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GAZPROM lässt Europa ohne Brennstoff-Vorräte


GAZPROM hat faktisch das Einspeichern von Gas in Gasspeicher Europas eingestellt, belegen Angaben des Internetportals Gas Infrastructure Europe. Die Verringerung des Auffüllens der Speicher hatte bereits Ende vergangener Woche begonnen. Die Unterbrechung des Einspeicherns von Gas in die europäischen Speicheranlagen erfolgt vor dem Hintergrund eines Mangels an Erdgas in der EU und des Ansteigens der Preise für dieses. Experten vermuten, dass die Russische Föderation einerseits so einen fruchtbaren Boden für eine rasche Zertifizierung von „Nord Stream 2“ vorbereite, andererseits hoffe, große Gewinne aufgrund des Steigens der Preise zu erzielen.

Wie aus den Angaben des Internetportals Gas Infrastructure Europe folgt, ist seit dem 2. August die Summe der Operationen des Ein- und Ausspeicherns von Speicherkapazitäten im Nordwesten Europas, die der Konzern nutzt, sogar etwas ins Minus abgerutscht. Unter anderem ist das Einspeichern in die Anlagen Bergermeer in den Niederlanden und Rehden in Deutschland gestoppt worden. Ein Ausspeichern hat aus dem UGS Haidach in Österreich begonnen. Gleichzeitig geht das Einspeichern in die deutschen Untergrundgasspeicher Katharina und Jemgum weiter.

Außerdem sind die Gaslieferungen durch die Gaspipeline „Jamal – Europa“, die durch Weißrussland und Polen bis nach Deutschland verläuft, gedrosselt worden. Dabei wurden noch bis zum vergangenen Freitag über diese 84 Millionen Kubikmeter Gas am Tag (am Eingang zu Deutschland) durchgepumpt, während am Dienstag der Gasfluss unter die Marke von 50 Millionen Kubikmeter gefallen ist.

Zuvor hatte der russische Gaskonzern keine zusätzlichen Kapazitäten für einen Transit durch Polen durch die Pipeline „Jamal – Europa“ für die kommenden vier Quartale gebucht und auch keine zusätzlichen Kapazitäten für einen Gastransit durch die Ukraine angefordert (https://ngdeutschland.de/teures-gas-beweist-den-europaern-die-wichtigkeit-von-nord-stream-2/).

All dies erfolgt vor dem Hintergrund eines akuten Mangels an Erdgas in Europa. Die Aufgabe der Wiederherstellung der Reserven nach dem kalten Winter wird durch den Mangel an LNG (liquefied natural gas – verflüssigtes Erdgas) auf dem Weltmarkt erschwert. So liegt der LNG-Import nach Europa mit 20 Prozent unter dem Stand vom Vorjahr. Laut Schätzungen von Wood Mackenzie (eine globale Forschungs- und Beratungsgruppe für Energie, Chemikalien, erneuerbare Energien, Metalle und Bergbau, die Daten, schriftliche Analysen und Beratungsberatung liefert – Anmerkung der Redaktion) bekommt die EU jede Woche drei Tankerlieferungen weniger als im Vorjahr. Und die Prognosen für die Lieferungen sehen pro Woche eigentlich neun Tankerlieferungen mehr vor. Die gesamten freien LNG-Mengen gehen nach Asien, wo die Notierungen noch höher sind. Auf dem Spot-Markt erreichen sie 539 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas, während die Futures für Februar 2022 bereits im Bereich von beinahe 600 Dollar gehandelt werden.

Aufgrund des Gasmangels gehen die Preise auf dem europäischen Markt ebenfalls in die Höhe. In der vergangenen Woche lagen sie über der 500-Dollar-Marke für 1000 Kubikmeter Gas. In dieser Woche haben sich die Notierungen auf einem Stand von mehr als 500 Dollar eingepegelt. So wurde am Montag der Vertrag „für einen Tag im Voraus“ am TTF-Hub in den Niederlangen auf einem Niveau von 517 Dollar abgeschlossen, und am Dienstag bereits mit 505 Dollar für 1000 Kubikmeter.

Dabei liegt der Füllstand der europäischen UGS zum heutigen Tag bei 57,54 Prozent, was um 16,2 Prozentpunkte weniger als im Durchschnitt für die letzten fünf Jahre ist. Neben dem Mangel an Gas-Ressourcen auf dem Markt schränkt auch der Preis das Einspeichern ein. Gemeldet wird, dass bei Preisen über der 500-Dollar-Marke das Einspeichern von Gas in die Speicheranlagen als ein unrentables erscheint.

Der Markt befürchtet, dass Europa ohne Gasreserven in den Winter kommen werde, schreiben Analytiker von NatGasIntel. Dies treibe die Preise zusätzlich in die Höhe, schreiben sie.

