Im Lager der Patrioten und Verfechter der am 24. Februar begonnenen militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine hat sich scheinbar eine ernsthafte Spaltung abgezeichnet. So hat der Initiator der russischen privaten Söldnerfirma „Wagner“, der Geschäftsmann Jewgenij Prigoschin, auf einmal erklärt, dass die „Plaudertaschen“ aus der KPRF, LDPR und der Partei „Heimat“ nicht nur auf die Tribünen kommen, sondern auch der Front real helfen müssten. Die Kommunisten hielten den Vorwurf für einen unangebrachten, schließlich würden sie alle Entscheidungen des Präsidenten unterstützen, obgleich sie in der letzten Zeit immer häufiger die militärischen Flops mit dem oligarchischen Charakter der Sonderoperation verknüpfen. Jetzt aber haben gar Beanstandungen begonnen, dass Russland angeblich dem Westen erlaubt hätte, sich in die Falle des brudermordenden Konflikts locken zu lassen. Ein Teil der Verbündeten der KPRF bereitet scheinbar ein Reservegleis und einen Panzerzug vor, damit im Falle eines Scheiterns der Sonderoperation oder einer Zustimmung der Herrschenden zu einem schlechten Frieden die Linken dem Teilen der Verantwortung mit ihnen dafür entgehen können.
Einerseits erklärte Prigoschin, dass jetzt eine Konsolidierung der Gesellschaft nötig sei. Andererseits attackierte er aber einzelne Teilnehmer des großen Lagers der „erzürnten Patrioten“. „Jene Menschen, die über Jahre hinweg von den Tribünen aus gesprochen haben, müssen anfangen, etwas zu tun. Wo sind diese vereinten Kommunisten aus der KPRF? Wo ist die für Russland eifernde LDPR? Ich spreche schon gar nicht von der Partei „Heimat“. Die einzigen, die am Leben des Landes teilnehmen, dies sind das Bündnis Mironows mit Prilepin und „Einiges Russland“ in Gestalt von Turtschak, Milonow, Walujew und einigen anderen Abgeordneten“.
„Er rief die „Herren „Schwätzer“ auf, sich zusammenzuraufen“ und beispielsweise Einheiten vom Typ der privaten Söldnerfirma „Wagner“ anzuführen. Und diejenigen, die keine organisatorischen Fähigkeiten hätten, sollten „sich Maschinenpistolen oder zumindest Feldspaten greifen. Fies ist ein wahres Dienen für das Vaterland“. Und dies ist scheinbar kein Fake. Diese Worte Prigoschins waren vom offiziellen Pressedienst seiner Cateringfirma „Concorde“ veröffentlicht worden, wobei – nicht wie üblich – in Form einer Antwort auf Fragen von Medien, sondern als eine überraschende direkte Rede. Jedoch sind diese Aussagen aus der Sicht der Fakten nicht ganz korrekt, auf jeden Fall in Bezug auf die Kommunisten, die gerade als Partei viel für eben jenen Donbass im Verlauf all der letzten acht Jahre getan haben. Beispielsweise im Unterschied zu einigen anderen, von Prigoschin positiv erwähnten politischen Strukturen.
Die „NG“ wandte sich an die Kommunistische Partei mit der Bitte, diese Medien-Attacke aus politischer Sicht zu bewerten.
Vertreter der Duma-Parteien antworteten operativ, aber irgendwie lakonisch und sich dabei bemühend, nicht mit Prigoschin an sich in eine Polemik zu treten. Der Staatsduma-Abgeordnete von der KPRF Alexander Justschenko äußerte sich zum Beispiel so: „Alle wissen, was für eine Arbeit die KPRF durchführt. Und ich erinnere daran, dass gerade auf unser Drängen hin die Entscheidung über eine Anerkennung der Republik angenommen wurde. Wir haben seit 2014 darüber gesprochen. Vor kurzem haben wir den 102. humanitären (Hilfs-) Konvoi auf den Weg geschickt. Wir entsenden sie seit 2014 regelmäßig. Und nicht seit dem Februar, wie einige jetzt angefangen haben zu erklären“. Geantwortet hat auch die LDPR. Nach Aussagen des Staatsduma-Abgeordneten Jaroslaw Nilow hätten bereits mehrere ihrer Abgeordneten auch so schon den Wunsch bekundet, an die Front zu gehen. „Einige haben Briefe ans Verteidigungsministerium geschrieben, wobei sie ihre Position deutlich machten. Darunter aus der Partei LDPR. Der eine oder andere ist schon an die Front gegangen, andere befinden sich im Prozess der Ausstellung und Vorbereitung der (notwendigen) Dokumente“.
Der Leiter der analytischen Verwaltung der KPRF, Sergej Obuchow, erläuterte der „NG“: „Früher fügten sich die politischen Aussagen Prigoschins in den Kontext des Unmuts der „erzürnten Patrioten“ über den Charakter der militärischen Sonderoperation ein. Diesen Unmut bekundete eine breite patriotische Front. Und die Einschätzungen Prigoschins harmonierten mit dem, was sowohl Kadyrow als auch die Militärkorrespondenten, aber auch die Duma-Parteien – und vor allem KPRF-Chef Sjuganow – gesagt hatten. Jetzt aber ist er zu Ausfällen gegen die situativen Verbündeten übergegangen. Den politischen Sinn der Erklärung kann man so interpretieren, dass Prigoschin sich auf eine Differenzierung innerhalb der gesamten Front eingelassen hat. Er versucht, sich zum Hauptsprachrohr der „erzürnten Patrioten“ zu erklären. Auf jeden Fall härt nunmehr solch eine Front auf, eine geeinte und breite zu sein“. Nach Aussagen Obuchows „ist bisher unklar, wie stabil diese Tendenz zu einer Differenzierung ist. Wenn aber Attacken solcher Art von anderen öffentlichen Personen fortgesetzt werden, wird klar werden, dass dahinter offenkundig föderale politische Administratoren stehen“. Er ist sich sicher, dass es die Herrschenden für sich damit nur schlimmer machen würden. „Der Kampf gegen die aktive, wenn auch kritische patriotische Position der KPRF hinsichtlich der militärischen Sonderoperation ist ein Kampf gegen den patriotischen Teil der Gesellschaft und bedeutet eine Schwächung der generellen Agenda“. Vorerst aber hätten sich hier nach Meinung von Obuchow persönliche politische Ambitionen Prigoschins als einer der aktiven Akteure auf dem Feld der Sonderoperation offenbart. Er hat es offenkundig, nahm der Kommunist an, auf das Erringen großen politischen Gewichts abgesehen, er strebt an, seine Positionen durch eine Ausdehnung der Zone der Kritik im Rahmen des politischen Systems zu verstärken.
