Oleg Nikiforov
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) prüfe die Möglichkeit einer Ausweisung von über 30 russischen Diplomaten aus dem Land, meldete am Samstagmorgen der Online-Dienst des Nachrichtenmagazins „Focus“. Wenn die Absichten von Baerbock umgesetzt werden, wird diese Ausweisung hinsichtlich der Dimensionen zur zweitgrößten seit Beginn der Durchführung der militärischen Sonderoperation in der Ukraine. Es sei daran erinnert, dass man im April des vergangenen Jahres 40 Mitarbeiter von diplomatischen Vertretungen Russlands aus Deutschland ausgewiesen hatte. Dabei würden laut Angaben von „Focus“ in Deutschland weiterhin rund 160 Vertreter der Russischen Föderation arbeiten.
Zum unmittelbaren Anlass für die Baerbock-Äußerungen wurde ein Auftritt von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ende Februar mit der Erklärung von einer großen Gefahr durch russische Desinformation, Spionage und Sabotage für Deutschland. Sie hatte unter anderem auf die Zunahme der Attacken prorussischer Hacker verwiesen.
Aus der Sicht von Faeser spitze sich die Situation im Cyber-Raum zu. Dies hatte die Innenministerin Journalisten der Funke-Gruppe erklärt. Dabei bekräftigte sie die große Gefahr einer „staatlichen Spionage und der Durchführung von Sabotage-Akten“. In diesem Zusammenhang hatte Faeser selbst auf die Notwendigkeit einer Verstärkung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hingewiesen. Diese Struktur befasst sich mit einer Bekämpfung von Cyber-Spionage und Sabotage.
Ein Rätsel bleibt, warum Baerbock beschlossen hat, diesen Auftritt der Bundesinnenministerin von vor fast drei Wochen für eine erneute Zuspitzung der russisch-deutschen Beziehungen zu nutzen. Wie deutsche Medien berichten, erwarte man in Berlin Antwortmaßnahmen seitens Moskaus, erläuterte ein Beamter des bundesdeutschen Außenministeriums in einem Kommentar für das Nachrichtenmagazin. Im Auswärtigen Amt erwarte man: „Der Kreml wird im Gegenzug eine womöglich noch höhere Anzahl deutscher Diplomaten zu unerwünschten Personen erklären“.
Es kann angenommen werden, dass Annalena Baerbock versucht, eine Antwort auf die von Moskau angekündigte Stationierung taktischer Kernwaffen in Weißrussland zu finden. Außerdem kann man diese Handlungen auch als einen Versuch des Ausübens von Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Zusammenhang mit den heftigen Differenzen im Ministerkabinett zwischen den Grünen einerseits und der SPD und der FDP andererseits aufgrund der Perspektiven für die grüne Klima-Politik darstellen.
Für die Erörterung dieser Meinungsverschiedenheiten war am Sonntag sogar ein gewisser kleiner Summit aus Vertretern der Führungsriege der in Deutschland regierenden Koalition zusammengetreten. Schließlich hat das faktische Blockieren der Pläne des Vizekanzlers und Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck (Grüne) für ein Verbot von Verbrennungsmotoren und mit Gas und Schweröl arbeitenden Kesseln durch die Sozialdemokraten und Liberalen zu einem Popularitätsrückgang der Grünen geführt. Im Rating der politischen Parteien sind sie auf den 4. Platz abgerutscht.
Nicht zu vergessen ist auch der alte Streit zwischen dem von Baerbock geleiteten Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt über die Funktionen des nationalen Sicherheitsrates. Die Ansprüche von Baerbock auf ein Formulieren der Ziele für die nationale Sicherheit waren durch Scholz zu Grabe getragen worden. Und das Projekt für das neue staatliche Organ wurde für lange Zeit ad acta gelegt. Es scheint, dass Annalena Baerbock mit ihren Aktivitäten zur Ausweisung russischer Diplomaten versucht, die Kompetenz des Bundeskanzlers einer Revision zu unterziehen.