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Gerechtigkeit im gerechten Kasachstan


In Kasachstan ist nach mehreren Wochen eines spektakulären Prozesses der frühere Minister für Wirtschaftsentwicklung Kuandyk Bischimbaev aufgrund der Ermordung seiner Gattin Saltanat Nukenova für schuldig gesprochen und zu 24 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Die Behandlung des Falls erfolgt in der Republik erstmals mit einer Online-Übertragung im Internet. Und die Entscheidung über die Schuld des Angeklagten traf ein Geschworenengericht.

Entsprechend den im Rahmen der Gerichtsverhandlungen behandelten Materialien der Untersuchungsbeamten hatte der einstige 44jährige Beamte in der Nacht vom 8. zum 9. November 2023 seine 31jährige Gattin in einem Restaurant im Herzen von Astana nach einem Streit verprügelt (vor den Augen von Restaurantmitarbeitern, denen er untersagt hatte, den Fall publik zu machen – Anmerkung der Redaktion). Wobei die Klärung der Beziehungen zwischen beiden und das Schlagen rund acht Stunden andauerten, was dank einem separaten VIP-Raum im Restaurant, wo sich alles abgespielt hatte, möglich geworden war. Aufgrund der erlittenen Verletzungen einschließlich eines Schädel-Hirn-Traumas und einer gebrochenen Nase verstarb Nukenova später. Dabei hatte Bischimbaev nichts getan, um die Gattin zu retten oder ihr irgendwie zu helfen, was durch die Untersuchungen belegt wurde.

Das Verfahren gegen Bischimbaev erfolgte unter für Kasachstan beispiellosen Umständen. Buchstäblich das ganze Land verfolgte den Verlauf der offenen Gerichtsverhandlungen. Und die Untersuchungen an sich waren im Verlauf von zwei Monaten die Hauptnachricht im Medienbereich der Republik. Ursachen dafür gibt es mehrere. Und vor allem aufgrund der Person des Verurteilten.

Bischimbaev stammt aus einer bekannten und einflussreichen Familie aus Kyzylorda. Sein Vater war Rektor mehrerer Hochschulen im Süden der Republik und Parlamentsabgeordneter gewesen. Der spätere Staatsbeamte erhielt eine glänzende Ausbildung, unter anderem in der US-amerikanischen George-Washington-Universität entsprechend dem staatlichen Programm „Bolaschak“. Danach kam er in den Staatsdienst und machte eine unglaubliche Karriere, als er im Alter von 29 Jahren nach einer Tätigkeit in unterschiedlichen Funktionen im Wirtschaftsministerium, im Apparat des Premierministers und im Präsidialamt zu einem Berater des Präsidenten Kasachstans ernannt wurde. Mit 36 Jahren war Bischimbaev zum jüngsten Minister in der Republik geworden, indem er das Amt des Ministers für nationale Wirtschaft übernahm.

Doch bereits im Jahr 2017 wurde die rasante Karriere des jungen Staatsbeamten überraschend abgebrochen. Er wurde verhaftet und ein Jahr später zu zehn Jahren Haft wegen Bestechlichkeit und Unterschlagung von Haushaltsmitteln als Chef der staatlichen Holding „Baiterek“ verurteilt. Von den vorgesehenen zehn Jahren verbüßte er lediglich zwei Jahre hinter Gittern und kam im Oktober 2019 entsprechend eines Gerichtsbeschlusses auf Bewährung auf freien Fuß.

Die persönliche Geschichte von Kuandyk wurde in der kasachischen Gesellschaft als ein rasanter Höhenflug und Absturz eines Vertreters der sogenannten goldenen Jugend aufgenommen, wobei der Absturz mit einer abgeschwächten Bestrafung erfolgte. Die sich nach der vorzeitigen Entlassung aus dem Gefängnis ereignete Ermordung der Ehefrau durch Bischimbaev (offiziell waren beide nicht verheiratet gewesen – Anmerkung der Redaktion) hatte eine heftige emotionale Reaktion in der Gesellschaft mit der Forderung nach einer gerechten Bestrafung des einstigen Staatsbeamten ausgelöst. Schließlich verurteilte man in der Gestalt von Bischimbaev nicht nur ihn selbst, wie im öffentlichen Bewusstsein zu spüren war, sondern auch die zahlreichen Staatsbeamten, die für ihre Straftaten einer Bestrafung entgingen oder mit einer symbolischen Strafe davonkamen.

