Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Geistliche in Weißrussland werden nun aufgrund der Ukraine bestraft


In Weißrussland hat eine neue Welle von Verhaftungen von Geistlichen begonnen. Dieses Mal bestraft man sie nicht aufgrund von Auftritten gegen die Offiziellen des Landes, sondern aufgrund von Kritik an der militärischen Sonderoperation, die die Russische Föderation trotz massiver internationaler Kritik auf dem Territorium der Ukraine bereits die 13. Woche durchführt.

Am 7. Mai ist bekannt geworden, dass auf Drängen der orthodoxe Geistliche ukrainischer Abstammung Ioann Lendel suspendiert wurde. Er hatte seit 1996 in Weißrussland gearbeitet, hatte aber dabei die Staatsbürgerschaft der Ukraine. Die Genehmigung zur Vornahme einer religiösen Tätigkeit war für ihn stets automatisch verlängert worden. Dieses Mal haben es jedoch die Kirchenoffiziellen des Kreises Gomels abgelehnt, wo sich die Gemeinde des Geistlichen befindet, dies zu tun. Neben den möglichen Gründen nennt man nicht nur die schwierigen Beziehungen mit der Leitung der Eparchie (Diözese), sondern auch die Staatsbürgerschaft Lendels. Allerdings ist dank der loyalistischen Politik, die der Exarch von Weißrussland, der Metropolit von Minsk und Saslawl Benjamin (Tupeko), verfolgt, Lendel vorerst der einzige orthodoxe Kleriker, der für die Verbindungen mit der Ukraine zahlte. Mit noch einem orthodoxen Geistlichen, mit Andrej Nosdrin aus Grodno, wurde ein „prophylaktisches Gespräch“ über seine Haltung gegenüber der militärischen Sonderoperation der Russischen Föderation geführt.

Unter den Katholiken und Protestanten ist die Anzahl der betroffenen Geistlichen weitaus größer. Nach Meinung des katholischen Geistlichen Wjatscheslaw Barok, der im Juli vergangenen Jahres die Republik verlassen musste, seien in den letzten zwei Monaten mindestens sieben Kleriker verschiedener Konfessionen bestraft worden. Die Mehrheit machten traditionell die Katholiken aus.

Einer der ersten betroffenen wurde der katholische Geistliche Andrej Kewlitsch, der Dekan der Gemeinde von Mogiljow. Seine Dienstpflichten nimmt er seit März dieses Jahres nicht mehr wahr. Am 18. April wurde er gleich nach der Ostermesse in der katholischen Kirche festgenommen und in die Abteilung des Innern des Gorezkij-Stadtbezirks gebracht. Später ließ man den Kleriker gehen, es wurde aber gegen ihn ein Protokoll aufgesetzt. Im Internet war der Avatar Kewlitschs in den Farben der ukrainischen Flagge gestaltet worden. Und zum Anlass für die Festnahme und einen Prozess wurde ein Repost von einer Internetseite, die als extremistische eingestuft worden war. Die letzte Gerichtsverhandlung gegen den Geistlichen fand am 12. Mai statt. Und man verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 640 weißrussischen Rubeln (umgerechnet etwa 180 Euro).

Am 28. April wurde das Urteil gegen den katholischen Pfarrer Igor Laschuk gesprochen. Ihn hielt man für schuldig entsprechend Teil 2 des Artikels 19.11 des weißrussischen Ordnungsstrafrechts (Verbreitung von Informationsprodukten, die in das Republiksverzeichnis extremistischer Materialien aufgenommen wurden, aber genauso die Anfertigung, Herausgabe, Aufbewahrung oder der Transport zwecks Verbreitung solcher Informationsprodukte) und verurteilte ihn zur Zahlung einer Strafe von 30 Basis-Einheiten. Dies machte 960 weißrussische Rubel aus (umgerechnet etwas mehr als 269 Euro). Laschuk war am 20. April festgenommen worden. Man warf ihm das Reposten von Materialien von „extremistischen“ Medien in den sozialen Netzwerken vor. Allerdings hatte sich seitens der Behörden von Weißrussland schon lange ein besonderes Verhältnis gegenüber Laschuk herausgebildet. Bereits im Jahr 2016 hatte der Geistliche erklärt, dass die „weißrussischen Beamten schlimmer als der IS (eine terroristische Organisation, die in der Russischen Föderation verboten ist) sind“. „Schauen Sie einmal, wie viele zerstörte katholische Gotteshäuser und Kirchen es bei uns gibt. Aber heute gibt man sie nicht den Gläubigen. Und man zerstört sie heute weiterhin. In was für Ruinen liegen Gutshäuser, Burgen, Hügel, Schlösser und Parks. Dies ist schlimmer als der IS. Hier zerstört man seine, die weißrussische Kultur“, hatte damals der Ksiądz (Geistliche) betont. Am 4. März dieses Jahres hatte Igor Laschuk eine spezielle Gebetsaktion im Verwaltungsgebiet Gomel, in den an die Ukraine grenzenden Gemeinden von Weißrussland, durchgeführt. „Gruschewka und Narowlja: mehrere Kilometer weiter – da sind ein großes Dulden und Leiden des ukrainischen Volkes. Herr, vergib’ deinen Menschen, dass sie es nicht verstehen, friedlich miteinander zu sprechen“, hatte der Geistliche ausgerufen.

