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In Israel ist man bereit, mit Sanktionen auf die mögliche Schließung der Jewish Agency zu reagieren


Die Absicht des Justizministeriums der Russischen Föderation, eine Liquidierung der russischen Vertretung der Jewish Agency, der Sochnut, zu erreichen, wird zu einer Krise in den Beziehungen Russlands und Israels führen. Die Regierung von Jair Lapid setzt auf einen Dialog mit den Offiziellen der Russischen Föderation. Dabei bereite sie aber, wie in israelischen Medien berichtet wird, eine Serie „politischer Maßnahmen“ vor, wenn die Büros der Jewish Agency doch geschlossen werden sollten. Wenn die Sache zu einem ernsthaften Konflikt ausufert, verliert Russland eine wichtige Komponente seines Erfolgs in den Nahost-Angelegenheiten: die Neutralität, die erlaubt, sich mit den unterschiedlichsten internationalen Akteuren zu einigen.

Die israelische Zeitung „Israel HaYom“ informierte unter Berufung auf ihre Quellen, dass Lapid dem Außenministerium den Auftrag erteilt hätte, eine Serie von Antworthandlungen auf eine Schließung der russischen „Sochnut“-Abteilung vorzubereiten.

Das Schicksal der Jewish Agency in Russland wird nicht sehr schnell klar werden. Das Gespräch von Vertretern der „Sochnut“ und des Justizministeriums mit Richterin Olga Lipkina im Moskauer Basmany-Stadtbezirksgericht erfolgte am Donnerstag hinter verschlossenen Türen und dauerte etwa zwei Stunden. Informationen wurden weder von den Vertretern der Agentur noch vom russischen Justizministerium preisgegeben. Dafür wurde bekannt, dass die nächste Runde der Untersuchungen für den 19. August angesetzt wurde. Eine Regelung des Konfliktes ist damit bisher ausgesetzt worden, womit die Delegation der israelischen Regierung, die im Auftrag von Premier Lapid für Gespräche über die Zukunft der „Sochnut“ gebildet worden war, noch eventuell etwas in Moskau bewirken kann.

In einem Interview für „Israel HaYom“ räumte Israels einstiger Botschafter in Russland, Zvi Magen, ein, dass unter den israelischen Schritten zur Ausübung von Druck auch ein Beitritt zu den antirussischen Sanktionen sein könne. Dies Land ist bei weitem nicht der wichtigste Handelspartner Russlands. Hinsichtlich des Anteils am russischen Export hatte Israel im Jahr 2021 laut Angaben des Föderalen Zolldienstes, den bescheidenen 47. Platz eingenommen (beim Import – den 46). Dennoch hat die israelische Führung durchaus ein Arsenal antirussischer Maßnahmen. Daran erinnerten laut Angaben israelischer Medien Lapids Partner in der Regierungskoalition, der Führer der Partei „Jisra’el Beitenu“ („Unser Zuhause Israel“), Avigdor Lieberman, und Minister für Bau- und Wohnungswesen Ze’ev Elkin während einer Regierungsberatung. Letzterer (der übrigens aus Charkow stammt) rief auf, im Falle einer Schließung der „Sochnut“ in Russland die von der Benjamin-Netanjahu-Regierung getroffene Entscheidung über eine Übergabe des Alexanderhofs in Jerusalem (ein historischer Gebäudekomplex der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft im Christlichen Viertel der Altstadt von Jerusalem – Anmerkung der Redaktion) an die Russische Föderation zu revidieren. Und wie die israelische Journalistin Anna Rayva-Barskaya berichtete, hätte sich mit einer analogen Bitte die Organisation „Agudas Chassidei Chabad“ an die Rechtsberaterin der Regierung Israels, Gali Baarav-Miara, gewandt. Freilich ist die Chassiden-Organisation der Auffassung, dass man den Alexanderhof aufgrund des Unwillens von Russland, die „Schneerson-Bibliothek“ zurückzugeben, nicht zurückgegeben müsse, was es gemäß der Entscheidung eines US-amerikanischen Gerichts tun sollte.

Unabhängig von den konkreten Schritten der Lapid-Regierung kann der Konflikt der beiden Länder an sich den Positionen Russlands im Nahen Osten bereits einen Schlag versetzen. Moskau wird sich mit Israel zu einem Zeitpunkt streiten, zu dem einflussreiche arabische Länder mit Tel Aviv Beziehungen anbahnen. In der Konfrontation des Irans und von Saudi-Arabien, das der jüdische Staat de facto unterstützt, riskiert Russland, auf der iranischen Seite zu bleiben. Dies wird wenig bringen, der russischen Diplomatie in der Region aber die Flexibilität nehmen.

