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Für Russlands offizielle Soziologie gibt es kein Zurück mehr


Eine neue Portion von Rating-Daten der Kremlpartei „Einiges Russland“ und der anderen Parteien wurden für den 9. Juli vom staatlichen Meinungsforschungsinstitut VTsIOM und der nichtkommerziellen Stiftung für öffentliche Meinung (FOM) erwartet. Die Messungen wurden unter Berücksichtigung der „Bürgersprechstunde“ des Präsidenten vom 30. Juni, bei der sich Wladimir Putin direkt mit der regierenden Partei in Verbindung gebracht hatte, vorgenommen. Wenn es eine weitere Schwächung für sie geben wird, bedeutet dies, dass auch die letzte Reserve keine Wirkung erzielte. Jedoch würde auch ein drastischer Anstieg der Unterstützung für sie möglicherweise nur den Teil der Wähler in der Meinung bestätigen, dass da Manipulationen vorliegen. Alles in allem aber ist die offizielle Soziologie scheinbar an einen Punkt gelangt, von dem es kein Zurück mehr gibt. Die Messungen des Elektorats hören auf, ein politisches Spiel zu sein, und werden zu einer wichtigen Polittechnologie. Daher wurde erwartet, dass es wahrscheinlicher sei, dass doch eine Festigung der Positionen von „Einiges Russland“ bekanntgegeben wird. Freilich beeinflusst schon nicht mehr so sehr der leergewordene Kühlschrank diese negativ, sondern auch der durch die Vertreter von „Einiges Russland“ ausgefüllte Fernseher. Die Ergebnisse des Monitorings der politischen TV-Sendungen zeigen, dass in den ersten Wochen der Wahlkampagne ein Rückgang des Ratings von „Einiges Russland“ vor dem Hintergrund ihrer informationsseitigen Dominanz erfolgte.

Analytiker der KPRF haben eine Untersuchung über die Berichterstattung zu den Wahlkampfparteitagen der vier Parlamentsparteien durch die föderalen TV-Kanäle vorbereitet. Der Vergleich der Werte für „Einiges Russland“, die Kommunistische Partei, für die LDPR und „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ zeigte, dass die Vertreter von „Einiges Russland“ auf allen Kanälen, die beobachtet wurden, dominierten. Es sei daran erinnert, dass die Kommunisten neben dem Staatssender „Rossia“ und den Ersten Kanal noch NTW, TVC, RenTV und den staatlichen Nachrichtensender „Rossia 24“ verfolgen. „Einiges Russland“ erhielt 69 Prozent des Gesamtumfangs der „Parteien-Berichterstattung“ im Untersuchungszeitraum, wobei 26 Prozent auf den Putin-Auftritt beim Kongress der regierenden Partei entfielen.

Der KPRF an sich fielen elf Prozent der Sendezeit zu. Dies ist der 3. Platz. Und auf den zweiten gelangte die LDPR mit 12 Prozent. Das Schlusslicht mit acht Prozent ging an „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“. Einerseits gestehen die Analytiker der Linken selbst ein, dass sich insgesamt das traditionelle Bilder des Auftauchens der Parteien im Fernsehen im Zusammenhang mit dem Nahen der Wahlen wenig verändert hätte. Im Zeitraum vom 18. bis 27. Juni befand sich „Einiges Russland“ wie stets mit einem großen Vorsprung an erster Stelle. Die parlamentarische bzw. System-Opposition war in einer dicht beieinander liegenden Gruppe der Zurückgebliebenen. Und folglich ist es auch nicht so wichtig, wer da zu irgendeinem Zeitpunkt mehr Sendezeit als der andere erhalten hat. Andererseits aber, zieht man in der KPRF die Schlussfolgerung, werde selbst bei der Berichterstattung recht formaler Veranstaltungen in der Art von Wahlparteitagen die informationsseitige Gleichheit, die im Verlauf der Wahlkampagnen gemäß Gesetz garantiert werden soll, doch nicht eingehalten. Die Linken wollen somit augenscheinlich andeuten, dass es keine Unterstützung für die nach Aussagen des Präsidenten „traditionellen“ Duma-Parteien seitens der Offiziellen gebe.

Angemerkt sei, dass sich mit dem Problem der informationsseitigen Ungleichheit auch bereits die Bewegung „Golos“ („Die Stimme“) befasst hat, die beginnt, auf wöchentlicher Grundlage Ergebnisse eines Monitorings der politischen TV-Sendungen zu veröffentlichen, aber hinsichtlich eines breiteren Parteienspektrums.

