Die Abgeordneten der Werchowna Rada (des ukrainischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) verabschiedeten am 20. August den Gesetzentwurf Nr. 8371 „Über den Schutz der Verfassungsordnung im Bereich des Wirkens religiöser Organisationen“, der dazu bestimmt ist, die Ukrainische orthodoxe Kirche zu verbieten. Für diese Entscheidung votierten 265 Abgeordnete, 29 waren dagegen, vier enthielten sich. Das Gesetz wird dreißig Tage nach der Veröffentlichung in Kraft treten.
Dass das Dokument „umgehend in der nächsten Zeit“ verabschiedet werden müsse, erklärte am 15. August der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenskij, in einer Videoansprache. „Heutzutage braucht man bereits im August eine Verstärkung mehrerer juristischer Positionen unseres Staates. Es gibt wichtige gesetzgeberische Initiativen, die unsere Unabhängigkeit verstärken, darunter die geistliche Unabhängigkeit, aber gleichfalls die Regierungsarbeit zu ihrer Implementierung. All dies muss wirklich operativ getan werden“, hatte Selenskij gesagt. Wenige Tage zuvor hatte er erklärt, dass er eine Lösung habe, „die die geistliche Unabhängigkeit“ des Landes verstärken und „Moskau die letzten Möglichkeiten nehmen wird, die Freiheit der Ukrainer einzuschränken“. Er hatte ebenfalls ein Treffen mit Teilnehmern des Gesamtukrainischen Rates der Kirchen und religiösen Organisationen durchgeführt, die, wie aus einem veröffentlichten Kommuniqué folgt, bereitwillig den Kurs auf ein Verbot der Ukrainischen orthodoxen Kirche unterstützten.
Der Vorsitzende der Werchowna Rada, Ruslan Stefantschuk, erklärte am 17. August, dass sich der zur Behandlung durch die Parlamentarier vorgelegte Text wesentlich verändert hätte. „Die Volksvertreter haben an diesem Gesetzentwurf gefeilt. Heute Morgen hat der (zuständige) Ausschuss ihn behandelt und in der präzisierten Fassung angenommen. Und wissen Sie, es ist sehr gut, dass Zeit gewesen war, ihn bis zu einem bestimmten Niveau einer Vollkommenheit zu bringen“, betonte Stefantschuk. Während unter anderem früher alle religiösen Organisationen für ein Verbot vorgeschlagen wurden, deren geistliches Zentrum in Russland liegt, so geht es jetzt offen um die Ukrainische orthodoxe Kirche. „Wir haben begonnen, informelle, aber starke Signale von anderen religiösen Organisationen zu erhalten, die mit Russland nichts zu tun haben. Diese Besorgnis erklang buchstäblich so: Wenn dieses Gesetz ausschließlich über die Russische orthodoxe Kirche wäre, würden wir uns keine Sorgen machen. Aber so ist es für alle potenziell gefährlich“, erläuterte Nikita Poturajew, Abgeordneter der Partei „Diener des Volkes“ und Vorsitzender des Rada-Ausschusses für Fragen der humanitären und Informationspolitik, die Änderungen.
Es macht gleichfalls Sinn, dass der Gesetzentwurf einen neuen Namen erhalten hatte. Früher hieß er „Über die Vornahme von Änderungen an einigen Gesetzen der Ukraine hinsichtlich der Tätigkeit religiöser Organisationen in der Ukraine“. „Die russische Kirche in der Ukraine wird verboten. Und dies ist eine klare Bestimmung, die im Artikel 3 des Gesetzes vorgesehen ist. Außerdem wird in jenen religiösen Organisationen, die in der Ukraine existieren und in deren Hinsicht es einen Verdacht auf irgendeine Verbindung, eine Zusammenarbeit mit der Russischen orthodoxen Kirche gibt, eine entsprechende Expertise vorgenommen. Und gerade Experten, die sich beruflich mit dieser Frage befassen, werden sagen, ob es Anzeichen für eine Verbindung gibt. Wenn es diese Anzeichen gibt, so wird eine Entscheidung über die Einstellung der Tätigkeit dieser Organisationen getroffen“, betonte der Parlamentsvorsitzende. Stefantschuk hatte gleichfalls erläutert, dass „die religiösen Organisationen einen bestimmten Zeitraum haben, in dem sie eine Reihe von Handlungen vornehmen können, die belegen, dass sie bereits keine Zugehörigkeit oder Verbindung mit der Russischen orthodoxen Kirche haben“. „Wir haben somit bestimmt, dass um die ein bis drei Monate bis zum Inkrafttreten des Gesetzes bleiben, damit das Ministerkabinett eine normative Basis ausarbeitet. Danach wird es eine ganze Reihe von Implementierungen geben. Das heißt: Nach neun Monaten können die Organisationen, für die das Gesetz gelten wird, in einem Gericht als ihre Tätigkeit eingestellte anerkannt werden“, erklärte der Politiker.
