Das Thema möglicher Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew bleibt ein aktuelles. Man schreibt und spricht darüber jede Woche. Unter anderem schreibt das US-amerikanische Magazin „Foreign Policy“ periodisch darüber, indem es Artikel von Experten publiziert, darunter auch aus den Parteikreisen der USA. Gerade „Foreign Policy“ hatte beginnend ab Herbst vergangenen Jahres Szenarios für ein Einfrieren des Konfliktes und sogar Appelle an die ukrainische Führung, einen Kontakt mit Russland herzustellen, unterbreitet. In der letzten derartigen Veröffentlichung ist allerdings von einer „Unmöglichkeit“ von Verhandlungen hier und jetzt die Rede: Die Seiten würden „extreme“ Forderungen beibehalten. Und sie würden wohl kaum in der nächsten Zeit ihre Ziele vollkommen realisieren können und seien dabei nicht bereit, sich auf Zugeständnisse einzulassen.
Zu den Zugeständnissen kann man allerdings die jüngsten Worte des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij in einem Interview für den TV-Sender CBS rechnen. Früher hatte Kiew als eine Bedingung für den Beginn von Verhandlungen die Rückkehr der Ukraine zu den Grenzen von 1991 genannt. Jetzt geht es bereits um das Jahr 2022. Entsprechend den Gedanken von Selenskijs werde der russische Präsident Wladimir Putin, zum Verhandeln bereit sein, wenn die Streitkräfte der Ukraine die russischen Truppen zu diesen Grenzen verdrängen. In diesem Fall, so der ukrainische Präsident, würden die „zweifelnden“ Länder Kiew unterstützen und damit Druck auf Moskau ausüben.
Für die russische Führung sind diese Bedingungen, selbst wenn sie wie eine Abschwächung der Position klingen, dennoch inakzeptabel. Moskau hat mehrfach erklärt, dass Verhandlungen nur unter Berücksichtigung der Situation „auf dem Boden“ bzw. der Realitäten möglich seien. Kiew ist aber der Auffassung, dass es in der Lage sei, diese Situation noch zu verändern, wenn es von den westlichen Ländern Militärhilfe im nötigen Umfang erhalten werde.
Zur gleichen Zeit erinnern die Vertreter der russischen Machtorgane daran, dass die Vollmachten von Selenskij am 20. Mai auslaufen würden. Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Staatsoberhauptes, erklärte dieser Tage unter anderem, dass der Kreml „sich auf entsprechende Art und Weise orientieren und die Situation analysieren“ werde, „um seine Position zu signalisieren“. Dies kann man auf unterschiedliche Weise interpretieren. Zum Beispiel so: Der Kreml gibt Selenskij ein Signal, dass er sich beeilen müsse, wenn er möchte, dass man ihn in Moskau als eine legitime Figur für Verhandlungen betrachtet.
Kann man denn von irgendwelchen Bewegungen bei den Verhandlungen sprechen? Die anhaltenden Kampfhandlungen und Attacken durch Drohnen verbessern nicht die Situation, verändern sie aber auch nicht auf grundlegende Weise. Wichtig ist zu betonen, dass Selenskij (zumindest) verbal Verhandlungen mit Putin einräumt, obgleich er selbst ein Gesetz über das Verbot derartiger Kontakte mit der amtierenden russischen Führung unterschrieben hatte. Dies kann man bei gutem Willen als einen Fortschritt ansehen, für ein Wegkommen vom Totpunkt halten. Von der russischen Seite aus gibt es keine solchen Bewegungen. Sie wiederholt, dass sie auch nie aus den Verhandlungen ausgestiegen sei. Sie seien auf Wunsch des Kiewer Regimes und dessen Sponsoren eingestellt worden.
Gleichzeitig erklingen im öffentlichen Raum kompromisslose Erklärungen einzelner Machtvertreter (zum Beispiel vom stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, Dmitrij Medwedjew), in denen Verhandlungen ausgeschlossen seien. Es ist schwer zu verstehen, inwieweit dies eine einflussreiche Linie ist. Wird sie nicht bloß markiert, damit man in der Ukraine und im Westen weiß: Es gibt auch solch eine Variante.
Die Konfliktseite sind an jenem Punkt angelangt, an dem es ein Zeichen für einen „richtigen“ Ton ist, das Thema der Verhandlungen über Wasser zu halten oder zumindest deren Möglichkeit nicht zu verleugnen. Letzten Endes sprechen von einer friedlichen Konfliktregelung sowohl China als auch Indien und Brasilien, das heißt große Akteure, die nicht bereit sind, irgendwelche Brücken zu zerstören und irgendwen eindeutig zu unterstützen. Dabei sind Moskau und Kiew scheinbar davon überzeugt, dass sie ihre Positionen für den hypothetischen Verhandlungstisch immer noch verstärken können. Selbst wenn Experten eingestehen, dass Russland besser zu einer langwierigen Konfrontation bereit sei, ist die ukrainische Führung der Auffassung, dass man die Lage der Dinge noch ändern könne. Die westlichen Länder stellen ihrerseits der Ukraine keine Hilfe im erbetenen Umfang bereit, bestimmen aber auch nicht klar weder das Limit noch die Perspektiven solch einer Unterstützung.