In der Bewegung „Golos“ gilt schon lange solch eine Konzeption, dass die Wahlbeobachtung eine Tätigkeit nicht so sehr am eigentlichen Tag der Abstimmung oder wie jetzt an mehreren Tagen als vielmehr eine Kontrolle aller Etappen des Wahlkampfes und sogar des gewissen Vorwahlkampfes ist. Es sei daran erinnert, dass sich hinsichtlich des letzteren und zwar bezüglich der Primaries von „Einiges Russland“ beispielsweise die Bewegung „Beobachter von Petersburg“ negativ geäußert hatte. Ja, und auch seitens „Golos“ wurde ein Report hinsichtlich der zweifelhaften Gesetzesänderungen vorgelegt, der in diesem Jahr direkt vor dem Wahlmarathon vorbereitet worden war.

„Golos“ analysierte die Woche vom 28. Juni bis einschließlich 4. Juli. Und nach ihren Berechnungen ergab sich, dass die absolute Dominanz der Vertreter von „Einiges Russland“ nicht in Luft aufgelöst habe und nach wie vor bestehe. Dabei galten die Fernsehbeiträge weiterhin dem schon längst stattgefundenen Parteitag von „Einiges Russland“. Derweil wurde die KPRF auf den gleichen fünf föderalen TV-Kanälen nicht ein einziges Mal erwähnt – weder aufgrund eines positiven noch eines negativen Anlasses. In dem „Golos“-Report wird übrigens eine klare Trennung der Informationsanlässe entsprechend den Vorzeichen „plus“ und „minus“ vorgenommen, was im Übrigens im Gesetz über die gleiche Berichterstattung über die Parlamentsparteien in den staatlichen Medien nicht vorkommt. Ja, und in der Wahlgesetzgebung ist dies uneindeutig formuliert worden.

Und natürlich konnte „Golos“ auch nicht die „Bürgersprechstunde“ des Präsidenten vom 30. Juni unerwähnt lassen. Es wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass sie für Agitationszwecke genutzt wurde. „Während der „Bürgersprechstunde“ unterstützte der Präsident „Einiges Russland“. Sowohl vor als auch nach der „Bürgersprechstunde“ ist diese Veranstaltung durch alle TV-Kanäle umfangreich gecovert worden. Jedoch nur „Einiges Russland“ und deren Abgeordnete erhielten Sendezeit in diesem Kontext“. Und am 9. Juli wurde die Veröffentlichung neuer Daten soziologischer Untersuchungen durch VTsIOM und FOM erwartet, die zeigen, ob die „Bürgersprechstunde“ das Rating der Kremlpartei beeinflusste und in welcher Art und Weise. Dies ist wichtig, da die Untersuchung der ersten Woche der Wahlkampagne durch die offiziellen Soziologen gezeigt hatte, dass die regierende Partei ihr Abrutschen in eine Talsohle nicht verlangsamen konnte.

Es sei daran erinnert, dass FOM einen Einbruch von „Einiges Russland“ gleich um drei Prozent von den vorherigen 32 Prozent ermittelt hatte. (Für den 9. Juli wurden doch keine aktuellen Zahlen bis zum Redaktionsschluss veröffentlicht. – Anmerkung der Redaktion) VTsIOM konstatierte gleichfalls diesen Trend, wobei es einer Verringerung von 30,4 bis auf 28,7 Prozent zeigte. Und eine Woche später wurde keine Veränderung durch die staatlichen Soziologen ausgewiesen. Dabei führt VTsIOM eine Telefonbefragung von 11.200 Menschen innerhalb einer Woche durch. FOM aber stützt seine Schlussfolgerungen auf Ergebnisse direkter Interviews von 3.000 Befragten im Verlauf von zwei Tagen. Es macht übrigens Sinn hervorzuheben, dass zwar die Telefonbefragungen von VTsIOM solider aussehen, doch gerade hinsichtlich dieser Form der Ermittlung der öffentlichen Meinung gibt es eine Vielzahl von Beanstandungen. Eine Reihe von Experten ist der Auffassung, dass hier ein gewisser ausgleichender Koeffizient notwendig sei, der die Befürchtungen der Befragten nivelliert. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass immer mehr Russen bei Befragungen mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten und eher loyale Antworten bezüglich der Offiziellen abgeben. Man wisse ja nie, was ehrliche Antworten für Folgen haben können. Es sei allerdings angemerkt, dass die Ergebnisse von VTsIOM und FOM durchaus das Ansehen der regierenden Partei im Vergleich zu jenen, die beispielsweise das mit der KPRF zusammenarbeitende Zentrum zur Untersuchung der politischen Kultur Russlands (ZUPKR) ermittelte, verschonen. Die Juni-Umfrage des ZUPKR, die unter 1500 Befragten nur wenige Tage früher per Telefon vorgenommen wurde, zeigte, dass „Einiges Russland“ eine elektorale Unterstützung von 19,6 Prozent von der Gesamtzahl der Befragten hat. Dies bedeutet, dass der Ansehensverlust der Kremlpartei laut Angaben des ZUPKR gleich mehr als 6 Prozent im Vergleich zur Mai-Untersuchung ausmachte.