Es sei daran erinnert, dass der Gesetzentwurf Nr. 8371 Anfang des Jahres 2023 in der Werchowna Rada vorgelegt wurde. Am 19. Oktober des gleichen Jahres erfolgte die erste Abstimmung. Damals sprachen sich 267 Abgeordnete für den Gesetzentwurf aus, dagegen 15 Abgeordnete, zwei hatten sich enthalten, 17 hatten gar nicht erst an der Abstimmung teilgenommen. Ursprünglich war geplant worden, dass das Dokument bis Ende des Jahres 2023 die zweite und dritte Lesung absolvieren wird. Und dass es auch dann durch Selenskij unterschrieben wird. Jedoch hatten die Parlamentarier gleich nach der ersten Abstimmung eine große Portion Kritik an ihre Adresse erhalten – nicht nur von den Mitbürgern, sondern auch von der internationalen Staatengemeinschaft. Mehr noch, nach der Abstimmung forderte ein Teil der Volksvertreter, dass das Dokument von der Venedig-Kommission auf eine Überstimmung mit dem Verfassungs- und dem Völkerrecht, aber auch mit den europäischen Standards und Werten überprüft werde. Stefantschuk hatte es abgelehnt, dies zu tun. Und daher hatten die Parlamentarier lange Angst gehabt, dafür abzustimmen, da sie befürchteten, dass die Annahme solch eines Gesetzes die Möglichkeiten eines Beitritts der Ukraine zur Europäischen Union begraben werde.
Am 23. Juli dieses Jahres blockierte eine Gruppe von Volksvertretern die Tribüne während der Plenartagung, wobei sie verlangten, auch die Behandlung dieses Gesetzentwurfs in zweiter Lesung auf die Tagesordnung zu setzen. Der Forderung der protestierenden Abgeordneten wurde nicht stattgegeben. Und bei der erwähnten Sitzung wurde eine Pause für mehrere Wochen verkündet.
Im Mai des Jahres 2022 hatte die Ukrainische orthodoxe Kirche die Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat erklärt. Jedoch schenkt man in Kiew dieser Erklärung keinen Glauben. In der Russischen orthodoxen Kirche betrachtet man ebenfalls die Ukraine als ihr kanonisches Territorium. Das Oberhaupt der Ukrainischen orthodoxen Kirche, der Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine, Onufrij (Beresowskij), der am 17. August den 10. Jahrestag seines Vorsitzes in der Kirche beging, hatte keine offizielle Erklärung über eine Autokephalie seiner Struktur abgegeben, was die ukrainischen Offiziellen die ganze Zeit von ihm erwarten. Das Schweigen von Beresowskij reizt nicht nur die Politiker, sondern auch die alternative religiöse Vereinigung – die Orthodoxe Kirche der Ukraine. Ihr Oberhaupt, Metropolit Epiphanius (Dumenko), hat die Offiziellen mehrfach aufgerufen, die Ukrainische orthodoxe Kirche zu verbieten.
