Die Geburtstage dieser Schriftsteller stehen im Kalender nebeneinander. Daher ist es die passende Zeit, an einen jeden zu erinnern. Einer von ihnen ist unser Zeitgenosse, ein Ausländer. Die drei anderen sind verstorbene russische Klassiker. Es scheint, dass sie nicht mehr vereint. In der Biografie eines jeden ist jedoch ein Ringen oder – im Gegenteil – ein Zusammenwirken mit einer gewissen blinden, eisernen und dominierenden Gewalt anzutreffen. Und, was dabei interessant ist: In allen Fällen ist dies ein Spektakel in zwei Akten.
Dem Jubilar Salman Rushdie (geboren am 19. Juni 1947), der Autor eines der besten Romane des 20. Jahrhunderts – „Mitternachtskinder“ (erschienen 1981, in Deutsch – 1983) – der alle möglichen Würdigungen und Auszeichnungen erhalten hat (zweimal – 1993 und 2008 – den Booker), hatte solch eine Konfrontation viele Jahre eines unmenschlichen Lebens unter einer Bewachung rund um die Uhr gekostet. Der Roman „Die satanischen Verse“ (erschienen 1988, in Deutsch – 1989) ist bei Weitem nicht sein gelungenstes Werk, in dem in einem der Kapitel auch der Prophet Mohammed auftaucht, und wurde dank einer Fatwa des iranischen Ayatollah Ruhollah Musawi Chomeini berühmt. Er hatte sowohl Rushdie als auch alle Personen, die an der Herausgabe des Buches beteiligt waren, zum Tode verurteilt, wobei er alle Moslems der Welt zur Vollstreckung des Urteils aufgerufen hatte (später war gesagt worden, dass zum Henker jeder Interessant werden könne). Dem Schriftsteller waren die Schatten von Assassinen auf den Fersen. Das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld schwankte von zwei bis zweieinhalb Millionen Dollar. Die Fatwa führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien (dessen Staatsbürger der aus dem Kaschmir stammende Hindu Rushdie auch war) und dem Iran. Zwei Dutzende Menschen kamen bei verschiedenen Demonstrationen gegen Rushdie ums Leben, in Brand gesetzt wurden Bücherläden in den USA, Sprengstoffanschläge erfolgten gegen Bücherläden in Großbritannien. In einigen Ländern (Malaysia, auf Sansibar als Teil von Tansania, Indonesien usw.) wurden Strafen und Gefängnisstrafen aufgrund der Aufbewahrung des Buches verhängt. Nur zwei moslemische Länder hatten sich vor einem Verbot des Buches zurückgehalten – die Türkei und Aserbaidschan. 1991 wurde in Japan der Übersetzer der „Satanischen Verse“ ins Japanische, Hitoshi Igarashi, an seinem Arbeitsplatz erstochen. (Auf Russisch erschien der Roman inoffiziell im Jahr 2011.)
1998 schien sich der Fall vom Todpunkt zu bewegen. Irans Regierung ließ unter dem neuen Präsidenten Khatami die Zügel locker und erklärte, dass sie nichts zu unternehmen beabsichtige, was das Leben des Autors, der Herausgeber und Übersetzer der „Satanischen Verse“ bedrohe. Und drei Jahre später wurde der Fall gar zu einem als zu den Akten gelegter erklärt. Im Jahr 2003 wurde jedoch erneut das gleiche Lied angestimmt. Wieder kam es zu Erklärungen, dass das Urteil in Kraft bleibe. Und im Jahr 2012 erhöhte man sogar das Kopfgeld auf Rushdie bis auf 3,3 Millionen Dollar. Im gleichen Jahr legte Salman Rushdie das Buch „Joseph Anton: Die Autobiografie“ (Originaltitel: Joseph Anton: A Memoir. In deutscher Sprache erschien diese Autobiografie 2012.) vor, in dem wo er ausführlich diese Hölle beschrieb.
Bemerkenswert ist, dass ungeachtet der erzwungenen Entschuldigungen und Reuebekenntnisse (und wir verstehen ausgezeichnet, erst recht aus dem Inneren der Kultur erzwungener Entschuldigungen gegenüber den Macht Besitzenden heraus das Bittere des Dilemmas) Rushdie stets eine frohe Laune, Humor, Optimismus und die Treue gegenüber den weltlichen und aufklärerischen Werten bewahrt.
