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„Georgischer Traum“ erhielt von der Jugend eine Ohrfeige


Die Abgeordneten des georgischen Parlaments von der regierenden Partei „Georgischer Traum“ und ihr Junior-Partner „Kraft des Volkes“ haben am 9. März den Gesetzentwurf „Über die Transparenz des ausländischen Einflusses“ zurückgezogen, dass sie mehrheitlich in erster Linie zwei Tage zuvor verabschiedet hatten. Und am Freitag wurde dies auch im Parlament mittels einer entsprechenden Abstimmung besiegelt. Dafür waren ununterbrochene Protestaktionen junger Menschen, ein Marsch der Frauen am 8. März, nächtliche Zusammenstöße mit der Polizei, die Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse einsetzte, aber auch der Druck des Westens auf die Herrschenden erforderlich gewesen.

Am Donnerstagvormittag verbreitete die parlamentarische Mehrheit eine Erklärung über das Zurückziehen des skandalösen Gesetzes, dessen Annahme in erster Lesung in Tbilissi und einer Reihe von Städten Protestaktionen und Unruhen ausgelöst hatten. In der Erklärung wurde die Aufmerksamkeit darauf akzentuiert, dass gegen die Offiziellen eine massive Gegenpropaganda in Gang gesetzt worden sei, in deren Ergebnis sich bei einem Teil der Gesellschaft, die getäuscht worden sei, ein negativer Eindruck über das Gesetz „Über die Transparenz des ausländischen Einflusses“ ergeben hätte. „Der Gesetzentwurf wurde mit dem verlogenen Label eines „russischen Gesetzes“ versehen. Und seine Annahme in erster Lesung war in den Augen eines Teils der Öffentlichkeit als ein Abgehen vom europäischen Kurs dargestellt worden“, heißt es in der Erklärung der parlamentarischen Mehrheit. Das Abgehen von ihrem Plan erläutern die herrschenden Kreise mit einer „Sorge um den Frieden, die Ruhe und wirtschaftliche Entwicklung, aber auch das Vorankommen Georgiens auf dem Weg der Euro-Integration sowie dem Unwillen, die Energie eines jeden unserer Bürger für eine destruktive Konfrontation aufzuwenden“.

Dabei hat die Partei „Georgischer Traum“ nicht endgültig die Absicht aufgegeben, das Gesetz über ausländische Agenten zu bestätigen. Und sie macht keinen Hehl daraus. In der bereits erwähnten Erklärung heißt es, dass eine entsprechende aufklärerische Arbeit mit der Bevölkerung erfolgen werde. So, damit „die Menschen jedes Detail kennen und eine richtige Vorstellung über die Absichten und Handlungen des Parlaments haben“.

Letzteres wird als recht wichtig angesehen. Möglicherweise wird nach der „aufklärerischen Arbeit“ endlich verständlich, wofür die Partei „Georgischer Traum“ auf einmal dieses Gesetz brauchte. Schließlich war klar gewesen, dass es die Gesellschaft in Unruhe versetzen wird. Und eventuell sogar jenen Teil, der nicht besonders gegen die Herrschaft der „Träumer“ Einwände erhebt.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt waren die Handlungen der Regierungspartei und die zynischen Erklärungen einer Reihe ihrer Vertreter, wonach das Gesetz unbedingt angenommen werde, vor allem dem bekannten Schuss ins eigene Bein ähnlich. Und da ist es bis zum Kontrollschuss nicht weit.

Die Entscheidung der Partei „Georgischer Traum“ über ein Zurückziehen des Gesetzentwurfs begrüßten die jungen Menschen, die im Zentrum von Tbilissi im Verlauf von zwei Tagen protestiert hatten, mit Liedern und Tänzen. Sie haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihr Ziel erreicht. An dem Erfolg waren Nichtregierungsorganisationen, Aktivisten des öffentlichen Lebens, Intellektuelle, Journalisten und einfache Frauen aus Tbilissi, die am 8. März an einem Marsch durch die georgische Hauptstadt unter der Losung „Gegen eine totale Kontrolle!“ teilgenommen hatten, beteiligt gewesen.

Mit den Kundgebungsteilnehmern solidarisierte sich die in den USA weilende Präsidentin Salome Surabishvili. Sie veröffentlichte einen Videoappell, in dem sie noch einmal versprach, ein Veto gegen die Parlamentsentscheidung einzulegen. Aus juristischer Sicht bringt ein Veto der Präsidentin praktisch nichts. Man kann es im Parlament leicht durch eine Abstimmung umgehen, wo „Georgischer Traum“ die dafür erforderliche Anzahl von Stimmen hat. Aber die moralische Unterstützung von S. Surabishvili erwies sich als zeitgemäß.