Griechische Medien berichteten, dass sich die Beziehungen Dumenkos mit dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomeus, bei dem das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine gleichfalls Unterstützung gesucht hatte, aufgrund des Gesetzentwurfs für ein Verbot der Ukrainischen orthodoxen Kirche erheblich abgekühlt hätten. Vor einem Jahr noch wollte Bartholomeus angeblich seine Kommission in die Ukraine entsenden, der Metropolit Hilarion Rudnik, Erzbischof Job Getcha von Ephesus, aber auch Diakon Epiphanius Kamjanovich angehört hätten. Es ist bekannt, dass Rudnik und Getcha der Orthodoxen Kirche der Ukraine mit Skepsis gegenüberstehen. Daher bezeichnet man sie in der Kirche von Dumenko als „Hand Moskaus“. Die Kommission von Bartholomeus sollte klären, ob die Geistlichen der Orthodoxen Kirche der Ukraine und die Behörden des Landes wirklich Vertreter der Ukrainischen orthodoxen Kirche Verfolgungen aussetzen. Im vergangenen Jahr hatte man der Delegation aus Konstantinopel abgeraten, in die Ukraine zu reisen, wobei man erklärte, dass dies aufgrund der andauernden militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine nicht ungefährlich sei.
Der Patriarch von Konstantinopel wich jedoch nicht von seiner Absicht ab. Anfang August dieses Jahres meldete der Sicherheitsdienst der Ukraine, dass gegen mehr als einhundert Geistliche Strafverfahren eingeleitet worden seien. „Die überwiegende Mehrheit der Verdächtigen sind Vertreter der Ukrainischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats“, hieß es in einem Kommentar des Sicherheitsdienstes. In dieser Institution erklärte man, dass der Staat so „einen Schutz“ vor Russland vornehme. „Einer der Beweise für eine enge Zusammenarbeit einzelner Geistlicher der Ukrainischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats mit der Russischen Föderation ist ihre Zustimmung zu einem Austausch nach der Verurteilung und nach den Urteilen in der Ukraine. Und die (Gefangenen-) Austausch demonstrieren den Wert derartiger Kader für die russische Seite“, betonte man im Sicherheitsdienst der Ukraine. Bartholomeus hatte geplant, seine Abgesandten zu Beginn der dritten Augustdekade zu schicken. Sobald dies bekannt wurde, flog Dumenko zusammen mit einer Delegation ukrainischer Beamter, unter denen die stellvertretende Leiterin des Präsidenten-Offices Jelena Kowalskaja und der Leiter des Staatsdienstes der Ukraine für Ethno-Politik und Glaubensfreiheit, Viktor Jelenskij, waren, nach Istanbul, wo sich die Residenz des Patriarchen von Konstantinopel befindet. Am 13. August trafen sie sich mit dem Patriarchen und versicherten ihm, dass es in der Ukraine „keine geschlossenen Gotteshäuser, keine Haupt- und zweitrangige Religionen gibt und die Stimme der religiösen Gemeinden mit wenigen Mitgliedern im Gesamtukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen genauso laut wie auch die Stimme der Kirchen, denen die Mehrheit der Ukraine angehört, erklingt“. Der Begegnung wohnte ebenfalls der Metropolit Emmanuil Adamakis von Chalcedon, der Hauptinitiator und Kurator der Schaffung der Orthodoxen Kirche der Ukraine, bei. Weder Rudnik noch Getcha hatten an diesen Gesprächen teilgenommen. Später erklärte man im Office von Selenskij, dass Patriarch Bartholomeus angeblich „die Initiativen des Präsidenten der Ukraine hinsichtlich der geistlichen Unabhängigkeit des Landes unterstützte“. Gleich nach der Rückkehr aus der Türkei schlug Dumenko überraschend Metropolit Onufrij (Beresowskij) und dem gesamten Klerus der Ukrainischen orthodoxen Kirche vor, „unverzüglich einen Dialog zum Wohle und zur Festigung des christlich-orthodoxen Glaubens in der Ukraine zu beginnen“.
