Bei aller Angespanntheit der Situation – die Verhängung neuer Sanktionen, die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten, die Abreise der Botschafter zwecks Konsultationen, die Aufnahme der USA in eine Liste unfreundlicher Staaten usw. – stellen Moskau und Washington die Kontakte nicht ein. Wladimir Putin trat auf Einladung von Joseph Biden dieser Tage beim Klima-Weltgipfel auf. Und die Idee hinsichtlich eines persönlichen Treffens beider Präsidenten in einem Drittland, die durch das amerikanische Staatsoberhaupt unterbreitet wurde, wird bearbeitet.
Freilich, der Termin und der Ort für die Durchführung des potenziellen Summits sind bisher nicht bestätigt worden, teilte am Montag die Sprecherin des Weißen Hauses Jen Psaki mit, als sie die Frage kommentierte, ob die Informationen in einer Reihe von Massenmedien über eine mögliche Begegnung der Präsidenten am 15./16. Juni der Wirklichkeit entsprechen würden. Seinerseits präzisierte der Pressesekretär des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, dass „bisher nicht ein Land genannt wurde“, wo der Gipfel stattfinden könne.
Und dies ist verständlich. Unter den Bedingungen der Unvorhersehbarkeit hinsichtlich der Pandemie in Europa ist es bisher schwer, ein Land zu nennen, das in diesem Sinn ein sicheres ist. Es wird wohl kaum auch ein NATO-Mitgliedsland zum Veranstaltungsort werden. Zumal in den nächsten Wochen auch die Manöver der Allianz „Defender Europe 2021“ starten, die an den Westgrenzen Russlands bis Ende Juni abgehalten und zu den größten seit den Zeiten des Kalten Krieges werden. An ihnen werden rund 40.000 Militärangehörige aus den NATO-Ländern und von Partnern der Allianz inkl. der Ukraine teilnehmen. Diese Manöver bezeichnen Militärexperten als eine Probe für einen hypothetischen bewaffneten Konflikt mit Russland.
Vieles wird vom Zeitplan Bidens abhängen. Wahrscheinlich möchte er das Treffen mit Putin mit seinen anderen außenpolitischen Plänen unter einen Hut bringen. Allerdings fallen die nächsten von denen gerade auf Mitte Juni. Biden wird am G-7-Gipfel in der britischen Grafschaft Cornwall vom 11. bis 13. Juni teilnehmen. Danach wird er sich nach Brüssel zum NATO-Summit und zu einem USA-EU-Gipfeltreffen begeben.
Wie dem auch sein mag: Der Gipfel kann im Falle seiner Durchführung zu einem Wendepunkt in der mehrjährigen Eskalierung der russisch-amerikanischen Beziehungen werden, die kurz vor dem Ende der Präsidentschaft von Barak Obama begonnen hatte und unter Donald Trump fortgesetzt wurde. Der viel von der Notwendigkeit der Anbahnung von Beziehungen mit Russland redende Trump führte innerhalb von vier Jahren im Juli 2018 ein einziges bilaterales Treffen mit Putin in Helsinki durch. Beide Staatsmänner beschränkten sich damals auf eine fünfstündige Erörterung aktueller Probleme, in deren Hinsicht ernsthafte Meinungsverschiedenheiten bestanden hatten. Zu den Ergebnissen des Gipfeltreffens wurden keinerlei Dokumente unterzeichnet. Und die negative Tagesordnung in den bilateralen Beziehungen wurde bewahrt.
Jetzt ist die Situation eine andere. Biden ist ein erfahrenerer Verhandlungsführer (immerhin ist er bereits ein halbes Jahrhundert in der Außenpolitik), der überdies nicht durch spektakuläre Skandale bezüglich einer Einmischung in die Präsidentschaftswahlen wie Trump belastet ist. Er trägt nicht das Etikett eines russischen Agenten. Ja, und die Zeit für Kontakte auf höchster Ebene ist offenkundig herangereift. Zu viele gegenseitige Fragen haben sich auf beiden Seiten angehäuft. Ohne das Zusammenwirken der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten haben viele internationale Probleme keine Lösung.
Obwohl auch gleich nach dem Einzug von Biden ins Weiße Haus die Frage hinsichtlich einer Prolongierung des START-3-Vertrages geklärt worden war, bleiben die Kontrolle der strategischen Waffen und die strategische Stabilität auf der Tagesordnung. In solchen zu diskutierenden regionalen Problemen wie die Ukraine, der Iran, Syrien, Afghanistan und die KDVR sind wichtige Interessen sowohl Moskaus als auch Washingtons auszumachen. Die Fragen bezüglich der sogenannten russischen Einmischung, der Cyber-Attacken, Menschenrechte und über Alexej Nawalny befinden sich ebenfalls im Blickfeld der amerikanischen Seite.
Alles in allem wird ein beiderseitig scharfer Dialog erwartet. Obgleich man in den USA nach dem gefloppten Gipfel in Helsinki befürchtet, dass Putin Biden im Verlauf der persönlichen Begegnung „über den Tisch ziehen“ und seinen Standpunkt aufzwingen könne. Es bestehen aber die Hoffnungen auf das starke und professionelle Team, das in der Lage ist, den amerikanischen Präsidenten abzusichern.
Somit werden beide führenden Nuklearmächte scheinbar die Chance erhalten, zu einem neuen Modell der gegenseitigen Beziehungen zu kommen. Die Konkurrenz wird mit einem selektiven Zusammenwirken, das einen direkten Konflikt ausschließt, verbunden werden.