juristischen Kasus“. Angeblich sei in der Formulierung der Frage der Ausdruck „Vereinigung mit Russland“ verwendet worden. Wie könne es sich aber mit irgendwem vereinen? Es war klar, dass dies ein erfundenes Argument gewesen war, da die Frage für die Bürger dieser einstigen georgischen Teilrepublik bestimmt gewesen war. Und solch ein Wortspiel Peskows bedeutet augenscheinlich, dass es im Kreml zu diesem Thema keine Lösung gibt. Genauer gesagt: Dort kennt man bisher nicht die Meinung des Präsidenten der Russischen Föderation.

Es ist offensichtlich, dass es solch eine auch nicht zu den Territorien der Ukraine gibt. Mehr noch, die Administration des Präsidenten ist scheinbar darüber froh, da sie kein Vorankommen in der Arbeit zur organisatorischen Absicherung der möglichen Referenda in den Gebieten Saporoschje und Cherson ausmachen kann. Während sich die Menschen dort Dokumente von den neuen Herrschenden geben bzw. ausstellen lassen (massenweise, wie die russischen Staatsmedien behaupten – Anmerkung der Redaktion), gibt es nicht besonders viele, die ihnen helfen wollen und umso mehr an deren Etablierung teilnehmen möchten. Im Unterschied zum Donbass des Jahres 2014, wo schnell ein prorussischer Staatsapparat entstand, tauchen im Nördlichen Taurien nur vereinzelte Tollkühne auf, die in Kiew als Kollaborateure bezeichnet und gegen die sofort Anschläge verübt werden. Beispielsweise hatte man dieser Tage versucht, Jurij Turuljew, das von Moskau eingesetzte Oberhaupt der Siedlung Tschernobajewka im Gebiet Cherson (eine Zielscheibe von Mems für die ukrainische Gesellschaft), mit einem Sprengstoffanschlag zu liquidieren. Er kam nicht besonders zu Schaden, aber sein Beispiel wird wohl kaum die Etablierung von Machtorganen fördern, die Russland gegenüber loyal sind. Ohne sie aber klappt es nicht, die Bildung einer Volksrepublik Cherson und einer Volksrepublik Saporoschje zu proklamieren. Und dies bedeutet wiederum, dass man nicht einmal ein minimal juristisch sauberes Referendum durchführen kann. Unter anderem weil die Gesetze der Russischen Föderation untersagen, einen Teil eines anderen Staates ohne die Zustimmung dessen Zentralgewalt anzugliedern. Wenn es aber etwas vom Typ unabhängiger Republiken wie die Krim gibt, so ist das entsprechende Rechtsmodell bereits erprobt worden.

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Am Freitag gab es erneut ein Signal für prorussische Kräfte im Gebiet Cherson, das deutlich machte: Ein Engagement für Moskau ist lebensgefährlich. Wie russische als auch ukrainische Medien berichteten, wurde ein Sprengstoffanschlag gegen Dmitrij Sawlutschenko verübt. Der Leiter der Verwaltung für Familien-, Jugend- und Sportfragen der sogenannten Militär- und Zivilverwaltung des Gebietes Cherson ist dabei ums Leben gekommen. In diesem Zusammenhang wurden gleichfalls Informationen verbreitet, die eine Antwort auf die Frage geben: Was für einen politischen Background haben die Funktionäre, die in den von Moskau etablierten neuen Strukturen arbeiten? Sawlutschenko gehörte der inzwischen in der Ukraine verbotenen Partei „Oppositionsplattform – Für das Leben“ an, die unter anderem von Viktor Medwedtschuk angeführt wurde. Der Millionär befindet sich derzeit in Haft und ist wegen Landesverrats angeklagt worden. Bereits in den nächsten Tagen soll in Lwow der Prozess gegen Medwedtschuk beginnen.