Am 19. April erfolgte in Minsk eine Hausdurchsuchung mit Beschlagnahmung von Technik beim Pastor der Baptistenkirche „Licht der Hoffnung“ Vitalij Tschitschmarjow. Er selbst wurde auch festgenommen. Über Vitalij Tschitschmarjow ist bekannt, dass er als Ingenieur in einem der Minsker Betriebe arbeitete. Im Jahr 2020 war er ein aktiver Teilnehmer der Gewerkschaftsbewegung für ehrliche Wahlen und würdige Arbeitsbedingungen.

Am gleichen Tag, am 19. April, wurde bei dem griechisch-katholischen Aktivisten aus Polozk Nikolaj Scharach eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Es wird behauptet, dass Scharach wie auch Vitalij Tschitschmarjow von der Welle der Verfolgungen von Gewerkschaftsfunktionären Weißrusslands erfasst worden war. Er ist Vorsitzender der Freien Weißrussischen Gewerkschaft. Ende März war auf der Internetseite dieser Gewerkschaft der Aufruf „Mutig den Frieden verteidigend“ aufgetaucht, wonach das Geschehen in der Ukraine – ein „Unglück“ sei. Und es wurde Solidarität mit den Bürgern Russlands bekundet, die die Sonderoperation nicht unterstützten. Am 21. April wurde auf dieser Internetseite die „Gemeinsame Erklärung weißrussischer Menschenrechtsorganisationen“ veröffentlicht, in der betont wurde, dass „am 19. April eine Attacke gegen die unabhängige Gewerkschaftsbewegung erfolgte“. „Durchsuchungen erfolgten im Büro des Weißrussischen Kongresses der demokratischen Gewerkschaften und in Büros seiner Mitgliederorganisationen – der Freien Weißrussischen Gewerkschaft, der Freien Metallurgen-Gewerkschaft und der Weißrussischen Gewerkschaft der Beschäftigten der funkelektronischen Industrie – in Minsk und in Regionen, aber auch in Privathäusern und Privatwohnungen von Gewerkschaftsführern und -aktivisten“, heißt es in der Erklärung. Festgenommen wurden Führungskräfte und Aktivisten der unabhängigen Gewerkschaften. Die genaue Zahl der verhafteten Funktionäre ist bisher unbekannt. Mindestens vierzehn Personen sind jedoch nicht erreichbar, teilten Aktivisten mit.

Weißrussland verlassen musste Ende März der Vorsteher der römisch-katholischen Gemeinde zu Christus dem Barmherzigen in Postawy, der Geistliche Andrzej Bultschak. Ihm hatte man gleichfalls im Rahmen eines Ordnungsrechtsverfahren die Verbreitung extremistischer Materialien vorgeworfen. Nach Meinung der Strukturen der Rechtsschützer und Sicherheitsorgane sei auf dem YouTube-Kanal der Gemeinde ein Video veröffentlicht worden, das Bilder mit dem Logo eines nichtstaatlichen Fernsehsenders, der zu einer „extremistischen Formation“ abgestempelt worden war, enthielt. Auf den Bildern war der Moment der Festnahme von Menschen bei einer Protestaktion in Minsk zu sehen, die gegen die Unterstützung von Weißrussland für die russische Sonderoperation in der Ukraine aufgetreten waren. Die Gerichtsverhandlung gegen den Geistlichen erfolgte am 13. März, und er bekam eine Strafe im Umfang von 960 weißrussischen Rubeln.

Anfang April kam nach mehreren Tagen Ordnungshaft der Vorsteher der römisch-katholischen Gemeinde zum Heiligen Apostel Andreas in Lyntupy (Verwaltungsgebiet Witebsk), der Geistliche Alexander Baran, auf freien Fuß. Ihn hatte man wegen einer „nichtsanktionierten Mahnwache“ und der „Verbreitung extremistischer Materialien“ verurteilt. Zum Anlass war das geworden, dass Baran am 24. Februar auf dem Foto seines Profils im Internet sowohl die Flagge der Ukraine als auch die weiß-rot-weiße Flagge, das Symbol der weißrussischen Opposition, gepostet hatte.

Am 28. März erklärte ein Gericht in Mogiljow den Geistlichen der Weißrussischen griechisch-katholischen Kirche Wassilij Jegorow aufgrund einer ungesetzlichen Mahnwache für schuldig und bestrafte ihn mit 50 Basis-Einheiten (1600 weißrussische Rubel, was etwa 448,50 Euro). Vor der Gerichtsverhandlung hatte man den Geistlichen drei Tage lang in der U-Haft festgehalten. Zum Grund für die Festnahme wurde der Auto-Aufkleber mit den Worten „Ukraine, vergib!“.

Die weißrussische Aktivistin Natalia Wassiljewitsch warnte auf ihrem Telegram-Kanal: „Allen Geistlichen in Belarus muss ich sagen: Derzeit nehmen die Behörden ein Monitoring der Accounts der Kleriker verschiedener Konfessionen in den sozialen Netzwerken vor. Die ideologischen Abteilungen in den Kreisen sind mit dem Studium der Facebook- und Instagram-Seiten der Geistlichen auf dem ihn unterstellten Territorium beschäftigt (Facebook und Instagram sind in der Russischen Föderation verbotene soziale Netzwerke – Anmerkung der Redaktion). Erfasst wird alles – Avatare mit der ukrainischen oder weiß-rot-weißen Flagge. Besondere Aufmerksamkeit gilt Reposts von „BelSat“, Radio Liberty (in Russland als sogenannter ausländischer Agent eingestuft) und anderen unabhängigen Massenmedien, die als extremistische anerkannt wurden. Die Aufgabe ist, das Informationsfeld von jeglichen, selbst den geringsten Erscheinungen einer Protestaktivität vollkommen zu säubern. Dies ist gegenwärtig die Hauptform für das Verfolgen von Klerikern in Belarus“.