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Herstellung von Käse- und Milchprodukten ist in Russland in Gefahr geraten


Die globale Verteuerung von Lebensmitteln hat auch die Branche der Nahrungsmittel-Surrogate betroffen. Der Anstieg der Preise für Palmöl in Malaysia und Indonesien hat die einheimischen Behörden zu einem Verbot für die Ausfuhr dieses Lebensmittelersatzstoffs veranlasst. Russland setzt umfangreich Palmöl in der Lebensmittelherstellung ein, Die Markt-Akteure sind jedoch nicht der Auffassung, dass das Ausfuhrverbot für die Russische Föderation Folgen haben werde. „Russland kauft weder Roh-Palmöl noch teures Olein (ungereinigte und ungesättigte Omega-9-Fettsäure – Anmerkung der Redaktion) ein versichert man im Öl- und Fettverband Russlands. Wenn jedoch die Exportverbote länger als drei Monate anhalten, würde sich auch in Russland der Preisanstieg für Nahrungsmittel-Surrogate beschleunigen, meinen Experten.

In Malaysia und Indonesien steigen die Preise für Nahrungsmittel und für Rohstoffe in Gestalt von Palmöl. Zwecks Zügelung der steigenden Inflation beginnen die Behörden Indonesiens und Malaysias, Verbote für eine Ausfuhr von Palmöl zu verhängen. Der Rat für Palmöl Malaysias (Malaysian Palm Oil Council) hat erklärt, dass es notwendig sei, die Prioritäten bei der Herstellung von Nahrungsmitteln sowie von Brenn- und Kraftstoff einer Revision zu unterziehen, nachdem Indonesien den Export von Palmöl stoppte und einen globalen Mangel dieses Produkts produzierte. „Es ist wichtig, sich davon zu überzeugen, dass die vorhandenen Öle und Fette in der Nahrung genutzt werden und zeitweilig die Herstellung Bio-Dieselkraftstoff einzustellen oder zu stoppen“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Ahmad Parveez Ghulam Kadir, Mitglied des Malaysian Palm Oil Board. Malaysia ist nach Indonesien weltweit der zweitgrößte Erzeuger von Palmöl. Die malaysischen Ölerzeuger erklärten, dass sie den globalen Mangel an Palmöl nicht wettmachen könnten, während die zuständige Ressort-Ministerin Datuk Zuraida Kamaruddin am 24. April das Gegenteil behauptete. „Ich bin sicher, dass Malaysia bereit und in der Lage ist, Palmöl für den globalen Markt zu liefern, da erwartet wird, dass unsere Produktion nach der Wiedereröffnung der Grenzen steigen wird, denn letzteres erlaubte die Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte“ (https://mpoc.org.my/malaysia-says-can-meet-global-demand-after-indonesia-bans-palm-oil-exports/).

Indonesien hat ab dem 28. April die Ausfuhr von Palmöl für unbestimmte Zeit gestoppt. Indonesiens Präsident Joko Wikodo begründete dieses Ausfuhrverbot mit der Notwendigkeit, „ein ausreichendes und erschwingliches Angebot von für die Nahrung bestimmtes Pflanzenöl im Land zu sichern“.

Indonesien ist weltweit der größte Erzeuger und Exporteur von Palmöl. Entsprechend den Ergebnissen des vergangenen Jahres exportierte das Land rund 26 Millionen Tonnen Palmöl. Nach Experten-Schätzungen werde das Exportverbot allein im Verlauf von zwei Wochen dazu führen, dass 1,3 Millionen Tonnen Palmöl nicht auf den Weltmarkt gelangen werden. Das Land führte nicht das erste Mal ein derartiges Verbot ein. Das vorangegangene galt ab Ende Januar und war im März aufgehoben worden. Die Verhängung des Verbots führte jedoch zu starken Preisanstiegen für Palmöl und erreichte neue Rekordwerte. Die Situation wird gleichfalls durch den russisch-ukrainischen Konflikt verschlimmert, der nach Meinung von Experten das Angebot an Pflanzenölen auf dem Weltmarkt einschränken könne.

Innerhalb eines Monats sind in Indonesien die Preise für Palmöl fast um das 2fache angestiegen. Gegenwärtig liegt der Einzelhandelspreis für Speiseöl im Land bei umgerechnet 1,37 Dollar für einen Liter. Die Juli-Futures für Palmöl an der Börse in Malaysia sind bis auf 1480 Dollar je Tonne in die Höhe gegangen.