GAZPROM selbst aber verdient bisher nicht an den astronomisch hohen Gaspreisen. Über 80 Prozent der Unternehmensverkäufe nach Europa erfolgen gegenwärtig entsprechend den Spot-Indexen auf einer unterschiedlichen zeitlichen Basis – von einem Monat im Voraus bis zu einem Jahr im Voraus. Und das heute zu beobachtende Preisniveau wird sich nicht augenblicklich auf die Vertragspreise des Konzerns auswirken, im Weiteren jedoch Unterstützung im Falle einer Korrektur leisten.

Die Experten schließen ebenfalls nicht aus, dass die UGS Europas auch weiterhin halbvolle bleiben werden, da das Auffüllen der russischen Speicheranlagen für das Unternehmen eine unbedingte Priorität besitzt. Es ist bekannt, dass in der Herbst-Winter-Periode 2020/2021 aus den Untergrundspeichern über 60 Milliarden Kubikmeter Gas ausgespeichert wurden, was um 16 Milliarden Kubikmeter mehr als im Winter 2018/2019 war. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Differenz zu einem zusätzlichen Bedarf an Brennstoffen in der laufenden Saison werden kann. Gleichfalls wurde mitgeteilt, dass insgesamt die Reserven der russischen UGS zur Herbst-Winter-Saison 2020/2021 den Rekordwert von 72,3 Milliarden Kubikmeter ausgemacht haben.

Der Konzern hat noch einen analogen ausgespeicherten Umfang an Gas in die UGS zu pumpen. Der aktuelle Füllstand ist nicht genau bekannt, da die Angaben über die Reserven in den russischen UGS nicht so systematisch und operativ wie über die Speicheranlagen in Europa veröffentlicht werden. Dabei hatte Ende Mai der stellvertretende Vorstandsvorsitzende von GAZPROM Vitalij Markelow betont, dass dem Unternehmen „eine angespannte Arbeit hinsichtlich des Einspeicherns von Gas in die UGS“ bevorstehen werde. Im Konzern wies man darauf hin, dass im laufenden Jahr das Einspeichern nicht auf der Basis irgendwelcher neuer Felder vorgenommen werde. Und die Erhöhung des Umfangs der Gasförderung werde durch die arbeitenden Felder und „durch die Inbetriebnahme von Kapazitäten an Verdichteranlagen“, aber auch „durch die Weiterentwicklung in Gestalt einer Vergrößerung der Anzahl von Bohrungen“ gewährleistet.

Bei GAZPROM hatte man geplant, im laufenden Jahr rund 506 Milliarden Kubikmeter Gas zu fördern. Dabei sind insgesamt in der Russischen Föderation in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 442,08 Milliarden Kubikmeter gefördert worden, was um 13,2 Prozent mehr als im Vorjahr ist, belegt ein operativer Bericht der Zentralen Dispatcherverwaltung des Brennstoff- und Energiekomplexes. Allein im Juli wurden 57,59 Milliarden Kubikmeter Gas gewonnen, was um 16,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor war. Wobei die genannte Zentrale Dispatcherverwaltung keine Angaben in Bezug auf GAZPROM gesondert ausweist. Sie sind in der Fördermenge der „anderen Rohstoffnutzer“, die im Zeitraum Januar-Juli 2021 321,09 Milliarden Kubikmeter Gas (40,99 Milliarden Kubikmeter Gas im Juli) gefördert hatten, erfasst worden. Ihrerseits zeugen die Berechnungen der russischen Nachrichtenagentur INTERFAX davon, dass der Konzern im Juli 38,2 Milliarden Kubikmeter Brennstoffe erzeugte, was wesentlich mehr als im Juli 2020 (32 Milliarden Kubikmeter) ist. Und mit einer Korrektur um die Gasförderung im Osten Russlands (rund eine Milliarde Kubikmeter) ist dies spürbar mehr als im Juli 2019 (35,75 Milliarden Kubikmeter). Die Agentur betont, dass zuvor, im Verlauf der ersten fünf Monate des Jahres 2021 die Gasförderung von GAZPROM geringer als im Jahr 2019 gewesen sei. Aber höher als jetzt war die Juliförderung des Unternehmens nur im Jahr 2008 – 40,1 Milliarden Kubikmeter.

Wahrscheinlich wird das weitere Einspeichern von Gas in die einheimischen UGS die Offiziellen zu weiteren Zielen hinsichtlich der Gasifizierung (Arbeiten zum Anschließen an zentrale Gasversorgungssysteme – Anmerkung der Redaktion) des Landes stimulieren. Unter anderem hat am Mittwoch Vizepremier Alexander Nowak bei einer Sitzung des föderalen Stabes zur Gasifizierung die Vorbereitung des Anschiebens eines Prozesses zur zusätzlichen Gasifizierung in den Regionen des Landes erörtert. Er betonte, dass der Prozess zur zusätzlichen Gasifizierung ein für die Bürger maximal einfacher und ohne großen bürokratischen Aufwand sein müsse. „Unsere Aufgabe besteht darin, dass die Menschen ohne unnötige Formalitäten und in kurzer Frist Zugang zum Gas erhalten können“, erklärte er.

