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In der russischen Opposition hat sich ein ukrainefreundlicher Kapitulanten-Flügel herausgebildet


Ein Teil der russischen außerparlamentarischen Opposition hat vom 5. bis 7. November in Polen den „I. Kongress der Volksabgeordneten“ durchgeführt, eine als Prototyp für ein künftiges Parlament konzipierte Tagung, an der Politiker teilnahmen, die zu unterschiedlichen Zeiten in das Parlamentarier-Korps der Russischen Föderation auf verschiedenen Ebenen gewählt worden waren. Von den aus den Medien bekannten Figuren waren dort unter anderem die emigrierten Ex-Staatsduma-Abgeordneten Gennadij Gudkow und Ilja Ponomarjow (der in der Russischen Föderation als „ausländischer Agent“ gelabelt wurde) präsent gewesen.

Symbolisch ist, dass der Kongress in Polen einen Tag nach dem Tag der Volkseinheit – einem russischen Feiertag zu Ehren der Befreiung Moskaus von den Polen Anfang des 17. Jahrhunderts – eröffnet und am 105. Jahrestag der Oktoberrevolution abgeschlossen wurde. Die von den Delegierten diskutierten – gelinde gesagt – revolutionären Umgestaltungen des Landes, werden wohl nur unter Bedingungen einer ausländischen Okkupation realisierbar sein. Themen der Diskussionen und Dokumente waren unter anderem ein bewaffneter Widerstand gegen die Herrschenden, die Möglichkeit einer Liquidierung der Landesführung, eine faktische Kapitulation gegenüber der Ukraine (inklusive territorialer Zugeständnisse und Kontributionszahlungen), die Auflösung und Neuetablierung der Russischen Föderation, eine Selbstbestimmung der in Russland lebenden Völker, eine Lustration usw.

Je härtere Ideen erklangen, desto stärker wurde die Empfindung, dass die Organisatoren der Veranstaltung, die sich außerhalb Russlands befinden, ganz und gar nicht bestrebt sind, ins Land zurückzukehren und real um die Macht zu kämpfen. Mit solch einem Programm und solch einem offenen Deklarieren von vom Wesen her staatsfeindlichen Losungen und Appellen ist dies einfach unmöglich. Bemerkenswert ist, dass bereits im Verlauf des Kongresses eine Reihe von Delegierten eine weitere Teilnahme an ihm ablehnten. Mehrere oppositionelle Gruppen und Politiker verwiesen direkt auf die Differenzen in den Anschauungen mit dem Kongress und warfen dessen Veranstaltern diktatorische Gebaren vor.

Für die westlichen Kreise, die keine Sympathien für die russischen Herrschenden empfinden, aber realistische Herangehensweisen in der Politik bewahren, ist alles oben Gesagte eine zu radikale und utopische Agenda. Eine vollkommene Unterstützung finden die unterbreiteten Vorschläge auf offizieller Ebene wohl nur in Kiew, auf inoffizieller – möglicherweise in einigen osteuropäischen Hauptstädten. Der stattgefundene Kongress wurde scheinbar zu einer Ausfertigung nicht einmal eines prowestlichen, sondern eines offen proukrainischen Kapitulanten-Flügels der russischen außerparlamentarischen Opposition unter Führung von Ilja Ponomarjow (der inzwischen die Staatsbürgerschaft der Ukraine besitzt).

Dabei hat die Veranstaltung die Opponenten der Herrschenden in der Russischen Föderation stark in Bredouille gebracht. Der Angriff auf die Grundlagen der Verfassungsordnung, die Appelle zu einer Zerstörung des Staates, zu einem Bürgerkrieg und zu Terrorismus sowie ein Landesverrat – all dies ist eine recht umfangreiche Auflistung schwerer Verbrechen, die man den Teilnehmern des Kongresses anlasten kann. Und schließlich haben an diesem unter anderem auch sich in Russland befindliche Politiker teilgenommen. Jegliche Verbindung mit dem unterbreiteten Programm nimmt nicht nur jegliche politischen Perspektiven, sondern droht, zu langjährigen Gefängnisstrafen zu führen. Die im Land verbliebenen Oppositionellen befinden sich auch so im Zustand einer Desorientierung, von Pessimismus und Angst. Und wenn man beginnt, sie mit dem beim Kongress verkündeten Kurs zu assoziieren, wird sich ihr Lage um ein Mehrfaches verschlechtern. In einer gewissen Weise haben die Organisatoren der Veranstaltung dem Kreml in die Hände gespielt. Man ruft leidenschaftlich auf, gegen ihn zu kämpfen, wobei man sich im Ausland in Sicherheit glaubt.

Es ergibt sich die Frage: Wie soll in solch einem Fall die Opposition im Land aussehen? Es versteht sich, die Einhaltung der Verfassung und Gesetzgebung sowie ein Distanzieren von den radikalen Emigranten-Strömungen sind eine notwendige Bedingung für ihren einfachen Erhalt. Ein Opponieren gegenüber den Herrschenden ohne das Überschreiten von Grenzen, nach denen Vorwürfe hinsichtlich eines Verrats erfolgen, verlangen eine hochpräzise Genauigkeit der Formulierungen und Handlungen. Ein Eintreten für Frieden ist beispielsweise strafrechtlich unbedenklich und kann, wie soziologische Erhebungen zeigen, ein perspektivreiches sein. Solch einen Kurs auszuarbeiten, ist äußerst schwierig. Weitaus schwieriger als verantwortungslos mit lautstarken revolutionären Losungen aus Polen um sich zu werfen. Aber dies ist möglich.