Nachrichtenagenturen und Experten bewerten unterschiedlich die Exportverbote. Die einen sagen, dass das Verbot nur Roh-Palmöl betreffe. Andere behaupten aber, dass die Ausfuhr nur von Palm-Ölsäure – einer teureren Fraktion, die vorrangig in der Speisezubereitung verwendet wird – untersagt worden sei. So teilte die Nachrichtenagentur Bloomberg mit, dass das Verbot nur Palm-Ölsäure (Olein) betreffe, gereinigtes, aufgehelltes und desodoriertes. Ein Export von Rohpalmöl, aber auch von gereinigtem, aufgehellten und desodorierten Öl werde erlaubt sein.

Eine andere Version haben russische Fachleute. „Das Exportverbot betrifft nur Roh-Palmöl. Nicht eine einzige Nahrungsmittelbranche wird aufgrund dieser Neuerung leiden“, versicherte der Exekutivdirektor des Öl- und Fettverbands Michail Malzew.

Wenn das Verbot lediglich auf Olein beschränkt werde, könne der Einfluss des indonesischen Verbots auf die Weltmarktpreise geringer sein. Auf gereinigtes Olein würden 30 bis 40 Prozent des gesamten Palmölexports aus Indonesien entfallen, schreibt Bloomberg.

„Wir werden weiterhin die gesamten erforderlichen Öl- und Fetterzeugnisse auf der Basis von Palmöl unseren Partnern aus den angrenzenden Branchen – für die Konditorei-, Brot- und Backwaren- und Milcherzeugnissen sowie für die Herstellung von Fertiggerichten und anderes – liefern. Nicht eine einzige Branche der Nahrungsmittelindustrie wird durch diese Neuerung leiden“, versichert Malzew. Im Öl- und Fettverband erläuterte man der „NG“, dass kein teures Palm-Olein aus Indonesien importiert werde.

Jedoch sind sich nicht alle Experten sicher, dass Russland nicht die Exportverbote bemerken werde. „Jegliche Restriktionen hinsichtlich der Rohstoffe sind eine gewaltige Herausforderung für die Unternehmen der Lebensmittelindustrie“, sagt Wjatscheslaw Laschmankin, Exekutivdirektor der Assoziation der Unternehmen der Konditorei-Industrie „Askond“.

Wenn ein Verbot auch für raffiniertes Öl verhängt werde, werde dies keinen wesentlichen Einfluss auf den Markt der Molkereiprodukte ausüben, da die Molkerei-Branche nicht der wichtigste Verbraucher von Pflanzenfetten sei, sagte der Generaldirektor des Nationalen Verbands der Milchbetriebe (Sojusmoloko) Artjom Below. Nach seinen Worten übersteige der Anteil des Einsatzes von Pflanzenfetten durch den Molkereisektor keine 25 Prozent vom Gesamtumfang dieser Rohstoffe. Außerdem könnten in den Produkten mit Ersatzstoffen von Fetten nicht nur Palm-, sondern auch andere Öl verwendet werden – Kokos- oder Rapsöl. „Dies wird jedoch unbedingt die Eigenkosten der Herstellung von milchhaltigen Produkten mit Ersatzstoffen anstelle von Milchfetten, beispielsweise von den sogenannten Käseprodukten und von Margarineprodukten. Heute ist bereits eine Tendenz zur Verringerung ihrer Herstellung und ihres Verbrauchs zu beobachten“, sagte er.

Derweil verwendet man in Russland aktiv Palmöl, und in erster Linie in der Lebensmittelherstellung. So teilte man in der Vereinigung „Rusprodsojus“ mit, dass entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2021 der Umfang der Lieferungen von Palmöl allein aus Indonesien eine Million Tonnen mit einem Gesamtwert von 1,2 Milliarden Dollar ausgemacht hatte. „Den zweiten Platz hinsichtlich des Umfangs der Lieferungen nimmt Malaysia ein, das 6300 Tonnen Palmöl für 8,4 Millionen Dollar lieferte. Und weiter folgen die Niederlande mit einem Lieferumfang von 6.300 Tonnen für 10,6 Millionen Dollar“, berichtete Dmitrij Leonow, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Vereinigung „Rusprodsojus“.

Insgesamt hat sich der Umfang der Palmöl-Lieferungen in die Russische Föderation innerhalb eines Jahres insgesamt um sieben Prozent erhöht, wertmäßig aber um 60 Prozent, folgt aus Daten des Föderalen Zolldienstes. Allein im Januar dieses Jahres importierte die Russische Föderation rund 65.000 Tonnen Palmöl über eine Summe von 92,5 Millionen Dollar, folgt aus den Daten des russischen Zolls. Dabei sind die Lieferungen tatsächlich um 30 Prozent zurückgegangen, zieht man einen Vergleich zwischen den Jahren. Wertmäßig erfolgte aber eine Zunahme um acht Prozent.