Zu einem anderen wichtigen Aspekt, der das so große Interesse für den Fall von Bischimbaev ausgelöst hatte, wurde die Frage nach der Lage der Frauen in Kasachstan und das Problem der häuslichen Gewalt, die in der Republik keine strafrechtlich zu ahndende Straftat gewesen war. Das Echo auf die Ermordung der Ehefrau durch den früheren Staatsbeamten hatte diese Frage für die Offiziellen auf eine maximal brisante Weise aufgeworfen. Kasachische Aktivisten und Vertreter des öffentlichen Lebens legten eine Petition mit dem Aufruf vor, die Bestrafungen für häusliche Gewalt zu verschärfen. Innerhalb von nur wenigen Monaten sammelte sie über 150.000 Unterschriften. Im Endergebnis verabschiedete das kasachische Parlament unter dem Druck der Öffentlichkeit ein entsprechendes Gesetz, das gleichfalls die Einrichtung spezialisierter Zentren im Land vorsieht, die Opfern von Gewalt Hilfe gewähren. Am 15. April unterschrieb Staatsoberhaupt Qassym-Shomart Tokajew das Gesetz, das im Volk den Namen „Saltanat-Gesetz“ erhalten hatte.

Die Anerkennung der Schuld von Bischimbaev an der Tötung der Ehefrau und seine Verurteilung zu einer 24jährigen Haftstrafe werden in Kasachstan unterschiedlich aufgenommen. Anhänger einer härteren Linie halten das Urteil für zu milde und verlangen eine lebenslängliche Haftstrafe. Insgesamt aber hat die Öffentlichkeit mit Genugtuung die Bestrafung für den früheren Staatsbeamten aufgenommen, da bei einer so großen Aufmerksamkeit für den Fall seitens der Presse in den nächsten Jahren nicht mit einer Abschwächung des Urteils zu rechnen ist. Und der Verteilte wird garantiert zehn und mehr Jahre im Gefängnis verbringen.

Dank dem Bischimbaev-Fall haben sich in Kasachstan in den letzten sechs Monaten wesentliche Veränderungen vollzogen. Erstens vermochte die Öffentlichkeit der Republik dank ihrer beispiellosen Aktivitäten den gewohnten Verlauf der gerichtlichen Untersuchungen von Fällen gegen frühere und amtierende hochrangige Staatsbeamte ändern. Üblicherweise war die Staatsmaschinerie bestrebt gewesen, still und leise derartige Fälle zu behandeln, wobei man sich auf minimale Strafen beschränkte. Jetzt hat aber ein Staatsbeamter eine Bestrafung entsprechend der ganzen Gesetzesstrenge erhalten. Zweitens sind nach dem Tod von Nukenova die Lage und die Sicherheit der Frauen in der Familie zu einem der vorrangigen Schwerpunkte für die Arbeit von Journalisten, Vertretern des öffentlichen Lebens und der Menschenrechtler geworden. Dank solch einer öffentlichen Beachtung, aber auch der Verschärfung der entsprechenden Gesetzgebung gelingt es bereits, hunderte Frauen in der Republik vor häuslicher Gewalt zu retten. Mehr noch, im ganzen Land haben die Frauen begonnen, öffentlich über die Gewalt seitens der Ehemänner zu sprechen, wobei sie damit rechnen, auf der damit ausgelösten Welle öffentlicher Reaktionen einen Schutz und Gerechtigkeit zu erreichen. Drittens hat dank der offenen und detaillierten Untersuchung des so spektakulären Falls in Kasachstan das Vertrauen gegenüber dem Gerichtssystem und der Arbeit der Rechtsschutzorgane zugenommen.