Die westlichen Restriktionen für die Erdöl-Exporteinnahmen Russlands können zu einem wahren Stresstest für die Wirtschaft des Landes werden. Die G-7-Länder sind bereit, ab Anfang Februar zwei neue zusätzliche Preisobergrenzen für russische Erdölprodukte einzuführen. Bisher versprechen die russischen Beamten, die negative Wirkung durch die Einführung der Preisdeckel für russisches Erdöl und russische Erdölprodukte zu verringern. Der Rückgang der Öl-Einnahmen kann jedoch eine wahre strukturelle Umgestaltung der einheimischen Wirtschaft anschieben. Und eine Überwindung der Abhängigkeit vom Erdöl kann nicht nur auf der Ebene von Losungen, sondern auch in der Praxis erfolgen.
Die G-7-Länder schicken sich an, zwei verschiedene Obergrenzen für die Preise für russische Erdölprodukte in Abhängigkeit von ihrem Wert festzulegen, meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Vertreter der G-7.
Eine wird für die Produkte festgelegt, die teurer gehandelt werden (mit einer Prämie zum Vergleich zum Erdöl), und die zweite ist für jene, die mit einem Preisnachlass verkauft werden. Die Nachrichtenagentur erläutert, dass Diesel und Kerosin teurer als Erdöl seien, Schweröl aber sei billiger. Überdies hängen die Preise für die Erzeugnisse oft davon ab, wo man sie kauft und nicht vom Herstellungsort.
Die Restriktionen für Lieferungen von Erdölprodukten aus der Russischen Föderation werden ab dem 5. Februar zu wirken beginnen. Und ab dem 5. Dezember vergangenen Jahres haben die G-7-Länder, Australien und die EU für das Erdöl Restriktionen verhängt, die auf dem Seeweg befördert wird – bei einem Preis von mehr als 60 Dollar je Barrel ist es verboten, dies zu befördern und zu versichern. Die Europäische Union hat außerdem überhaupt aufgehört, russisches Erdöl abzunehmen, dass auf dem Seeweg geliefert wird.
Präsident Wladimir Putin hatte Ende Dezember mit seinem Erlass Lieferungen von russischem Erdöl und von russischen Erdölprodukten verboten, wenn im Vertrag mit den Geschäftspartnern direkt oder indirekt eine Preisobergrenze ausgewiesen wird. In Bezug auf Erdöl sind solche Lieferungen ab 1. Februar verboten. Und hinsichtlich der Erdölprodukte soll die Regierung ein Datum festlegen. Der Präsidentenerlass wird vorerst bis zum 1. Juli dieses Jahres gelten. Der Sprecher des Kremls erklärte am Mittwoch, dass Russland auch auf neue Obergrenzen reagieren werde. Aber mit der alten sei man bisher noch nicht konfrontiert worden. Und er rief auf, mit Skepsis die Schätzungen zum Schaden der Russischen Föderation aufgrund des Preisdeckels aufzunehmen. „Die neuen Restriktionen werden natürlich auf Widerstand stoßen. Russland wird seine Interessen abwägen. Der Markt erlaubt, dies zu tun“, sagte Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des Präsidenten.
„Was die Verluste angeht, so ist bisher keiner besonders mit der Obergrenze konfrontiert worden. Bei uns gilt ein Erlass des Präsidenten. Daher stehen wir mit Skepsis solchen Schätzungen gegenüber“, sagte Peskow bei der Kommentierung von Berechnungen des Forschungszentrums für den Energiebereich aus Helsinki. Dort hatte man Russlands Verluste aufgrund des Ölpreis-Deckels mit 160 Milliarden Euro beziffert. Und man erwartet, dass nach dem 5. Februar dieser Wert bis auf 280 Milliarden Euro ansteigen werde.
Als wichtigste Nachricht des Tages könne man die Erklärung des Finanzministeriums über die Absicht ansehen, ab Mitte Januar bis Anfang Februar Devisen (vorrangig Yuan) aus den Reserven im Umfang von mehr als 50 Milliarden Rubel zu verkaufen, meint die leitende Analytikerin der Firma Freedom Finance Global, Natalia Miltschakowa. Nach ihrer Meinung unternehme das Ministerium von Anton Siluanow solch einen Schritt im Zusammenhang mit dem Erhalt von weniger Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport.
