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Georgien hat erneut den Traum von Europa in Frage gestellt


Die Herrschenden Georgiens unternehmen einen zweiten Versuch, ein Gesetz über sogenannte ausländische Agenten zu verabschieden. Im Vergleich zur Version des vergangenen Jahres gibt es lediglich einen Unterschied: Anstelle des Begriffs „Agenten ausländischen Einflusses“ soll in dem Dokument die Formulierung „Organisation, die die Interessen einer ausländischen Kraft verfolgt“ auftauchen. Das Wichtigste ist, dass alle Massenmedien und Nichtregierungsorganisationen, die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, alljährlich ihre Finanzberichte veröffentlichen sollen. Bei einem Verstoß gegen diese Regel wird man sie bestrafen.

Georgiens Premierminister Irakli Kobachidse erklärte, dass das Gesetz über die „ausländischen Agenten“ zu einer Fortsetzung der Politik der maximalen Offenheit werde. Nach seinen Worten müssten sowohl der Staat als auch die Nichtregierungsorganisationen auf maximale Weise transparent seien. Dabei werde Tbilissi niemals der Europäischen Union beitreten können, wenn es nicht einen „minimalen Standard für die Transparenz“ einhalten werde, den man gerade in dem Dokument verankern will.

Dabei unterstrich Kobachidse, dass ein Teil der Nichtregierungsorganisationen mit ausländischen Geldern in Georgien Radikalismus schüren, revolutionäre Prozesse unterstützen und versuchen würden, die Wahlen zu fälschen. Außerdem würden sie zu einem Krieg aufrufen und überhaupt eine pseudoliberale Ideologie verbreiten. „Die oben erwähnten Handlungen der Nichtregierungsorganisationen und Massenmedien werden sich negativ auf das Ansehen ihrer Geldgeber auswirken. Ich denke, dass das Gesetz „Über die Transparenz des ausländischen Einflusses“ einen erheblichen Beitrag zur Überwindung dieses Übels leisten wird“, sagte der 45jährige Regierungschef.

Seinerseits unterstrich Parlamentschef Shalva Papuashvili, dass er versucht hätte, ausländische Geldgeber zu überreden, dass sie berichten, wen und weshalb sie unterstützen. Diejenigen hätte dies aber verweigert. Sein Stellvertreter Gia Volsky ist der Auffassung, dass „die wütende Haltung zu dem absolut normalen Gesetzentwurf“ eine Demonstration dessen sei, dass die Aktivisten der Zivilgesellschaft die aus dem Ausland erhaltenen Gelder für eine Destabilisierung Georgiens bräuchten. Ihr Mitstreiter aus der Regierungspartei „Georgischer Traum“, Irakli Zarkua, denkt, dass die Gesellschaft wissen müsse, wer die Menschen finanziert, die dem Staat feindselig gegenüberstehen. Dabei unterstreichen sie alle, dass ein Gesetz über ausländische Agenten beispielsweise in den USA, in Ländern der Europäischen Union, in Großbritannien, Kanada und in der Ukraine existiere. (Dabei sagen sie aber nichts, über die Unterschiede und Mechanismen dieser ausländischen Gesetze. – Anmerkung der Redaktion)

Die Opposition hat jedoch in dieser Hinsicht eine andere Meinung. „(Die Partei) „Georgischer Traum“ möchte jetzt das Land übers Knie brechen… Sie sind … jene politische Kraft, die vor Beginn der Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union das russische Gesetz zurückgeholt haben“, erklärte die Abgeordnete Khatia Dekanoidse. „Dies ist für uns alle eine Beleidigung! Wir dürfen die Annahme dieses Gesetzes nicht zulassen“, pflichtet ihr ein anderer Oppositioneller, Aleko Elisashvili, bei. „Nicht nur das Gesetz, Sie sind eine russische Regierung, und die Bürger Georgiens werden mit Ihnen Schluss machen“, erklärte der Partei „Georgischer Traum“ die Abgeordnete Ana Nazvlishvili.

Der Chef der Partei „Girchi“, Zurab Dshaparidse, erinnerte daran, dass die Zivilgesellschaft im vergangenen Jahr die Regierung daran hindern konnte, die skandalöse Gesetzesvorlage zu verabschieden. Die Herrschenden haben aber dennoch ihre Absicht nicht aufgegeben und nicht aufgehört, Druck auf die unabhängigen Nichtregierungsorganisationen und Massenmedien auszuüben. Aus diesem Grunde ist er der Auffassung, dass man nicht gegen die wiederhervorgeholte Gesetzesinitiative, sondern gegen die Führung des Landes kämpfen müsse. Freilich schlägt Dshaparidse vor, die Herrschenden nicht im Verlauf eines Staatsstreichs abzusetzen, sondern am 26. Oktober bei den Parlamentswahlen. Solch eine Meinung vertritt man auch in der „Nationalen Einheitsbewegung“ und in der Partei „Agmashenebeli-Strategie“.