Somit hat das informationsseitige Dominieren von „Einiges Russland“ im Fernsehen nicht nur nicht zu einer Verstärkung ihrer elektoralen Unterstützung geführt, sondern im Gegenteil sie spürbar verringert. Dies bedeutet, dass sowohl der Kühlschrank, das heißt die Folgen des sozial-ökonomischen Kurses, die zu einer Verringerung des Lebensniveaus breiter Massen führten und was bereits viele Jahre in Folge erfolgt, als auch der vollkommen kremltreue Fernseher schlecht auf die regierende Partei wirken. In letzterem wird ja jedes Mal wie ein Mantra „Einiges Russland“ zu der Partei hochstilisiert, die eben für diesen Kurs verantwortlich sei. Es ist wohl an der Zeit, überhaupt eine gewisse Verschwörung zu vermuten, wie es heißt: eines der Kremltürme (gemeint ist eines der Lager im Kreml – Anmerkung der Redaktion) gegen den anderen mit dem Ziel, die Vertreter von „Einiges Russland“ bis auf ein Minimum zu schwächen. Denn wie ist anders zu erklären, dass gerade dieser Partei Errungenschaften zugeschrieben werden, die in den Augen der Menschen bei weitem keine solchen sind, was selbst den kremlnahen Polittechnologen klar sein müsste. Interessant ist, dass eine Reihe durchaus loyaler Experten gegenüber den Herrschenden bereits diese „Überfütterung“ des Fernsehzuschauers mit den Herrlichkeiten der Vertreter von „Einiges Russland“ bemerkten und gewarnt haben, dass dies schlechte Konsequenzen nach sich ziehen werde.

Allerdings gibt es natürlich keinerlei Verschwörung der Kremllager, sondern es gibt das Setzen des Kremls insgesamt nicht auf eine elektorale Kampagne mit einer Konkurrenz, sondern auf eine administrative. In deren Rahmen haben die Ratings selbstredend eine Relevanz, aber nicht die entscheidendste. Dennoch bedeutet für die offiziellen Soziologen die nunmehrige Situation, in der gegen „Einiges Russland“ bereits sowohl der Kühlschrank als auch das Fernsehgerät sind, dass die politischen Spielereien zu Ende sind und eine reibungslose Arbeit für die regierenden Partei beginnt. Die Umfragezahlen vom 9. Juli machten dies jedoch noch nicht ganz deutlich, das heißt: Der Einfluss Putins auf das Elektorat ist sicherlich ein großer, doch seine jüngsten wenigen Worte zur Unterstützung der auch durch ihn aus der Taufe gehobenen Partei „Einiges Russland“ haben bisher keine Trendwende bewirkt. Und es ist aber durchaus möglich, dass die Ratingzahlen vom 2. und 9. Juli der Beginn eines gewissen Punktes waren, von dem aus es kein Zurück mehr gibt, den VTsIOM und FOM in keiner Weise passieren konnten und folglich vor ihm Halt gemacht haben. Und selbst wenn die offiziellen Soziologen auch weiter ein schwaches Rating von „Einiges Russland“ ausweisen, so muss man nicht verzweifeln. Es sei noch einmal angemerkt: Selbst unter den Bedingungen einer administrativen Kampagne ist eine gewisse Krise nötig, nach der eine Katharsis folgt und danach ein Siegestreffer. Denn wie sollen die Polittechnologen anders gegenüber den Auftraggebern aus der Administration des Präsidenten die großen aufgewendeten Haushaltsmittel rechtfertigen – nur dadurch, dass sie in den Berichten nach oben ihre Meisterschaft unterstreichen, die auch die Bedingungen für eine Sieg von „Einiges Russland“ sicherte.