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Gedenkaktionen für Opfer von Repressalien – in Russland unerwünscht


Laut Informationen der „NG“, die am Donnerstag auch aus anderen Quellen bestätigt wurden, haben es die hauptstädtischen Behörden abgelehnt, der Partei „Bürgerinitiative“ am 2. März eine Aktion unter dem Namen „Gedenkmarsch für Boris Nemzow und Alexej Nawalny“ (Nawalny ist selbst als ein toter Mann im Verzeichnis des russischen Justizministeriums für Extremisten und Terroristen – Anmerkung der Redaktion) zu genehmigen. Der offizielle Grund – die weiterhin bestehenden COVID-Einschränkungen. Die freilich wohl nur für Regimekritiker gelten, schaut man sich das politische Geschehen der russischen Hauptstadt in den letzten Tagen und Wochen an. Im Rahmen des Antrags für die Aktion hatten die Antragsteller nicht einmal verhehlt, dass der Gedenkcharakter der Veranstaltung im Zusammenhang mit den letzten Ereignissen aktualisiert werde. In den Regionen hatten die Oppositionellen versucht, ihre wahren Pläne zu verbergen, hier und da erhielten sie sogar Genehmigungen. Die wurden jedoch bald darauf annulliert, so dass in einer Reihe von Städten die Rechtsschützer begonnen haben, Warnungen über deren Unrechtmäßigkeit auszusprechen.

 

Die Demonstration in Moskau war für eine traditionelle Route beantragt worden – über den Boulevardring bis zum Sacharow-Prospekt. Das Ziel der Aktion war im Antrag etwa so umrissen worden: der aus dem Leben geschiedenen Politiker zu gedenken und Solidarität mit ihren Ideen für eine „Entwicklung der Zivilgesellschaft und eines Rechtsstaates, für die Verteidigung der Menschenrechte und -freiheiten einschließlich einer Unzulässigkeit politischer Repressalien“ zu bekunden.

 

Unter den Antragsteller war nicht nur der Vorsitzende der Partei „Bürgerinitiative“, Andrej Netschajew, sondern auch die aus dem Präsidentschaftswahlkampf ausgebootete Jekaterina Dunzowa. Wie Netschajew der „NG“ erzählte, gab es in den ersten Tagen nach Einreichung des Antrags keine Vorschläge für eine Verlegung der Aktion. Es hatte aber auch keine bestimmte Antwort (mit Ausnahme eines Telefonanrufs) gegeben. „Auf meine Anmerkungen, dass (die Kremlpartei) „Einiges Russland ihre Meetings veranstaltet und für sie keine Verbote gelten würden, sagten die Beamten nichts“, erläuterte er. Im Telefonat vom 22. Februar bezüglich einer Ablehnung der Aktion wurden die Antragsteller nach Aussagen von Netschajew daran erinnert, dass in der Hauptstadt immer noch COVID-Restriktionen für Massenaktionen gelten würden. Einer der Antragsteller – der frühere Funktionär der bereits liquidierten Partei PARNAS, Konstantin Merslikin – ist der Auffassung, , dass die „Erwähnungdes jüngst verstorbenen Politikers (Alexej Nawalny – „NG“) nur die Chance für eine Zustimmung verringerte.

 

Derweil wurden und werden analoge Veranstaltungen auch in den Regionen untersagt, obgleich sie dort nicht direkt als mit dem Nawalny-Tod verbundene beantragt wurden. In der Verwaltungsregion Altai hatte beispielsweise die dortige Organisation der Partei „Jabloko“ von der Stadtverwaltung von Barnaul eine schriftliche Zustimmung für eine Aktion zum Gedenken an Boris Nemzow am 25. Februar, auf dem Platz der Freiheit am Denkmal für die Opfer politischer Repressalien erhalten. Die am 20. Februar bekanntgewordenen Zustimmung bestand lediglich einen Tag, da sie am 21. Februar ohne Angabe von Gründen zurückgezogen wurde. „Jabloko“ ließ sich entsprechend ihren politischen Grundsätzen auf keine Zuspitzung ein und erklärte, dass „im Zusammenhang damit die Organisatoren gezwungen sind, die Durchführung der Veranstaltung abzusagen, um keine Mitglieder und Anhänger der Partei der Gefahr einer Festnahme und Bestrafung auszusetzen“.

 

In der Stadtverwaltung von Tscheljabinsk hatte man sofort „Jabloko“ eine Gedenkaktion für Nemzow verweigert, wobei dies damit begründet wurde, dass alle in der Stadt erlaubten Plätze für Aktionen bereits belegt seien. Dies galt selbst für den Parkplatz an der Eissportarena „Traktor“ am nordwestlichen Stadtrand und gar eine Tanzfläche in einem der Parks. Ausgehend davon wurde durch die Beamten der Stadtverwaltung vorgeschlagen, nach einem neuen Ort und Termin zu suchen.

 

Makaber gestaltete sich die Situation in Nowosibirsk. Die Stadtabgeordnete Swetlana Kawersina, die den Stab für Boris Nadeschdin, der ebenfalls nicht als Präsidentschaftskandidat zugelassen wurde, leitete, beantragte für den 27. Februar (9. Jahrestag der Ermordung von Boris Nemzow in Moskau – Anmerkung der Redaktion) ein Meeting mit ganzen 50 Personen. Doch selbst dafür gab es eine Ablehnung, die damit motiviert wurde, dass sie ja mit extremistischen Organisationen wie gerade die Nawalny-Anhänger verbunden sei. Und während die Kommunalpolitikerin auf dem Gerichtsweg diese Entscheidung anfechten wollte, erhielten ca. 300 Einwohner der Stadt von der Polizei Warnungen über die Unzulässigkeit nichtgenehmigter öffentlicher Veranstaltungen.

 

Post Scriptum

 

In seiner Jahresbotschaft ließ Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag die Frage der Einschränkung der demokratischen Grundrechte und -freiheiten im Land aus. Seine vierte Amtszeit war und wird von politischen Verfolgungen geprägt, die nach Einschätzungen des investigativen Nachrichten-Internetportals „Projekt“ das Maß an Repressalien zu Zeiten von Chrustschow und Breschnew in den Schatten stellen würden. Mehr als 116.000 Aktivisten wurden durch die russischen Behörden verfolgt, konstatierte „Projekt“. Und die Tendenz ist steigend, schaut man auf die Ereignisse dieser Woche. Erinnert sei zum Beispiel an das Urteil gegen Oleg Orlow. Der Menschenrechtler und Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ (die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde) erhielt am Dienstag wegen der Kritik an der russischen Militäroperation in der Ukraine eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren.

 

Und was das Andenken an Nemzow und Nawalny angeht, so erklärte Jekaterina Dunzowa, dass man am 17. März, am Haupttag der russischen Präsidentschaftswahlen, dies würdigen könne. „Am 17. März, um 12 Uhr werde ich für einen Machtwechsel, für echte Wahlen, für ein normales Leben stimmen, damit die Zukunft unseres Landes und eines jeden von uns von uns allen bestimmt wird und nicht für uns alle durch eine Person“, schrieb sie im Internet.