Sie unterstützte Georgiens Präsidentin Salome Zurabishvili. Nach ihren Worten müssten die Georgier am 26. Oktober „gegen diese Wucherei und Rüpelhaftigkeit“ votieren. Dabei unterstrich Zurabishvili, dass die Regierung versuche, die Georgier einzuschüchtern und durch die Lüge von ihrer großen Popularität und durch Horrormärchen über eine Rückkehr von Michail Saakashvili an die Macht auseinanderzubringen. „Wir müssen zu den Wahlen gehen. Dafür wird eine überaus große Mobilmachung nötig sein. Es gibt keinerlei Hoffnungslosigkeit, keinerlei Depression und keinerlei Pessimismus… Wir alle müssen unter einer, unter der europäischen Flagge zu den Wahlen gehen. Möglicherweise wird es mehrere Parteien geben, es gibt aber einen europäischen Aktionsplan“, resümierte sie.

Derweil erinnerte der Pressesekretär des US-Außenministeriums Matthew Miller daran, wie im März des vergangenen Jahres Zehntausende Georgier auf die Straßen von Tbilissi gekommen waren, um ihre europäischen Ambtitionen kundzutun und das Gesetz über ausländische Agenten zurückzuweisen. „Dies ist eine historische Möglichkeit, um Verhandlungen über einen EU-Beitritt zu beginnen. Und wir sind bereit. Lassen Sie uns weiterhin Georgien in diesem Prozess unterstützen“, sagte der Diplomat.

Peter Stano, der Pressesprecher der EU, erklärte, dass Brüssel über die Aktivitäten der georgischen Offiziellen besorgt sei. „Die EU erinnert Sie an das öffentliche der Regierung Georgiens und der Regierungspartei vom vergangenen Jahr, solch einen Gesetzentwurf „bedingungslos zurückzuziehen“… Die Schaffung und Aufrechterhaltung eines günstigen Umfelds für die Organisation der Zivilgesellschaft und die Gewährleistung der Medienfreiheit sind eine Grundlage der Demokratie. Dies hat gleichfalls entscheidende Bedeutung für den Prozess des Beitritts zur EU… Transparenz darf nicht als ein Instrument zur Einschränkung der Möglichkeit der Zivilgesellschaft, frei zu agieren, ausgenutzt werden“, resümierte Peter Stano.

Wie dem auch immer sein mag: Die Partei „Georgischer Traum“ schickt sich an, das Gesetz über ausländische Agenten bis zum Ende der Frühjahrstagungsserie, das heißt bis zum Juli zu verabschieden. Bemerkenswert ist, dass im Juni ein großer Teil der Georgier wahrscheinlich nicht durch politische Kämpfe, sondern Fußball-Leidenschaften erfasst werden wird. Die Republik nimmt erstmals an einer UEFA-Fußball-Europameisterschaft, am Euro-2024-Turnier in Deutschland teil. So wird die Nationalelf am 18. Juni ihr erstes Gruppenspiel gegen die Türkei in Dortmund bestreiten, am 22. Juni gegen Tschechien und am 26. Juni gegen das Team Portugals mit Cristiano Ronaldo. Der georgische Politologe Nika Chitadze schließt nicht aus, dass die Herrschenden Schlussfolgerungen aus den Massenprotestaktionen des vergangenen Jahres, ausgelöst durch den Versuch, das skandalöse Dokument zu verabschieden, gezogen haben. Daher hätten sie dieses Mal beschlossen, das Fußball-Turnier für eine Ablenkung der Aufmerksamkeit von der Innenpolitik auszunutzen.

„Das Gesetz wird wahrscheinlich verabschiedet, und die Opposition wird dem nicht mit Hilfe der Straße in die Quere kommen. Im Gegenteil, sie zielt auf einen Sieg bei den Parlamentswahlen ab und bemüht sich daher, Provokationen zu vermeiden. Ihrerseits möchte die Regierung das Gesetz über ausländische Agenten für eine Diskreditierung der Opposition ausnutzen. Die Gegner der regierenden Partei würden sie angeblich nicht aufrichtig kritisieren, sondern für Geld. Aber unter Berücksichtigung dessen, dass 80 Prozent der Georgier einen EU- und NATO-Beitritt des Landes unterstützen, kann die Regierung für sich eine Grube ausheben“, sagte Chitadze der „NG“.

Schota Apchaidze, Experte von der Finanzuniversität der Regierung Russlands, ist dagegen der Annahme, dass sich die Opposition wieder bemühen werde, Massenproteste zu veranstalten, um die Verabschiedung des Gesetzes zu stören. Dieses Mal werde die Regierung aber nicht zurückweichen. „Die Gesetze über ausländische Agenten und das Verbot von LGBT-Propaganda (laut russischer Auffassung gebe es eine angebliche internationale institutionalisierte LGBT-Bewegung, die durch das Oberste Gericht als eine extremistische gelabelt und daher verboten wurde – „NG“) kann man als einen Teil der gesamten Wahlkampfstrategie der Partei „Georgischer Traum“ ansehen. Somit konsolidiert und erweitert die Partei ihr Elektorat, wobei sie hofft, bei den Parlamentswahlen die Verfassungsmehrheit zu erringen“, betonte Apchaidze.

Post Scriptum

Ungeachtet der Kritik am Gesetzentwurf über ausländische Agenten sowohl im eigenen Land als auch im Ausland soll bereits in der kommenden Woche die Behandlung des umstrittenen Dokuments in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments beginnen. Und die Opposition will daher schon am Montag, dem 8. April ihre erste Protestaktion aus diesem Anlass am Parlament der Republik durchführen. Die Anzahl der Teilnehmer wird dabei mit Sicherheit ein Indiz dafür werden, inwieweit die Gesetzesvorlage die georgische Gesellschaft beunruhigt.