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In der Stunde der Prüfungen empfindet China für Russland Mitgefühl, wird aber keine direkte Hilfe leisten


Das Gespräch des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Staatsoberhaupt der Volksrepublik China Xi Jinping am 15. September hat hinsichtlich der Reaktionen in den Medien die anderen Ereignisse beim Taschkenter Gipfel der Shanghai-Organisation in den Schatten gestellt. Dies ist verständlich. Getroffen haben sich die Oberhäupter von zwei Großmächten, die die Hegemoniebestrebungen der USA zurückweisen und in der internationalen Arena eng zusammenarbeiten. Im Februar, vor Beginn der russischen militärischen Sonderoperation in der Ukraine, hatten Moskau und Peking erklärt, dass ihre Freundschaft keine Grenzen hätte. Aber jede Seite hat ihre eigene Agenda. Für Russland ist im Ergebnis der Misserfolge auf dem Schlachtfeld und der Sanktionen die chinesische Solidarität sehr wichtig. China aber, das einem gewaltigen Druck des Westens aufgrund von Taiwan ausgesetzt wird, demonstriert Vorsicht, wobei es berücksichtigt, dass eine offene Unterstützung für Moskau für das Land selbst Sanktionen nach sich ziehen wird.

Wie die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS meldete, habe Putin am Rande des Gipfeltreffens der Shanghai-Gruppe bei der Begegnung mit Xi Jinping darauf verwiesen, dass die Versuche der Schaffung einer einpoligen Welt für die überwiegende Zahl der Staaten auf dem Planeten absolut inakzeptabel seien. Xi bekundete seinerseits die Bereitschaft, zusammen mit Moskau eine führende Rolle beim Erreichen einer Trajektorie für eine stabile und positive Entwicklung durch die Welt zu spielen. Der Präsident der Russischen Föderation verwies gleichfalls auf das rasche Wachstum des Handels zwischen beiden Ländern. Bald werde das Volumen des Warenaustauschs 200 Milliarden Dollar erreichen. Aber kaum Worte über die Disproportionen in der Struktur eben dieses Warenaustauschs. Von russischer Seite dominieren da vor allem Rohstoffexporte, und keine Spur davon, dass man mehr erreichen könnte, wenn in der russischen Wertschöpfungskette High-Tech- oder zumindest verarbeitete Produkte einen größeren Anteil ausmachen würden.

Zur gleichen Zeit müssen die beiden Staatschefs die Verbindungen miteinander in einer schwierigen Zeit gestalten, wobei die Zuspitzung der internationalen Spannungen und die Ereignisse in der Ukraine zu berücksichtigen sind. Diese Situation hatte die Zeitung „The Global Times“, die von der Kommunistischen Partei Chinas herausgegeben wird, klar umrissen. Sie schreibt, dass amerikanische Medien Peking auffordern würden, Lehren aus den Schwierigkeiten zu ziehen, die Russland durchmache. Dies sei ein absurder Appell. Er gründe sich nicht auf Fakten, sondern auf dem verdeckten Wunsch, eine Spaltung in die chinesisch-russischen Beziehungen zu bringen. Tatsächlich bleibe die Haltung Chinas eine unveränderte, heißt es in einem entsprechenden Beitrag. China sei weder ein Teilnehmer des Konflikts noch dessen Schuldiger. China sei stets für eine Achtung der Souveränität und territorialen Integrität aller Länder (für Moskau im Grunde genommen ein deutliches Signal aus Peking – Anmerkung der Redaktion) und für eine friedliche Lösung von Streitfällen eingetreten. Daher hätte sowohl die russische als auch die ukrainische Seite eine Billigung der objektiven und unvoreingenommenen Haltung Chinas bekundet.

Professor Shi Yinhong von der Volksuniversität in Peking gibt dem Kurs von Peking eine noch kategorischere Bewertung: „China vermeidet ausgenommen sorgfältig eine militärische Verwicklung in den Konflikt und wird weiterhin so vorgehen, besonders vor dem Hintergrund der Pleiten Russlands in den Gefechten. Das Bekunden von Sympathie seitens Chinas hilft tatsächlich Russlands Bürgern nicht. Ja, aber die drastische Aufstockung der Einkäufe von Energieprodukten durch China seit April hilft ein wenig, aber nicht im militärischen Bereich“, meint er.

