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Im Arustamjan-Skandal hat man eine angebliche Armenienphobie ausgemacht


Der dieser Tage viel Wirbel auslösende Skandal um die Nichtakkreditierung des Kommentators des russischen Sport-TV-Kanals „Match TV“ Nobel Arustamjan für die UEFA-Fußball-Europameisterschaft, in deren Rahmen mehrere Spiele auf dem Territorium Aserbaidschans geplant sind, war voraussagbar politisiert worden. Armenische und einige russische Kommentatoren unternahmen den Versuch, die Situation um den Journalisten als einen Beweis für die Armenienphobie Bakus darzustellen. Tatsächlich jedoch hing die Motivation der Ablehnung ausschließlich mit der Einhaltung des UEFA-Regelwerkes und der aserbaidschanischen Gesetzgebung, die bestimmte Restriktionen für jene Personen vorsieht, die ohne eine entsprechende Genehmigung besetzte Gebiete von Bergkarabach besuchten, zusammen.

Das Thema der Ablehnung einer Akkreditierung für Arustamjan zu den Spielen des Championats war augenblicklich nicht nur von armenischen, sondern auch russischen Kommentatoren aufgegriffen worden. So trat Wassilij Utkin sofort mit seiner Wertung auf, wobei er die Entscheidung als eine „Sauerei“ bezeichnete. „Ist dies nicht etwa ein Entzug der Möglichkeit für den Mann, sich mit seinem Beruf zu befassen?“, empörte sich aktiv der Kommentator. „Schließlich ist doch klar, dass Nobel überhaupt nicht zum Arbeiten nach Aserbaidschan gefahren wäre. Nun reist er weder nach London noch nach Amsterdam… (Wertes) Euro-Organisationskomitee in Baku, nehmen Sie die Strahlen meiner eisigen Verachtung auf!“. Kurze Zeit später ging Utkin weitaus weiter: „Es ist klar, dass es für Aserbaidschan leider zu früh ist, an gesamteuropäischen Sportereignissen teilzunehmen. Dies ist ein großer Fehler der UEFA“, schrieb er in seinem Telegram-Kanal. „Man muss erwachsen werden.“

Dieser Empörung schloss sich ein anderer russischer Sportkommentator – Viktor Gusjew – an. „Die Situation ist irgendeine seltsame. Es ist sehr schwer, sie zu bewerten, denn solch eines ist das ungewöhnlich organisierte Europa-Championat, bei dem alles in elf Ländern stattfindet“, erklärte er. „Und mir ist der Status des Organisationskomitees nicht ganz klar. Gibt es denn ein einheitliches oder ist die Verantwortung zwischen den Organisationskomitees der verschiedenen Länder aufgeteilt worden. Sicherlich kann man eine Akkreditierung entziehen, aber nur, wenn die Person eine Tat begangen hat, die nicht dem Titel eines Journalisten entspricht, wenn sie irgendwelche Regeln oder Verhaltenskodexe verletzte… Wenn Nobel nichts dergleichen verletzte, so ist dies absurd. Natürlich, aus menschlicher Sicht bin ich mit Nobel. Dies ist mein guter Freund. Ich bin auf seiner Seite“.

Es kann nicht übersehen werden, dass die Kommentatoren, die den Akzent auf die „nationale“ Komponente des Falls setzten, zufällig oder völlig bewusst aus den Augen verloren haben, dass die lange Liste der Personen, denen eine Akkreditierung durch die aserbaidschanische Seite verwehrt wurde, Namen unter anderem jener enthält, die von der Herkunft keine Armenier sind. Unter ihnen ist beispielsweise der Utkin-Kollege Konstantin Genitsch, der ebenfalls Bergkarabach-Gebiete besucht hatte. In seinem Telegram-Kanal teilte er mit, dass er einen Brief von der UEFA erhalten hätte, in dem es heißt, dass er eine Überprüfung der Organisation durchlaufen hätte und seine Akkreditierung abgelehnt werde. Dabei präzisierte Genitsch, dass er zuvor einen Anruf aserbaidschanischer offizieller Vertreter erhalten hätte. Und im Verlauf des Telefonats seien Fragen über seinen nichtgenehmigten Bergkarabach-Besuch gestellt worden. Er hätte es jedoch abgelehnt, auf sie zu antworten.

Was Arustamjan an sich angeht, so teilte später das russische Außenministerium durch die offizielle Sprecherin Maria Sacharowa mit, dass der Kommentator des Fernsehkanals „Match TV“ doch eine Akkreditierung erhalten habe. Der Journalist verhielt sich jedoch recht merkwürdig, indem er die Erklärung abgab, dass er gar nicht vorgehabt hätte, Aserbaidschan aufgrund der Spiele der Europameisterschaft zu besuchen. „In Aserbaidschan erwartet man mich nicht. Dort ist man nicht meiner erfreut – wie man schon seit langem auch allen Armeniern nicht erfreut ist. Ich bin ausgezeichnet über die dortige Armenienphobie informiert“, erklärte der Kommentator demonstrativ brüskierend auf Instagram. „Ich hatte keinerlei Illusionen. Ich wollte in anderen Städten arbeiten. Die Blockierung Aserbaidschans aber war insgesamt eine zu erwartende. Ich habe sie sehr ruhig, sogar mit einem ironischen Lächeln zur Kenntnis genommen“.