Zwei Tage war es in Tbilissi sehr heiß gewesen. Nachts stand das Land vor der Gefahr einer großen Tragödie. Die Polizei setzte für ein Auseinandertreiben der Kundgebungsteilnehmer Gewalt ein – Wasserwerfer, Tränengas, Gummigeschosse. Die jungen Menschen antworteten entsprechend ihren Möglichkeiten. Gegen die Sondereinsatzkräfte flogen Steine und sogar ein paar Molotow-Cocktails. Die Vertreter der Rechtsschutzorgane erklärten ihre Handlungen mit der Notwendigkeit, das Parlamentsgebäude vor den radikal eingestellten Aktionsteilnehmern zu verteidigen. Die Anführer des öffentlichen Protests – vor allem Studenten und Bürgeraktivisten – versicherten, dass es unter den Kundgebungsteilnehmern Provokateure geben und die extremistischen Handlungen von ihnen ausgehen würden. Wie dem auch sei, mehrere dutzend Menschen wurden festgenommen. Gegen viele von ihnen wurden Strafverfahren eingeleitet. Glücklicherweise gibt es keine ernsthaft verletzten Personen. Medizinische Hilfe brauchten lediglich jene, die unter dem Tränengas gelitten hatten. Eine Ausnahme bildete wohl nur der Chef der ultraliberalen Partei „Girtschi“ (deutsch: „Zapfen“), Surab Djaparidse, dem laut Aussagen von Gleichgesinnten durch die Polizei stark zugesetzt wurde. Und er wurde festgenommen.

Andere Oppositionspolitiker hatten „sich nicht ausgezeichnet“. Genauer gesagt, sie fielen durch unbedachte, emotionale Aufrufe zu Handlungen auf, die bei allen früheren Aktionen den Protest in eine Sackgasse führten, wobei sie das Wesen und den gesunden Menschenverstand untergruben. Für sie hatte sich die passende Möglichkeit ergeben, den Prozess der Selbst-Marginalisierung abzubrechen und auf eine ernsthafte politische Ebene zurückzukehren. Es scheint, dass sie diese Chance nicht ausgenutzt haben.

Die Jugendlichen und Aktivisten hatten sich von vornherein leerer Ultimaten gegenüber den Offiziellen in der Art von „innerhalb einer Stunde zurückzutreten“ enthalten. Die Kundgebungsteilnehmer forderten lediglich eines – auf eine Annahme des „russischen Gesetzes“ zu verzichten, das ihrer Meinung nach in der Lage sei, Georgien in den Einflussbereich Russlands zurückzubringen. Am zweiten Tag wurde noch eine Forderung durchgesetzt – die nach der Freilassung aller am Vorabend festgenommenen Aktionsteilnehmer. Natürlich widerlegt dies alles nicht die Version von einem gewissen, hinter den Kulissen agierenden Anführer der Protestierenden.

Der Protest in Tbilissi war durch den Westen unterstützt worden. Europarlamentarier, Politiker, offizielle Vertreter der USA, Großbritanniens, Polens und der Länder des Baltikums forderten von den georgischen Offiziellen, keine Gewalt anzuwenden und das skandalöse Gesetz fallenzulassen, das „Georgien den Weg in die EU versperrt“. Sie hatten offiziell persönlich jene Abgeordneten für die Zukunft des Landes verantwortlich gemacht, die für die Annahme des Gesetzes über ausländische Agenten votiert hatten. Die Liste dieser Volksvertreter war bei einem der Meetings verkündet worden.

Ja, unter solchen Bedingungen hat die Partei „Georgischer Traum“ einen Rückzieher gemacht, und die Teilnehmer der zweitägigen Protestaktion zelebrierten auf dem Rustaveli-Prospekt „Siegestänze“. Ungeachtet dessen war das für Donnerstagabend angekündigte erneute Meeting nicht abgesagt worden. Die Aktionsteilnehmer wollten vom Parlament ein deutliches Signal hinsichtlich eines rechtlich verbindlichen Zurückziehens des Gesetzentwurfs „Über die Transparenz des ausländischen Einflusses“, da kein Vertrauen gegenüber der Partei „Georgischer Traum“ besteht.

Post Scriptum

Am Freitag wurde dann auch im georgischen Parlament mittels einer entsprechenden Abstimmung der Gesetzentwurf vollkommen ad acta gelegt, obgleich die Protestaktionen in der Hauptstadt fortgesetzt wurden. Es herrscht nach wie vor Ungewissheit darüber, wie es im Land weitergehen wird. Derweil distanzierte sich Moskau von den Vorwürfen, dass die umstrittenen Gesetzentwürfe nach russischem Vorbild auf die Tagesordnung gekommen seien. Außenminister Sergej Lawrow verglich gar die Proteste in Tbilissi mit den Kiewer Maidan-Ereignissen. Bezeichnend war auch die Berichterstattung im russischen Fernsehen. Es dominierte die Message, dass die Proteste von gewalttätigen Handlungen begleitet wurden und wohl Regisseure im westlichen Ausland hätten. Im Ergebnis dessen hätten die Offiziellen dem Druck des Pöbels nachgegeben. Ausgeklammert wurde dabei der Gedanke, dass in Russland Proteste gegen umstrittene Gesetze heutzutage einfach nicht mehr möglich sind.