„Ich bin nicht sicher, dass sich Israel den Sanktionen anschließen kann. Die Lapid-Regierung ist ja doch darauf aus, die Situation auf dem Wege von Verhandlungen zu lösen. Sie kann sie aber nicht unbeachtet lassen. Alles, was mit der jüdischen Migration verbunden ist, ist für Israel sehr wichtig. Daher kann sich die Situation um die „Sochnut“ natürlich auf die Beziehungen beider Länder auswirken“, sagte Ludmilla Samarskaja, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Zentrums für Nahost-Studien des Je.-M.-Primakow-Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, in einem Kommentar für die „NG“.

In Israel sei man erstaunt, dass überhaupt Beanstandungen gegen die apolitische jüdische Organisation vorgebracht wurden. Formuliert werden unterschiedliche Versionen. Der einstige „Sochnut“-Chef Natan Scharanski teilte in einem Interview des Hörfunksenders „Kann Bet“ mit, dass das russische Justizministerium bereits im Jahr 2014 begonnen hätte, sich für die Tätigkeit seiner Organisation zu interessieren. Nunmehr möchte die Russische Föderation nach seinen Worten einfach auf Israel Druck ausüben, um den Grad der Isolierung des Landes zu verringern. Die Zeitung „The Jerusalem Post“ behauptet, dass die Jewish Agency nicht zur einzigen jüdischen Organisation werde, die die russischen Offiziellen schließen wollen. Allerdings gibt es von russischer Seite keine Bestätigungen für diese Informationen.

Samarskaja nimmt an, dass sich der Kreml wohl kaum an Lapid aufgrund dessen Ukraine-Position räche. „Der Premierminister hat die Russische Föderation vor einigen Monaten verurteilt. Seitdem sind seine Erklärungen über Russland recht ausgewogene gewesen“, meint sie.

Die „NG“ hat Vertreter jüdischer Organisationen gebeten, mitzuteilen, wie sich das Gemeindeleben gestalten werde, wenn sich die Beziehungen der Russischen Föderation mit Israel bis zu einem Stand dessen Aufnahme in die Liste der unfreundlichen Länder verschlechtern. Der Leiter des Departments für Öffentlichkeitsarbeit der Föderation jüdischer Gemeinden Russlands (FJGR), Boruch Gorin, erinnerte daran, dass „Russlands Juden alle Verfassungsrechte besitzen. Und sie werden in keiner Weise durch die Wechselbeziehungen mit Israel bestimmt“. „Wenn alles im Rahmen des Gesetzes und zivilisierter Normen erfolgen wird, sind dies in keiner Weise zusammenhängende Sachen. Wird dem so sein, dessen bin ich mir nicht sicher“, fuhr der „NG“-Gesprächspartner fort und führte einen traurigen Witz aus Sowjetzeiten an. „Schauen Sie, was sie mit unseren Juden gemacht haben! Jetzt werden wir dies auch mit deren Juden machen!“. Nach Meinung des FJGR-Vertreters dürfe man die gegenwärtige Situation nicht mit den Problemen der Juden in der UdSSR vergleichen, in der „gut die Hälfte des Judentums lebte, bis zum Krieg rund fünf, sechs Millionen“. „Jetzt ist dies tatsächlich eine Zwerg-Gemeinde. Wenn wir über die Menschen mit einem starken Selbstbewusstsein sprechen, so geht es im besten Fall um zehntausende. Im Falle des Aufkommens eines Eisernen Vorhangs wird das russische Judentum einfach zu existieren aufhören“, meint Gorin. Er bezweifelt gleichfalls, dass die Sorge um die Diaspora für Israel als ein bestimmender Faktor in der internationalen Politik diene. Gorin führte als Beispiel die viele tausende Menschen umfassende iranische Community an. „Mir scheint, dies ist am Ende der ersten einhundert Fragen, die Israel bei der Gestaltung der Beziehungen mit dem einen oder anderen Land bewegt“, resümierte der Vertreter der FJGR.

  1. S.

Am Freitag wurde Kremlsprecher Dmitrij Peskow von Journalisten zur Situation um die Jewish Agency in Russland befragt. Er lehnte einen Kommentar unter dem Verweis darauf ab, dass es einen Prozess geben werde. Freilich deutete er laut der Moskauer Nachrichtenagentur „Interfax“ an, dass es gewisse Informationen zu dem Fall gebe, die die Forderung des russischen Justizministeriums nach Liquidierung der „Sochnut“ ausgelöst hätten.