Vizepremier Alexander Nowak erklärte am Mittwoch bei einer Online-Beratung für Wladimir Putin, dass der Preisnachlass für russisches Erdöl im Januar vor allem aufgrund der Verteuerung der Umschlagskosten angestiegen sei. Diese Situation werde eine vorübergehende sein. Und der Preisnachlass werde sich im Weiteren verringern, versicherte er.
Der Markt wird sich unbedingt so oder andere an die neuen Bedingungen anpassen. Die aber können für die Russische Föderation recht negative sein. Indien, das seit Beginn vergangenen Jahres den Kauf von Erdöl aus Russland drastisch erweiterte, kann unter bestimmten Bedingungen diesen einschränken. Dies behauptet die Zeitung „Telegraph India“ unter Berufung auf anonyme Vertreter des Öl- und Industrieministeriums des Landes. Wie die Quellen des Blattes präzisierten, habe der vom Westen eingeführte Preisdeckel den Import Indiens nicht beeinflusst, da sich der Preis für russisches Erdöl derzeit im Bereich von 53 bis 56 Dollar je Barrel befinde. Die Offiziellen des Landes würden jedoch Szenarios für ein Übersteigen der 60-Dollar-Marke durch die Preise für russisches Erdöl untersuchen.
Im Zusammenhang mit den Antwortmaßnahmen auf den Ölpreisdeckel, sei Russland nach Aussagen Nowaks bereit, die Förderung um fünf bis sieben Prozent oder um rund 500.000 bis 700.000 Barrel am Tag zu drosseln. Das US-Energieministerium erwartet, dass die Förderung flüssiger Kohlenwasserstoffe in Russland von 10,9 Millionen Barrel am Tag im Jahr 2022 bis auf 9,5 Millionen Barrel am Tag im laufenden Jahr zurückgehen werde. Und im Jahr 2024 werde die Tagesförderung bis auf 9,4 Millionen Barrel absinken.
„Für Indien macht es keinen Sinn, sich dem Regime der maximalen Preise anzuschließen. Dem Land ist die gegenwärtige Lage durchaus recht, in der man große Mengen russischen Erdöls mit einem Preisnachlass kaufen kann“, sagte der „NG“ der leitende Experte der Finanzuniversität und der Stiftung für nationale Energiesicherheit, Stanislaw Mitrachowitsch. „Bei einem formalen Beitritt zum Mechanismus der maximalen Preise kann Indien eine Einstellung der Lieferungen billigen Erdöls aus der Russischen Föderation erleben. Es gibt einfach keinen Sinn, so zu riskieren. Es macht Sinn, die Publikation einfach als eine „Ente“ zum Thema anzusehen, dass Russland in der überschaubaren und mittelfristigen Perspektive keine Pläne für ein forciertes Anheben des Preises des Erdöls für Indien schmiedete“.
Hinsichtlich der neuen Obergrenzen gebe es konzeptuell nichts Neues, meint der Experte. „Der Mechanismus der maximalen Preise gegen die Russische Föderation wird erweitert und vertieft werden. Man wird Russland schrittweise von den westlichen Transporteuren und Versicherern abschneiden, wobei man den Zugang zur gewohnten Export-Infrastruktur wegnimmt. Die langfristige Antwort auf derartige Schritte des Westens kann in der Schaffung seiner eigenen Infrastruktur (Reedereien, Schiffsbau, Versicherungswesen usw.), aber auch in einer Erweiterung der bilateralen Vereinbarungen mit konkreten Abnehmerländern bezüglich der Logistik für die Lieferungen russischer Waren dorthin sein“, sagt Mitrachowitsch.
Der Autor des Telegram-Kanals Spydell_finance, der Wirtschaftsfachmann Pawel Rjabow, vertritt die Meinung: Russland verdränge man vom Energiemarkt der sogenannten unfreundlichen Länder. Und diese Prozesse seien unumkehrbar. Und die infrastrukturellen Restriktionen und der politische Faktor würden nicht erlauben, alle Exportströme nach China oder Indien umzulenken. Nach Aussagen des Experten könne die Trennung Russlands von der Export- und Rohstoff-Wirtschaft eine schmerzhafte sein.