Daneben hat Mitte August ein Schreiben des Chefs der internationalen Anwaltsfirma Amsterdam & Partners LLP (mit Sitz in Washington und London, spezialisiert sich u. a. auch auf Menschenrechtsfragen – Anmerkung der Redaktion), Robert Amsterdam, an Selenskij große Resonanz gefunden. Der US-amerikanische Jurist bezeichnete das aus russischer Sicht skandalöse Dokument als „ein verschleiertes Gesetz über religiöse Säuberungen“. Der Anwalt behauptete gleichfalls, dass bei der Etablierung der Orthodoxen Kirche der Ukraine Patriarch Bartholomeus nicht die erforderlichen Informationen besessen hätte. „Ich glaube nicht, dass Patriarch Bartholomeus diese stürmische Lage der Dinge unterstützt. Ich kann nur die Schlussfolgerung ziehen, dass seine Heiligkeit zum Opfer von Intrigen der ukrainischen Offiziellen wurde und keine Möglichkeit hatte, die Wahrheit über die Glaubensfreiheit in der Ukraine zu erfahren. Unter Berücksichtigung seiner erheblichen Rolle beim Angriff auf die Ukrainische orthodoxe Kirche ist wahrscheinlich Viktor Jelenskij schuldig. Er zeigte sich als eine voreingenommene und unvernünftige Figur, die nicht weniger als eine vollkommene Vernichtung der Ukrainischen orthodoxen Kirche wünscht. Laut internen Dokumenten, über die ich verfüge, kann man den Arbeitsstil des gegenwärtigen Leiters des Staatlichen Dienstes für Ethno-Politik und Glaubensfreiheit als eine offenkundige Förderung der Interessen der Orthodoxen Kirche der Ukraine charakterisieren. Er manipuliert vorsätzlich die Fakten und gibt an unterschiedlichen Orten sich gegenseitig ausschließende Erklärungen ab, die sein Gesprächspartner hören möchte, einfach um vom Gesprächspartner konkrete Schritte zur Unterstützung der Orthodoxen Kirche der Ukraine zu erhalten. Dies ist nicht der Mann, dem Patriarch Bartholomeus vertrauen kann“, schrieb R. Amsterdam.
Vor dem Hintergrund all dessen wird verständlich, warum sich Kiew so mit der Annahme des Gesetzes über ein Verbot der Ukrainischen orthodoxen Kirche beeilte. Die jüngste eilige Abstimmung wurde wahrscheinlich durch den Wunsch der Offiziellen der Ukraine ausgelöst, das Kommen der Kommission von Patriarch Bartholomeus nicht zuzulassen oder deren Arbeit zu behindern. Letzterer war, wie griechische und einige ukrainische Medien behaupten, in der letzten Zeit darüber ungehalten, was sich die Offiziellen und Anhänger der Orthodoxen Kirche der Ukraine hinsichtlich der Ukrainischen orthodoxen Kirche ausgedacht haben und realisieren.
Post Scriptum:
Verständlicherweise unternimmt die Russische orthodoxe Kirche unter Führung des Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill einen Sturmlauf gegen das neue ukrainische Gesetz. Dessen Erfolg ist bisher fraglich, auch wenn sich beispielsweise am Samstag Kirill an Papst Franziskus, an das Oberhaupt der Anglikanischen Weltgemeinschaft Justin Welby sowie an andere bekannte religiöse Spitzenvertreter und Repräsentanten internationaler Organisationen mit Botschaften wandte, in denen er bat, „ihre Stimme zum Schutz der verfolgten Gläubigen der Ukrainischen orthodoxen Kirche zu erheben“.
„Die zum Himmel schreienden Widersprüche der Bestimmungen dieses Gesetzes hinsichtlich der Normen der Verfassung der Ukraine, ihrer internationalen Vereinbarungen, der Menschenrechte und grundlegenden Prinzipien des Rechts sind mehrfach in Dokumenten großer internationaler Menschenrechtsorganisationen konstatiert worden“, heißt es unter anderem in der Patriarchen-Botschaft an orthodoxe Spitzenvertreter.
Diese Worte wird man sicherlich außerhalb Russlands zur Kenntnis nehmen, dabei jedoch auch sich dessen erinnern, welche Rolle Patriarch Kirill heutzutage in der Russischen Föderation spielt – vor allem mit Blick auf die militärische Sonderoperation Russlands in der Ukraine.