Widmen wir aber etwas Platz auch den übrigen Jubilaren! Was für eine Auseinandersetzung mit der groben Gewalt der Herrschenden mussten sie überstehen? Mit Warlam Schalamow (geboren 18. Juni 1907 – verstorben am 17. Januar 1982) ist alles klarer als klar. Die erste Inhaftierung (1929-1931) aufgrund des illegalen Druckens von „Lenins Testament“, eines Briefes Lenins vom Dezember 1922 an den XII. Parteitag der KPR (B), und anderer Materialien der „linken Opposition“ verbrachte der Schriftsteller im Moskauer Butyrka-Gefängnis und in einem Straflager in Wyschera. Er kam von dort mit der Bereitschaft zu leben zurück. Und sogar mit einer herzlichen Bekanntschaft. Die zweite Inhaftierung (1936-1951) erfolgte aufgrund „antisowjetischer Agitation“. Dies waren die unmenschlichen, vernichtenden Todeslager von Kolyma, dies waren auffressende und völlig sinnlose Erfahrungen (über die sich der freimütige Schalamow später mit dem listigen Solschenizyn stritt). Dies war ein Blackout, der durch die Nation durch das kollektive Bewusstsein überhaupt nicht begriffen und aufgearbeitet worden ist, sich aber auch nicht in das russische mentale Gepäck an Erinnerungen eingetaktet hat. Dies ist unsere Geschichte, die wir heute vergessen wollen und auf jegliche Art und Weise verleugnen und damit ihr erlauben, sich zu wiederholen.
Bei dem lyrischen Superstar des Symbolismus und der Dekadenz, Konstantin Balmont (geboren am 15. Juni 1867 – verstorben am 23. Dezember 1942) hatte es auch Nichtübereinstimmungen mit dem System gegeben. Bereits als ein Schüler gehörte er einem illegalen Zirkel an und verbreitete Proklamationen von „Narodnaja Wolja“ (deutsch: „Volkswille“, war eine sozialrevolutionäre Geheimgesellschaft im Russischen Kaiserreich, die 1881 die Ermordung von Zar Alexander II. organisierte – Anmerkung der Redaktion), weshalb er aus dem Gymnasium von Schuja ausgeschlossen wurde. Als ein Student der Jura-Fakultät hatte er drei Tage im Moskauer Butyrka-Gefängnis gesessen und wurde nach Schuja als einer der Organisatoren der gegen die neue reaktionäre Universitätssatzung Protestierenden verbannt. 1901 nahm er an der großen und blutig auseinandergetriebenen Studentendemonstration gegen den Erlass über die Entsendung unzuverlässiger Studenten zum Militärdienst teil. Bei einem Literaturabend im Saal der Stadtduma trat er mit dem Gedicht „Der kleine Sultan“ auf, welches das Terrorregime von Nikolaj II. treffend kritisierte und danach durch alle Hände ging. Dafür verbannte man Balmont aus Petersburg, wobei man ihm untersagte, drei Jahre lang in der Hauptstadt- und in Universitätsstädten zu leben. Danach war da das Jahr 1905 und die heiße Zeit der Barrikaden, nach der der Poet aus Furcht vor einer Festnahme aus Russland floh. Dies war seine erste Emigration, die Flucht vor dem Zarenregime. 1913 kehrte er nach einer Amnestie nach Russland zurück, um 1920 erneut zu fliehen – bereits vor den Bolschewiken, unter dem Vorwand einer zeitweiligen Dienstreise. Die zweite Emigration war noch schwerer und hoffnungsloser als die erste – Sehnsucht nach der Heimat, fehlendes Geld, Einsamkeit in dem Heer von Emigranten und ein wenig zur Kenntnis genommener Tod nach einer langen Krankheit. Und dies nach einem grandiosen Ruhm sowie Mengen von Anhängern und Verehrerinnen!
Beim Autor des Romans „Oblomow“, Iwan Gontscharow (geboren am 18. Juni 1812 – verstorben am 27. September 1891), gab es dagegen anstelle einer Flucht vor der finsteren Macht eine Zusammenarbeit mit ihr. Und da sind gleichfalls zwei Akte auszumachen. Der Autor, der an jedem seiner zeichensetzenden Romane mühselig, Jahrzehnte lang arbeitete, war Beamter. Und die Reise, die Material für „Die Fregatte Pallas“ (1858, in Deutsch 1991 erschienen) lieferte, hatte er auch in dieser Eigenschaft angetreten. Und als er zurückgekehrt war, erhielt er für kurze Zeit den Posten eines Zensors. Danach waren da ein riesiger, aber auch vernichtender Ruhm von „Oblomow“ und mehrere Jahre Freelance, nach denen er erneut einen stabilen Verdienst brauchte. Und wieder ließ er sich als ein Schräubchen in die Staatsmaschinerie einspannen. Er wurde Chefredakteur der Zeitung des Innenministeriums „Nördliche Post“, später Mitglied des Rates für Presseangelegenheiten, wo er sich erneut mit Zensurfragen befasste, wobei er der Literaturzeitschrift „Sowremennik“ (deutsch: „Der Zeitgenosse“) von Nikolaj Nekrassow, der Monatszeitschrift „Russkoje Slowo“ (deutsch: „Das russische Wort“) zu Zeiten von Dmitrij Pissarew, jeglichen Nihilisten und Materialisten das Leben schwer machte und die Klammern und Strukturen des Reiches unterstütze. Bis er 1867 im Range eines Generals in Rente ging, um „Die Schlucht“ zu schreiben.
In den Literaturannalen des Junis stehen sie aber alle nebeneinander.