Es sei nicht ausgeschlossen, dass es nicht zwei maximale Preise, sondern mehr geben werde, nimmt Alexander Potawin, Analytiker der Investitionsfirma „Finam“, an. „Die verschiedenen Arten von Erdölprodukten haben einen unterschiedlichen Mehrwert. Und folglich unterscheiden sie sich hinsichtlich des Preises stark voneinander“, erläutert er. Die Festlegung einer Skala für die Preisbeschränkungen erlaube den örtlichen Erdölverarbeitungsbetrieben nicht, auf eine Herstellung vorteilhafter Produkte umzuschalten und dadurch zusätzliche Einnahmen zu erhalten, von denen Zahlungen an den russischen Haushalt vorgenommen werden, fährt der Experte fort. Auf jeden Fall sei der Westen bestrebt, dass die Sanktionen nicht zu einem großen Mangel an Brennstoffen und zu einem Ansteigen der Preise auf dem Weltmarkt führen und die Einnahmen aus der Erdölförderung und der Erdölverarbeitung Russland dabei aber fallen. Laut Schätzungen von Analytikern der JPMorgan Chase & Co. Hatte die EU Ende des vergangenen Jahres in Russland fast 1,3 Millionen Barrel an Erdölprodukten am Tag erworben. Etwa die Hälfte der Menge machte Dieselkraftstoff aus.
Laut Angaben des Finanzministeriums hat Russland das Jahr 2022 mit einem Haushaltsdefizit von 3,35 Billionen Rubel beendet. „Bei 50 Dollar je Barrel und einer Fördermenge von 10 Millionen Barrel am Tag wird der Einnahmenteil des Budgets der Russischen Föderation 2,1 Billionen Rubel weniger aus den Öl- und Gaseinnahmen erhalten, wobei im Budget 8,9 Billionen Rubel vorgesehen wurden. Wenn sich der Preis für russisches Erdöl im Bereich von 45 bis 50 Dollar je Barrel einpendelt, wird das Finanzministerium schon in diesem Jahr zu einem Sparregime übergehen und ab dem kommenden Jahr eine Konsolidierung der Haushaltspolitik (Verringerung der Ausgaben für die ungeschützten Etatposten) beginnen müssen“, sagt Potawin.
Im neuen Jahr verheiße Russlands Etat ebenfalls, ein zutiefst defizitärer zu sein. Er sehe eine Aufstockung der Verteidigungsausgaben bis fast fünf Billionen Rubel vor (17 Prozent der gesamten Ausgaben), der Ausgaben für Sicherheit und die Rechtsschutztätigkeit bis auf 4,4 Billionen Rubel (15 Prozent der Ausgaben), betont der Experte. „Im Dezember hatte das Finanzministerium die Prognose für das Defizit von 0,9 bis auf 2,0 Prozent des BIP (2,9 Billionen Rubel) angehoben. Aber tatsächlich war das Haushaltsloch um 0,3 Prozent des BIP (400 Milliarden Rubel) größer gewesen. Dies ist in Vielem eine Reflexion der Situation um die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl, die nach der Einführung des Embargos drastisch zurückgingen und augenscheinlich noch geringer nach der Einführung der Restriktionen für Erdölprodukte werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass mit der Einführung von zwei Preisdeckeln für russische Erdölprodukte die Länder des Westens die Russische Föderation zu einer Erhöhung des Exports von Rohöl zu Preisen unterhalb des bereits festgelegten Limits veranlassen wollen“, meint Potawin.
Das Embargo und die Preisobergrenzen für Erdölprodukte werden auf jeden Fall zu einem Rückgang des Exporterlöses führen, da es schwieriger ist, die Erdölprodukte auf andere Märkte aufgrund der geringeren Nachfrage im Unterschied zum Rohöl zu bringen. „Überdies haben sie eine schwierigere Logistik“, sagte der „NG“ Dmitrij Skrjabin, Portfolio-Geschäftsführer der Firma „Alfa-Kapital“.