Peking müsse vorsichtig handeln. Während der immer lauteren Polemik mit den USA sei es einfach verpflichtet, Selbstsicherheit und Stärke zu demonstrieren. China könne nicht erlauben, dass der Hauptpartner bezüglich der autoritären Allianz eine Niederlage erleidet, betont Professor Rana Mitter von der University of Oxford. Aber Russland in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht zu helfen, bedeutet, die eigene Wirtschaft einem Risiko auszusetzen, deren Wachstum sich verlangsamt. „Daher ist der chinesische Staatschef gezwungen zu balancieren. Sein heimliches Bestreben besteht darin, dass Moskau in der einen oder anderen Form den Konflikt beendet. Ansehen ist für Xi gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt besonders wichtig“, nimmt der Professor an, „da die Vorbereitung zum XX. Parteitag der KP Chinas erfolgt, nachdem wahrscheinlich seine Bestätigung als Generalsekretär für eine dritte Amtszeit in Folge erfolgen wird“.

„The New York Times“ verknüpft den gegenwärtigen Kurs von Peking in Bezug auf Moskau mit der innenpolitischen Situation in der Russischen Föderation. In China befürchte man angeblich, dass die Macht des russischen Präsidenten aufgrund der Ereignisse in der Ukraine schwächeln könne. Und die Sache hänge dabei nicht nur damit zusammen, dass sich die gegenwärtigen Oberhäupter beider Länder 38mal getroffen hätten und füreinander gegenseitiges Vertrauen empfinden würden. Das Wichtigste sei, dass die Wende gen Osten nicht durch eine Wende gen Westen abgelöst werde. Möglicherweise gibt das Blatt das Gewünschte für die Realität aus. China und Russland haben gerade gezeigt, dass sie das militärische Zusammenwirken verstärken. Wie das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation mitteilte, würden Schiffe der beiden Länder gemeinsam im Pazifik patrouillieren.

Am Donnerstag erfolgte auch ein trilaterales Treffen des russischen Präsidenten mit den Staatschefs von China und der Mongolei. Nach Aussagen Putins würden die Vereinbarungen, die im trilateralen Format Russland-Mongolei-China getroffen wurden, in vollem Maße umgesetzt werden. Er erinnerte an die im Jahr 2015 bestätigte „Roadmap“ für die Zusammenarbeit der drei Staaten und über das 2016 gebilligte Programm für die Schaffung eines Korridors Russland-Mongolei-China. Freilich ist unklar geblieben, ob der Vorschlag über den Bau einer Abzweigung der Gaspipeline „Power of Siberia“ in die Volksrepublik durch die Mongolei erörtert wurde. (Gazprom-Chef Alexej Miller sprach jüngst in Wladiwostok über diese Pipeline mit dem Namen „Soyuz Vostok“, wobei aus seinen Worten deutlich wurde, dass der Bau eine beschlossene Sache sei. – Anmerkung der Redaktion).

Zu noch einem bilateralen Treffen am Rande des Gipfels in der usbekischen Hauptstadt, das große Aufmerksamkeit auslöste, wurden die Gespräche Putins mit Irans Präsidenten Ebrahim Raisi. Moskau und Teheran schließen die Vorbereitung eines großen Vertrages ab, der ihre Beziehungen auf das Niveau einer strategischen Partnerschaft heben wird.

Den Summit der Shanghai-Organisation haben natürlich auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle aufmerksam verfolgt. „Meister“ (https://t.me/maester) schrieb beispielsweise: „Während die G-7-Länder versuchen, den Anschein zu erwecken, dass sich Russland und seine Führung in einer diplomatischen Isolation befinden würden, sind sie selbst von der realen Agenda abgeschnitten worden. Wladimir Putin demonstriert eine Meisterklasse, wie man eine multipolare Welt gestaltet. Lange Zeit hat sich der globale Westen in die Angelegenheiten der souveränen Länder des Ostens eingemischt. Das Gipfeltreffen der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit erhebt jedoch Anspruch auf eine Änderung der Spielregeln. Wird China Russland eine indirekte Wirtschaftshilfe leisten? Wird die Türkei zustimmen, Sanktionen gegen den Kreml zu verhängen? Und wie eng wird die militärtechnische Zusammenarbeit Moskaus und Teherans werden? All diese Fragen bewegen schrecklich die westlichen Länder. Bald steht die (77.) Vollversammlung der UNO (mit ihrer Woche der Auftritte hochrangiger Vertreter) an, in der die USA ein weiteres Mal probieren werden, Initiativen gegen Russland zu starten. Es ist aber bereits offensichtlich, dass der Gipfel der Shanghai-Organisation diese Veranstaltung von der Bedeutung her in den Schatten stellt“.

„Adäquat“ (https://t.me/politadequate) skizzierte die Highlights der Auftritte von Taschkent und resümierte: „Nun, und Putin hat sozusagen alles Aufgezählte zusammengefasst: Die Versuche, eine einpolige Welt zu formieren, sind hässlich und für die überwältigende Mehrheit inakzeptabel. Die Weltordnung muss eine multipolare und gerechte sei, die auf dem recht und nicht auf „Regeln“ beruht“.