Dabei bezweifelt ein Teil der Experten nicht, dass GAZPROM all seine Verpflichtungen gegenüber den europäischen Abnehmern erfüllen werde. „Seit Jahresbeginn hat GAZPROM den Gasexport nach Europa erhöht und in den ersten sieben Monaten des Jahres 2021 allein nach Deutschland 42 Prozent mehr Gas als im Vergleichszeitraum des Vorjahres geliefert. Die Gasspeicher in Europa sind praktisch zu 60 Prozent gefüllt. Diese Mengen sind durchaus ausreichend für ein Absolvieren der Winterperiode, selbst wenn man überhaupt aufhört, Gas in die UGS einzuspeichern“, betont Artjom Tusow, Exekutivdirektor des Departments für Kapitalmärkte des Unternehmens „Univer Capital“. Nach seiner Meinung scheine das Problem mit dem Auffüllen der Gasspeicher in Europa überhaupt ein erfundenes zu sein.

„Die EU-Kommission hat sich viele Jahre mit der Schaffung eine Wettbewerbsumfeldes bei den Gaslieferungen nach Europa befasst. Und wenn bei irgendwelchen Ländern die Befürchtungen hinsichtlich einer Unterbrechung der Gaslieferungen durch GAZPROM aufkommen, können sie immer Gas bei alternativen Lieferanten kaufen, indem sie die Möglichkeiten ausnutzen, die durch das erste, das zweite und dritte (EU-) Energiepaket vorgesehen sind“, berichtet er. Wenn aus irgendeinem Grunde keine alternativen Lieferanten gefunden werden, könne die EU immer die Zertifizierung und Inbetriebnahme der Gaspipeline „Nord Stream 2“ beschleunigen, betont Tusow.

Die Verringerung des Einspeicherns von Gas in die europäischen Untergrundspeicher sei in der gegenwärtigen Situation für GAZPROM ein völlig berechtigter Schritt, meint der Chefanalytiker des Unternehmens „Esperio“ Lew Krawez. „Erstens erlaubt dies, die für den russischen Konzern vorrangigen Inlandsvorräte aufzufüllen, die sich nach dem kalten anhaltenden Winter 2020/2021 in Europa unterhalb des Normfüllstands befinden“, meint er.

Zweitens verknüpfe GAZPROM, indem es die Gaslieferungen nach Europa durch die Ukraine und Weißrussland verringere, die europäische Energiestabilität mit einer schnellstmöglichen Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“, fuhr der Experte fort. „Drittens ist für GAZPROM die Verringerung des Auffüllens der europäischen UGS im Kontext der Konjunkturverbesserung auf dem Erdgasmarkt von Vorteil, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein defizitärer ist. Dies bedeutet, dass ein Auffüllen der Speicheranlagen Europas auch zu höheren Preisen erfolgen kann“, urteilt Krawez. Er nimmt an, dass der Markt von Pipelinegas und LNG im zweiten Halbjahr ein defizitärer bleiben werde, was die Preise bis Ende des Jahres 2021 in der Nähe der dreijährigen Maximalwerte halten werde.

Das Einspeichern in die UGS sei für die Marktakteure ein kommerzielles Instrument, sagt Alexej Griwatsch, Experte des Valdai-Klubs und stellvertretender Generaldirektor für Gasprobleme der Stiftung für nationale Energiesicherheit. „In Europa haben unter den großen Ländern nur in Frankreich die Unternehmen, die auf dem Markt arbeiten, die Pflicht, für die Energiesicherheit Reserven vor dem anstehenden Winter anzulegen. Und dies wird in den Tarifen berücksichtigt. In den anderen Fällen müssen rein kommerzielle Stimuli wirken. Gegenwärtig gibt es keine solchen. Sehr hoch sind die Spot-Preise (in erster Linie aufgrund des Abflusses von LNG, der Probleme auf den norwegischen Gasfeldern und der großen physischen Nachfrage). Dies bremst im Übrigen das Einspeichern bei den anderen Akteuren ein, da sie sich nicht sicher sind, ob die Preise im Winter noch höher sein werden und ob es gelingen wird, die Kosten für die Leistungen der UGS zu decken“, berichtet er.

Überdies werde die Sommerperiode üblicherweise für prophylaktische Instandsetzungsarbeiten genutzt, darunter auch auf den Förderobjekten, fährt Griwatsch fort. „Möglicherweise werden sie gegenwärtig vorgenommen. Zweitens erfolgt ein intensives Einspeichern in die russischen Untergrundspeicher, die nach dem Winter ebenfalls ziemlich leer waren. Und da GAZPROM in Russland ein Garant für die Gasversorgung ist, sind die Vorbereitung auf die Heizsaison und die Wiederherstellung der Reserven in den russischen UGS für den Konzern eine Aufgabe von erstrangiger Wichtigkeit“, unterstreicht der Experte.