Im Zentrum für Agro-Analytik des Landwirtschaftsministeriums der Russischen Föderation teilte man mit, dass ein Drittel der Lieferungen von Palmöl ins Land in der Konditorei-Industrie verwendet wird. Ein Viertel – in der Herstellung von Fastfood und Konzentraten. Außerdem werden 15 Prozent bei der Herstellung von Brot- und anderen Backwaren wie Brötchen verwendet, 13 Prozent – bei der Herstellung von Molkereierzeugnissen und drei Prozent für Margarinen und ähnliche Produkte.

Mehr noch, im gleichen Zentrum teilte man mit, dass Palmöl den zweiten Platz nach Sonnenblumenöl hinsichtlich der verbrauchten Mengen in der Russischen Föderation einnehme. So kommen auf jeden Menschen im Land mehr als fünf Kilogramm Öl im Jahr, was mit Japan vergleichbar ist, wo 5,6 Kilogramm pro Person und Jahr verbraucht werden. Im Durchschnitt verbraucht ein Bürger Russlands über elf Kilogramm Pflanzenöl im Jahr und ganze 2,4 Kilogramm Rahmbutter, teilte man im erwähnten Zentrum mit. Interessant ist, dass in China auf einen Einwohner nur zwei Kilogramm Palmöl im Jahr kommen. Die russischen Beamten erklären die Popularität von Palmöl mit den geringen Selbstkosten und den niedrigen Preisen.

Eine andere Frage ist, inwieweit die Berechnungen den realen Verbrauch von Palmöl berücksichtigen, wenn der Mensch weiß, was er isst. Früher stand die Herstellung von Molkereiprodukten in der Russischen Föderation im Feuer der Kritik, da sie oft vollkommen aus pflanzlichen Fetten bestanden.

Der Anstieg der Preise für Palmöl ist gleichfalls durch die russische militärische Sonderoperation in der Ukraine ausgelöst worden, die der größte Lieferant von Sonnenblumenöl ist, aber auch im Zusammenhang mit der Trockenheit in Argentinien und Brasilien, wo die Ernteerträge bei Raps- und Soja-Öl eingebrochen seien, berichtet die Generaldirektorin der Firma „Petrova Consulting“ Marina Petrowa. Aber aus der Sicht des weltweiten Verbrauchs an Pflanzenölen sei Palmöl ein Spitzenreiter, weiter würden Sojaöl und an dritte Stelle Rapsöl folgen. „Die Verringerung der Mengen an Raps-, Soja- und Sonnenblumenöl führte zu einer Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt und als Folge zu einem drastischen Preisanstieg“, fährt die Expertin fort.

Petrowa ist der Auffassung, dass, wenn das Verbot mehr als zwei bis drei Monate anhalte, die Preise für Palmöl um 30 Prozent und mehr ansteigen könnten. „Solch einen Umfang in kürzester Frist zu ersetzen, wird problematisch, wenn man berücksichtigt, dass der Anteil von Indonesien und Malaysia in der Struktur der weltweiten Erzeugung von Palmöl 85 Prozent ausmacht“, meint sie.

Palmöl durch ein anderes Fett zu ersetzen, werde nicht leicht, meint Oxana Lukitschewa, Analytikerin für Warenmärkte der Investitionsfirma „Offene Investitionen“. „Dort, wo es möglich ist, wird man es durch andere Pflanzenöle und Schweinefett ersetzen. Jeglicher Austausch kann zu einer Verteuerung der Herstellung der Erzeugnisse führen, da eine Änderung der Technologie für die Produktion, eine Veränderung der Logistik-Ketten, Lieferanten usw. erforderlich sind“, sagt sie.

Ihr pflichtet auch Artjom Tusow vom Investitionsunternehmen „Univer Capital“ bei: „In der Welt wird mehr Palmöl als Soja-, Sonnenblumen- und Olivenöl zusammengenommen erzeugt. Und dabei konzentriert sich die Haupterzeugung von Palmöl auf zwei Länder – Indonesien und Malaysia. Die weltweite Lebensmittelindustrie ist nicht auf das Fehlen eines Imports von Palmöl ausgelegt. Das Ausbleiben von Importen aus Malaysia und Indonesien ist wie ein Verlassen des Ölmarktes durch die OPEC+-Länder“.

Der Analytiker ist der Auffassung, dass dies zu einem Ansteigen der Selbstkosten der Lebensmittelprodukte führen werde. Russland könnte theoretisch von Palmöl zu Sonnenblumen- und Mais-Öl übergeben, da diese Kulturen in Russland angebaut werden. Solch eine Umstellung könne aber eine wesentliche Verteuerung der Erzeugnisse – der Öl- und Milch-, der Konditorei-, der Brot- und Backwaren- sowie anderer Erzeugnisse – bedeuten, urteilt der TeleTrade-Chefanalytiker Mark Goichman.