Dabei legte Obuchow in seinem Telegram-Kanal solch eine Vorgehensweise dar: „Wir werden an unserem gemeinsamen Sieg schmieden, werden stets dem Kampfgefährten die Schulter hinhalten, selbst wenn er ein verknöcherter Vertreter von „Einiges Russland“ ist“. Er selbst unterstreicht aber ständig, dass die KPRF die Sonderoperation unterstütze, aber ihre Mängel sehe: „Obgleich sie einen nationalen Befreiungscharakter trägt, offenbaren sich in Vielem auch ihre oligarchischen Ziele und Vorteile. Und solch eine Inkonsequenz könne zu einem Unmut des Volkes in der Art von 1905 und 1917 führen, als es anfangs einen patriotischen Elan des ganzen Volkes und eine allgemeine Mobilmachung gegeben hatte, die dann aber auf den kapitalistischen Charakter der Kriege stießen“.
Kurzum, die Kommunisten bereiten sich für den Fall einer Niederlage an den Fronten oder eines schlechten Friedens Russlands mit dem Westen und ergo auch mit der Ukraine darauf vor, dass an alle dem gerade die Herrschenden schuldig sind. Und in der letzten Zeit begann sich unter den linken Patrioten aktiv der Gedanke abzuzeichnen, dass ja überhaupt der Westen die Russische Föderation in den brudermordenden Krieg hineingezogen hätte. Der Kreml sei aber aus irgendeinem Grunde in solch eine Falle getappt. Diesen Gedanken äußerte unter anderem die Staatsduma-Abgeordnete von der KPRF, Anastasia Udalzowa. Laut ihren Worten seien die Schläge gegen die ukrainische Infrastruktur eine Notwendigkeit. Dies sei aber ganz bestimmt kein Anlass zur Freude. „Dieser Beschuss ist die Folge der strategischen Niederlage Russlands im Ideologie-Bereich. Es ist völlig offensichtlich, dass die Ukraine, die vor 30 Jahren noch eine Sowjetrepublik mit einer überwiegend sowjetischen Bevölkerung – ohne einige westliche Verwaltungsgebiete zu berücksichtigen – gewesen war, nunmehr vollkommen aus dem sowjetischen Zivilisationsparadigma herausgefallen ist. Dies ist das Ergebnis sowohl der Niederlage der UdSSR im Kalten Krieg als auch der inkompetenten Außenpolitik der russischen Offiziellen im Verlauf der letzten 30 Jahre“. Udalzowa besteht wie auch ihr Gatte, der Koordinator der „Linken Front“ Sergej Udalzow, darauf, dass „es jetzt sehr wichtig ist, sich eines unmenschlichen Jubelns zu enthalten. Das Geschehen ist kein Sieg Russlands, sondern der USA und des globalen Kapitals“.
Alexej Muchin, der Generaldirektor des Zentrums für politische Informationen, erläuterte der „NG“: „Die KPRF nutzt traditionell alte bewährte methodische Anleitungen. Obgleich es jetzt keine imperialistischen Kriege gibt. Es gibt nur koloniale Kriege. Ihre Schlussfolgerungen über den kapitalistischen Charakter der militärischen Sonderoperation sind nicht überzeugend, da die Daten ihrer methodischen Anleitungen schon längst veraltet sind. Was aber ihre gegenwärtige Rhetorik angeht, so sind die Kommunisten erstens selbst Teil der legislativen Gewalt und votieren für den Haushalt. Und zweitens ist es naiv anzunehmen, dass man an der Front einen Ratschlag der politischen Parteien erwartet und umso mehr ihnen Gehör schenken wird“. Drittens, meint der Experte, dass die Reden der KPRF einfach nicht überzeugend seien, weil sie von Jahr zu Jahr ein und dasselbe sagen würden, was ihr Elektorat beruhige und die Stabilität der Parteiposition unterstreiche, die an ein stabiles Modell einer Weltanschauung appelliere, das von einem Teil der Gesellschaft geteilt werde. Nach Meinung von Muchin reproduziere die KPRF die in verschiedene Richtungen ausgerichteten Botschaften, um sich sicherlich vor unterschiedlichen Wenden der Ereignisse abzusichern. „Wenn es einen überzeugenden Sieg auf den Feldern der militärischen Sonderoperation geben wird, wollen sie alle seine Ko-Autoren sein. Wenn es aber zu einer Niederlage kommt, wird man den Herrschenden anlasten, dass sie ihnen kein Gehör geschenkt haben. Das heißt: Die Linken schieben wie gewohnt einen Panzerzug auf ein Reservegleis. Das Übel besteht aber darin, dass die Gleise verrostete sind und der Panzerzug quietscht“.