Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat am Donnerstag in einem Interview für russische Staatsmedien – den Fernsehkanal „Rossia 24“ und die Nachrichtenagentur RIA Novosti — das Kastus-Kalinouski-Regiment, das von der weißrussischen Opposition gebildet wurde, erwähnt, dass „man bewaffnet und dem man erlaubt, eine Gefechtsschule an der Front gegen die Russische Föderation zu durchlaufen“. Am Vorabend weilte in Bachmut, in einem Lager dieser Einheit der Veteran der Oppositionsbewegung, der Gründer der Weißrussischen Volksfront, Zenon Posnjak. Er erklärte, dass er bereit sei, den Vertretern des Kalinouski-Regiments „sein ganzes politisches Kapital zu überlassen“. Und während Mitglieder des Kabinetts von Swetlana Tichanowskaja über erfolgreiche Gespräche mit Offiziellen Polens berichteten und Alexander Lukaschenko Simbabwe besuchte, tauchten Symptome für das Aufkommen einer dritten Kraft in der weißrussischen Politik auf.
Das Auftauchen des Veteranen der weißrussischen Politik Zenon Posnjak an Stellungen des Kastus-Kalinouski-Regiments in Bachmut ist nicht unbemerkt geblieben. Zumal Posnjak, der noch in den 90ern Führer der Weißrussischen Volksfront gewesen war, nicht nur eine Unterstützung für die Vertreter des Kalinouski-Regiments signalisierte, sondern auch erklärte, dass er gerade in ihnen eine politische Zukunft sehe. Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko stand am Anfang seiner politischen Karriere mit Posnjak auf einer Tribüne bei Kundgebungen. Heute aber ist es schwer, konträrere Figuren zu finden.
Lukaschenko war gerade in Simbabwe eingetroffen, wo er zu demonstrieren versuchte, dass sich Weißrussland ungeachtet der Sanktionen ganz und gar in keiner Isolation befindet. „Wir sind zu Freunden gekommen. Wir einigen uns mit ihnen im Interesse unserer Völker. Wir kommen mit Frieden. Wir kommen nicht, wie einst die Kolonialisten gekommen waren, wie sie das Volk gefangen nahmen und ausbeuteten. Wir bringen Technologien hierher und vermitteln sie hier den Menschen, bilden Spezialisten aus“, betonte das weißrussische Staatsoberhaupt.
Und Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa unterstrich als Antwort: „Wir sind bereit, mit Belarus und allen Ländern Freunde zu sein, die unsere Vorgehensweise teilen. Es kann nicht sein, dass ein Land ein Pferd ist und das andere – der Treiber. Wir sind entweder alle zusammen Pferde oder Treiber. Wir alle müssen in einem Boot sitzen und auf gleiche Art und Weise gucken. Und wir haben verstanden, dass wir auf gleiche Art und Weise auf die Sachen schauen, auf die Entwicklung unserer Länder“.
Während Lukaschenko mit dem simbabwischen Amtskollegen klärte, wer Pferd und wer Treiber in einem gemeinsamen Boot ist, bilanzierten Mitstreiter von Swetlana Tichanowskaja ihre Besuche in Polen und Kroatien, kommentierten aber auch deren Begegnung mit der stellvertretenden Beraterin des US-Außenministers Robin Dunnigan. Alle hochrangigen ausländischen Gesprächspartner bekundete unablässig die Unterstützung für die Tätigkeit von Swetlana Tichanowskaja, wobei sie diese als unumstrittene Anführerin der Opposition anerkannten.
Umso überraschender war für das weißrussische Politikum die Tatsache des Auftauchens des Veteranen in der politischen Arena, der plötzlich Ansprüche auf die Etablierung einer dritten Kraft signalisierte. Wie der Politologe Pawel Ussow, der Posnjak in Bachmut begleitete, gegenüber dem Fernsehkanal „Belsat“ unter Berufung auf Worte des Politikers an sich erklärte, hätte jener sein Kapital in den 90er Jahren erwirtschaftet. Als er „für ein unabhängiges Belarus kämpfte, für die Flagge und für das Wappen“. „Und jetzt würde er gern dieses politische Kapital übergeben und mit diesem Kapital das Kalinouski-Regiment unterstützen. Das, was er getan hat, hat er nicht für sich getan, sondern für die Vertreter des Kalinouski-Regiments. Sein Ansehen, seinen historischen Beitrag zur Entwicklung von Belarus investiert er in das Kalinouski-Regiment, wobei er hofft und daran glaubt, dass die Vertreter des Kalinouski-Regiments zu einem Motor politischer Veränderungen und Reformen in Belarus werden“, unterstrich der Experte.
Bei der Erläuterung des Sinns der riskanten Reise betonte der Politologe: „Dies ist natürlich eine Zusammenarbeit, eine gegenseitige Unterstützung. Und vor allem eine politische Unterstützung des Regiments, soweit dies möglich ist. Und ein Zusammenwirken in der Perspektive“.
Der Politologe Valerij Karbalewitsch gestand seinerseits in einem Kommentar für die „Belsat“-Internetseite ein, dass das Bündnis des Kalinouski-Regiments mit Posnjak durchaus logisch sei. Der Experte präzisierte: „Heute beobachten wir eine Verstärkung der Konkurrenz um die Rolle der Hauptzentren der weißrussischen oppositionellen Emigration. Und das Kalinouski-Regiment an sich beansprucht eine politische Rolle. Und das Team von Posnjak ficht scharf die Rolle Tichanowskaja an und hält sie für ein russisches Projekt“.
Die Politologin und Vertreterin des Zentrums für neue Ideen Lesja Rudnik erklärte derweil dem Internetportal „Zerkalo“ (deutsch: „Spiegel“), dass, obgleich Zenon Posnjak eine bedeutsame historische politische Figur sei, „die letzten Jahre jedoch gezeigt haben, dass historische Helden mitunter in der Geschichte bleiben“.
Dennoch lenkte die Politologin die Aufmerksamkeit auf die offenkundige Aktivierung von Posnjak in der letzten Zeit. „Ich denke, dies ist der Anspruch auf Öffentlichkeit und eine Führungsrolle. Ich bezweifle jedoch, dass sich die Figur und die Erklärungen von Zenon Posnjak mit den Bedürfnissen des Publikums der demokratischen Kräfte und jener, die im Jahr 2020 „aufgewacht sind“, decken. Indem Zenon Posnjak auf die militärische Richtung setzt, wird er jene um sich vereinen, die keinen Platz in den Reihen der heutigen demokratischen Kräfte gefunden oder ein Gewaltszenario für die Transformation des Regimes ins Auge gefasst haben. Es scheint, dass wir in der nächsten Zeit die Formierung eines militärischen Blocks mit politischen Ambitionen sehen werden, in dem Zenon Posnjak nicht die letzte Rolle spielen wird“, betonte die Expertin.
Somit ist offensichtlich, dass das Schicksal Weißrusslands immer mehr vom Ausgang der Konfrontation in der Ukraine abhängt. Im Falle eines gewissen Einfrierens hat Alexander Lukaschenko alle Chancen, die Macht zu bewahren. Allerdings kann man auch einen bestimmten Verhandlungsprozess nicht ausschließen, in dessen Rahmen ein Machttransit an die Kräfte erfolgt, die sich um Tichanowskaja konzentrieren und die sich auf eine Unterstützung des Westens stützen. Ja, und Posnjak und die Vertreter des Kalinouski-Regiments erhalten lediglich im Falle einer drastischen Zuspitzung der Situation und einer direkten Involvierung Weißrusslands in den Konflikt eine Chance.