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Gegen Jerewan hat man eine sowjetische (Land-) Karte ausgespielt


Nach sieben Verhandlungsrunden zur Delimitation der armenisch-aserbaidschanischen Grenze hat man in Baku erklärt, dass man noch mit vier Dörfern rechne. Zu Sowjetzeiten hatten sie sich im Bestand der Aserbaidschanischen SSR befunden, jetzt liegen sie an der Fernverkehrsstraße, die Armenien mit Georgien und dem Iran – den einzigen Ländern, mit denen die Armenier normale Beziehungen unterhalten – verbindet. Die aserbaidschanischen Offiziellen warten auf eine baldige „De-Okkupation“ der Ortschaften.

Im Apparat von Shahin Mustafayev, dem Vize-Premier Aserbaidschans, erklärte man, dass in der letzten Zeit in armenischen Massenmedien „falsche Informationen, die von Regierungsquellen kommen“, verbreitet werden würden, wonach sich die Gebiete, die 31 Dörfern Armeniens gehören würden, unter einer Okkupation von Baku befinden würden. Im Zusammenhang damit betonten die aserbaidschanischen Offiziellen, dass sie es ablehnen würden, bis zu einer Delimitation der Grenze derartige Anschuldigungen zu akzeptieren. Dennoch forderte man dort, Baku unverzüglich die vier Dörfer – Baghanis Ayrum, Ashaghy Askipara, Kheyrimli und Gyzylgadzhily – zu übergeben. Außerdem erinnerte man in Baku an vier Exklaven – Yukhari Askipara, Sofulu, Barkhudarly und Karki -, die ebenfalls zurückgegeben werden müssten, aber im Zuge der Delimitation.

Allem nach zu urteilen, ist zum Anlass für die Erklärung ein Auftritt von Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan geworden. So hatte er am 3. März berichtet, dass die Gesamtfläche der von Aserbaidschan okkupierten Territorien 170 Quadratkilometer ausmache. Nach Aussagen Paschinjans seien dies lebenswichtige Territorien von 31 Dörfern. Baku lehnt es aber ab, die Tatsache einer Okkupation anzuerkennen. Es sei daran erinnert, dass Kampfhandlungen um diese Territorien in den Jahren 2021-2022 erfolgten und zum Anlass für ernsthafte Meinungsverschiedenheiten zwischen Jerewan und der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit wurden, da es die Verbündeten abgelehnt hatten, das Geschehen als eine „Aggression“ zu bezeichnen.

„Die aserbaidschanische Seite legt den Akzent auf eine unbedingte und schnellstmögliche Rückgabe jener Dörfer, die ihr entsprechend sowjetischen Landkarten gehören und keine Exklaven sind“, erklärte der „NG“ der aserbaidschanische Politologe Ilgar Velizade. „Dies muss man tun, bevor mit einer Delimitation der Grenze begonnen wird. Danach werden die Exklaven an der Reihe sein. Dies ist aber kein Ultimatum, sondern eine Vereinbarung, die für ein weiteres Vorankommen des Verhandlungsprozesses erzielt werden muss. Letzten Endes gehören die ausgewiesenen Dörfer selbst entsprechend den Google-Landkarten zu Aserbaidschan. Daher müssen sie, unabhängig davon, wie sich die Delimitation entwickeln wird, unter die Kontrolle Bakus kommen“, betonte er.

Ebenfalls im Vorfeld des Appells, die vier Dörfer unverzüglich an Aserbaidschan zurückzugeben, gewährte Armeniens Außenminister Ararat Mirzojan den beiden türkischen Nachrichtenagenturen Anadolu und TRT World ein Interview. Der Diplomat versicherte, dass Jerewan hoffe, mit Baku einen Friedensvertrag abzuschließen, wobei man sich auf die Deklaration von Almaty stütze, in deren Rahmen die Territorien der Republiken der Sowjetzeit entsprechen sollen. Dabei sagte Mirzojan, dass es nach wie vor nicht gelungen sei, die Herangehensweisen an die Prinzipien für eine Delimitation der Grenze und an eine Deblockierung der Transportwege abzustimmen. Seinen Worten zufolge würden die armenischen Offiziellen gleichfalls den Verdacht hegen, dass Aserbaidschan Pläne für eine Einnahme souveräner Territorien der Republik schmiede.

Parallel dazu erklärte Armeniens Ex-Botschafter für Sonderaufträge, Edmon Marukjan, dass er den diplomatischen Dienst aufgegeben habe, da er mit dem Umschreiben der Verfassung der Republik nicht einverstanden sei. „Als Aserbaidschan die fünf Prinzipien für den Friedensvertrag mit Armenien vorstellte, hatte es keine Forderungen gegeben, die Verfassung zu ändern, die Inlandsgesetzgebung zu revidieren und etwas mit der Unabhängigkeitsdeklaration zu tun“, unterstrich einer der ältesten Mitstreiter Paschinjans. „Ein Anerkennen dessen, dass wir eine neue Verfassung verabschieden müssen, die nach Meinung von Aserbaidschan in der heutigen Fassung den Abschluss eines Friedensvertrages behindere, bedeutet, dass wir vollkommen den Prozess des Abschlusses eines Friedensvertrages zu Grabe tragen“. Dabei unterstrich Marukjan, dass die Wünsche Aserbaidschans grenzenlos seien, während Armenien ständig seine Forderungen zurückschraube und nichts als eine Antwort erhalte.

„Im Verlauf der Verhandlungen muss man jedes Bächlein, jede Anhöhe und jede Straße erörtern“, meint Alexander Iskandarjan, Direktor des Kaukasus-Instituts in Jerewan. „Beispielsweise ist es innerhalb von 30 Jahren gelungen, die armenisch-georgische Grenze nur zu etwa zwei Drittel zu bestätigen, und dies unter den Bedingungen ausgezeichneter zwischenstaatlicher Beziehungen. Aserbaidschan ist zu nichts Ähnlichem bereit. Anstelle dessen hat es ein System von Ultimaten konstruiert“.

Der Politologe betonte, dass es Jerewan vorerst gelinge, das von ihm kontrollierte Territorium zu verteidigen. Es sei aber unbekannt, wie lange dies andauern werde. Armenien leiste unter anderem schwer den Methoden Bakus zur Beeinflussung – angefangen mit diplomatischen bis hin zu militärischen – Widerstand. Dabei ist sich der Experte nicht sicher, ob die internationale Staatengemeinschaft den Wunsch habe, die gewaltsamen Handlungen von Baku zu unterbinden, wenn es diese auf einmal unternimmt. „Wir wissen jedoch nicht, wie weit Aserbaidschan zu gehen bereit ist. Bisher bemüht sich Baku, einen maximalen Vorteil aus seinem Sieg in Karabach zu erzielen. Die vier Dörfer besitzen strategische Bedeutung. Sie befinden sich an der Straße, die Armenien mit Georgien und dem Iran – die einzigen Nachbarn, mit denen die Armenier normale Beziehungen haben – verbindet“, resümierte Iskandarjan.