Tatsächlich hält die These von einer Armenienphobie der letzten Verbote keiner Kritik stand. Das gegenwärtige Fußballturnier ist ein einheitliches System unter der Flagge der UEFA, erinnerte jüngst in einem Gespräch mit Journalisten der amtierende Vizepräsident der Assoziation der Fußballföderationen Aserbaidschans Elhan Mamedov. Eine derartige Konzeption gilt auch für das Akkreditierungssystem der Fußballorganisation. Der Antrag auf eine Registrierung wird jedoch durch das Organisationskomitee einer jeder der elf Ausrichterstädte des Euro-2020-Turniers bestätigt. Derart ist das allgemeine Reglement. In Aserbaidschans Hauptstadt sind bekanntlich die Spiele der Gruppe A geplant: Wales-Schweiz, Türkei-Wales und Schweiz-Türkei. Unter Berücksichtigung von all diesem war die ursprüngliche Ablehnung Bakus, Arustamjan zu akkreditieren, hinsichtlich ihres Charakters eine durchaus begründete.

Beim Treffen einer Entscheidung zur Frage nach der Einreise der einen oder anderen Journalisten ist Aserbaidschan von den Bestimmungen seiner nationalen Gesetzgebung ausgegangen. Die Personen, die früher durch die Republik nichtkontrollierte Gebiete von Bergkarabach ohne deren Zustimmung besucht haben, kommen automatisch auf Black Lists und verlieren das Recht, die aserbaidschanische Grenze zu passieren. Um nach Bergkarabach zu reisen, muss man die Grenze Aserbaidschans passieren. In dem Fall, dass dies ungesetzlich getan wurde, hat Baku alle Grundlagen, den Einreisenden zu einem Rechtsbrecher zu erklären. In dieser Hinsicht hat der russische Sportkommentator Alexej Andronow eine anschauliche Parallele gezogen. „Im kommenden Jahr findet in Georgien die Basketball-Europameisterschaft statt. Dorthin werden wohl kaum diejenigen kommen, die Abchasien von Sotschi aus besuchten. Wie auch viele, die die Krim besucht hatten, nicht zum Finale der Champions League nach Kiew gekommen waren. Dies sind die Wege, die wir auswählen…“

Die Frage nach der Nationalität steht nicht in diesem Kontext. Wenige erinnern sich daran, dass seinerzeit der armenische Großmeister Lewon Aronjan, der Boxer Geworg Manukjan, aber auch die Turner Duhik und Garsevan Janazyan Baku besuchten. Sie wurden mit keinerlei Hindernissen bei der Einreise konfrontiert, da sie Bergkarabach nicht unerlaubt besucht hatten. Das prinzipielle Vorgehen Aserbaidschans bei der Einhaltung der eigenen Gesetzgebung ist offensichtlich. Im Herbst vergangenen Jahres hat Baku sogar den Abgeordneten der russischen Staatsduma Vitalij Milonow auf die schwarze Liste gesetzt. Es wurde mitgeteilt, dass die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Besuch des russischen Parlamentariers in Bergkarabach, der nicht mit der aserbaidschanischen Seite abgestimmt worden war, gefällt wurde. In Baku hatte man damals betont, dass das Handeln Milonows nicht der offiziellen Position der Russischen Föderation bezüglich der Unterstützung der territorialen Integrität Aserbaidschans entspreche.

Der Versuch, aus dieser Geschichte einen gewissen Beleg der antiarmenischen Einstellung Bakus zu schaffen, sieht zumindest wie das Element einer politischen Kampagne aus. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass diese voraussagbare informationsseitige Attacke weitaus stärker gewesen wäre, wenn Arustamjan letztlich doch nach Baku gekommen und bereits dort mit irgendwelchen formellen Hindernissen konfrontiert worden wäre. Bezeichnend ist das Beispiels seines Freundes Henrich Mchitarjan, der im Jahr 2019 als Spieler des FC Arsenal versucht hatte, dem Ansehen Aserbaidschans als Gastgeberseite einen Schlag zu versetzen. Wohl wissend, dass er nicht zum Champions-League-Finale nach Baku reisen kann, trat der Fußballer nicht ohne die Schützenhilfe des Londoner Klubs mit einer Serie von Anschuldigungen auf, wonach Aserbaidschan ihm angeblich prinzipienlos die Chance nehmen würde, im Euro-Cup-Finale zu spielen. Als man aber in Baku Mchitarjan versicherte, dass ihm alle Sicherheitsgarantien gewährt werden würden, informierte er über die Entscheidung, nirgendwohin zu fahren. Dies sieht sehr ähnlich aus.