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In Georgien hat man eine Jagd auf nationale Verräter verkündet


Die Herrschenden Georgiens haben Vertretern des Westens eine Einmischung in die Parlamentswahlen vorgeworfen. Laut einer Version der Führungskräfte der Partei „Georgischer Traum“ habe die Opposition keinerlei Siegeschancen in einem demokratischen Kampf, daher rechne sie damit, nach der Abstimmung Unruhen anzuzetteln. In den USA hat man sich von einer Beteiligung an derartigen Plänen distanziert. Doch das offizielle Tbilissi kann sich nicht beruhigen.

„Der Wahlkampf konkreter politischer Parteien wird direkt aus dem Ausland finanziert, was kategorisch unzulässig, unglaublich… ist. Dementsprechend muss dem unbedingt eine Antwort folgen und geklärt werden, womit wir zu tun haben“, erklärte der Generalsekretär der Partei „Georgischer Traum“ und Bürgermeister von Tbilissi, Kacha Kaladse. Dabei erinnerte er daran, dass sich bereits vor Verabschiedung des Gesetzes über ausländische Agenten die Opposition um eine Finanzierung der bevorstehenden „Revolution“ Sorgen gemacht hätte.

Gleichfalls lässt Kaladse nicht einmal den Gedanken zu, dass seine politischen Gegner siegen könnten. „Es kann nicht eine politische Partei gewinnen, die für den Beginn eines Krieges im Land eintritt, um die Interessen eines anderen Landes zu verfolgen, die es vorzieht, Bomben auf das Land abzuwerfen oder sich Sanktionen anzuschließen und der Wirtschaft des eigenen Landes Schaden zuzufügen. Dies ist die heutige Situation. Das Volk wird dieser von außen gesteuerten Gruppe während den Parlamentswahlen eine entsprechende Antwort geben“, sagte der Politiker.

Bemerkenswert ist, dass die Vorwürfe hinsichtlich der Vorbereitung eines Staatsstreichs und des Schürens eines Krieges zu Schlüsselelementen des gesamten Wahlkampfs der Partei „Georgischer Traum“ geworden sind. So behauptet Parlamentschef Shalva Papuashvili, dass der Opposition eine Woche reichen würde, um Freiwillige in die Ukraine zu entsenden und Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen. „Georgien wird in den Krieg verwickelt werden. Dies ist ihr Wahlkampfversprechen. Und gerade so müssen alle Bürger auf deren Wahlkampfbanner schauen. Sie verheißen dem georgischen Volk einen Krieg“, versichert Papuashvili.

„Wir müssen alles tun, damit Autoritarismus und eine Verwaltung durch Agenten nicht nach Georgien zurückkehren“, erklärte Georgiens Premierminister Irakli Kobachidse.

Parallel dazu bereiten die Herrschenden die Öffentlichkeit darauf vor, dass im Vergleich zu den Ergebnissen der vorangegangenen Wahlen und ungeachtet der massenhaften Protestaktionen, die im Frühjahr und Anfang Sommer erfolgten, die Opposition ihre Präsenz im Parlament verringern werde. So glaubt der Anführer der Parlamentsmehrheit Mamuka Mdinaradse überhaupt nicht daran, dass irgendwer außer die Nationale Einheitsbewegung von Ex-Präsident Michail Saakashvili die 5-Prozent-Hürde für einen Einzug ins Landesparlament überwinden werde. Der verantwortliche Sekretär der Partei „Kraft des Volkes“, die aus ehemaligen Mitgliedern von „Georgischer Traum“ gebildet wurde, Guram Macharashvili, ist der Annahme, dass anstelle der gegenwärtigen 55 Oppositionellen im Parlament maximal 30 bis 40 bleiben werden.

Derweil vermutet Wadim Muchanow, Leiter des Sektors Kaukasus im Akademieinstitut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, dass, wenn es bis zu den Wahlen zu keinerlei Provokationen kommt, die Partei „Georgischer Traum“ bei den Wahlen unter für sich komfortablen Bedingungen siegen könne. Wenn aber irgendwelche ernsthaften Verfolgungen in Bezug auf Gegner des Regimes beginnen, könne die politische Krise zu Zusammenstößen auf den Straßen führen, die zu einer seriösen Herausforderung für die herrschende Elite werden würden.

Solch einer Einschätzung pflichtet scheinbar Mdinaradse bei. Er rief unter anderem seine Gleichgesinnten auf, „dem Herumfuchteln mit Fäusten ein Ende zu bereiten“. „Wie bitter es für uns sein mag, wie sehr wir auch erzürnt sein mögen und wie sehr wir uns ihrer Verbrechen erinnern mögen, wir dürfen kein Wasser auf ihre Mühlen gießen. Sie brauchen ein Opfer, einen provozierenden Plan. Und ich bin mir sicher, dass sie dies bestimmt begreifen“, unterstrich Mdinaradse.

Allerdings hinderte dies die Partei „Georgischer Traum“ nicht daran, einen grandiosen Prozess gegen die Opposition anzukündigen, die die Herrschenden des Entfesselns des Augustkrieges von 2008 bezichtigte. Zum Anlass dafür wurde ein Interview von Heidi Tagliavini, der Leiterin der EU-Kommission für die Untersuchung der Umstände jener Ereignisse. Die regierende Partei interpretierte ihre Worte als ein Konstatieren dessen, dass die Regierung von Saakashvili die Kampfhandlungen gegen Russland entfesselt hätte. Dabei hatte Tagliavini selbst den Ex-Präsidenten lediglich einmal erwähnt, dafür aber mehrmals unterstrichen, dass alle Seiten des Konflikts Fehler begangen hätten.

„Es hat sich herausgestellt, dass sich die Haltung von Tagliavini selbst nach Jahren nicht geändert hat. Und sie machte alle Versuche des Journalisten zunichte, durch eine argumentierte Erörterung irgendwie die verräterischen Handlungen zu rechtfertigen, die durch die „Nationale Bewegung“ vor 16 Jahren begangen wurden… Es ist für die Verbrecher die Zeit gekommen, entsprechend der ganzen Strenge der Verfassung und des Gesetzes zu haften. Unter Berücksichtigung der oben dargelegten faktischen Umstände ist es für die Schaffung eines langfristigen Friedens und von Stabilität in Georgien äußerst wichtig, dass ein öffentlicher Rechtsprozess durchgeführt wird und die Öffentlichkeit ein und für allemal erfährt, wer das schwerste verräterische Verbrechen gegen unser Land und das Volk begangen hat“, heißt es in einer Erklärung des politischen Rates der Partei „Georgischer Traum“.

Nach Meinung von Viktor Kipiani, Leiter des Zentrums Geocase, würden sich die Herrschenden nicht das erste Mal derartige Äußerungen erlauben. Jedoch würden sie immer mehr über den Rahmen des Erlaubten hinausgehen. „Bisher ist es schwierig, darüber zu urteilen, ob diese Mitteilung ein Teil des Wahlkampfes oder eine Erklärung über weitreichende Absichten ist. Dennoch setzen die Offiziellen mit solchen Handlungen die internationalen Positionen Georgiens einem Risiko aus. Die Führung des Landes, die bei den Wahlen siegen möchte, wird mit den Emotionen nicht fertig. Verloren wurde das Gefühl für ein Gleichgewicht und eine Verantwortung für die eigenen Worte“, resümierte Kipiani.