Für den 7./8. Februar ist ein Ukraine-Besuch der deutschen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian geplant worden. Es ist vorgesehen, dass die Gespräche im Vorfeld des nächsten Treffens der Berater der Staats- und Regierungschefs im Normandie-Format stattfinden werden. Die russische Seite erwartet von der ukrainischen eine klare Antwort auf die Frage nach der Bereitschaft Kiews zu einem direkten Dialog mit Donezk und Lugansk. Einige ukrainische Experten räumen ein, dass die deutsche Ministerin und ihr französischer Amtskollege versuchen werden, Kiew zu solch einer Entscheidung zu bewegen.
Annalena Baerbock war Mitte Januar in die Ukraine gekommen. Sie hatte vorab den Februar-Besuch angekündigt, wobei sie sagte, dass sie plane, zusammen mit dem französischen Amtskollegen im Donbass zu weilen, um die „intensiven Bemühungen der OSZE zu unterstützen“. Nun haben die Außenminister Deutschlands und Frankreichs mitgeteilt, dass sie am 7. und 8. Februar in die Ukraine weilen werden. Der ukrainische Außenamtschef Dmitrij Kuleba ist der Auffassung, dass im Verlauf der trilateralen Gespräche die Frage nach einem Außenministertreffen im Normandie-Format erörtert werde. Mit der Vorbereitung zur Organisierung solch einer Begegnung befassen sich gleichfalls die Berater der Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs. Nach den in Paris in der vergangenen Woche erfolgten Verhandlungen informierten die Berater über die Absicht, in zwei Wochen den Dialog in Berlin fortzusetzen. Die russische Delegation erklärte, dass ohne eine Zustimmung Kiews zu einem direkten Dialog mit den Separatistengebieten „Donezker Volksrepublik“ und „Lugansker Volksrepublik“ Bewegungen und Fortschritte im Prozess der Konfliktregelung wohl kaum möglich seien.
In Europa und in den USA ist man der Auffassung, dass das Ausbleiben von Vereinbarungen das Risiko eines „Einmarschs von Russland in die Ukraine“ verstärke. Vor einer Woche hatte Washington als erster eine Entscheidung über die Evakuierung von Familienangehörigen von Diplomaten aus Kiew getroffen. Und dieser Schritt verstärkte die Besorgnis in der Ukraine. Die Mitglieder des Teams von Wladimir Selenskij und der Präsident selbst mussten beinahe täglich mit Appellen auftreten, nicht in Panik zu geraten. Am 28. Januar hatte Selenskij Vertreter ausländischer Medien zu einem Gespräch eingeladen, denen er sagte, dass die Situation an den Grenzen der Ukraine nicht von der Wahrscheinlichkeit eines „russischen Einmarschs“ zeuge, zumindest in der nächsten Zeit. „Derzeit halte ich sie (die Situation) nicht für angespannter als zur Hochzeit der Manöver… Damals war sie auch eine sehr brisante, doch solch eine Informationspolitik hatte es nicht gegeben. Ich habe mit dem Präsidenten der USA gesprochen und gesagt, dass diese Politik eine ausgewogene sein müsse. Mögen die Journalisten nach Kiew kommen. Fahren bei uns etwa Panzer durch die Straßen? … Wenn Sie nicht in der Ukraine sind, so entsteht solch ein Eindruck… Wir brauchen diese Panik nicht“.
In dem gleichen Gespräch sagte Selenskij, dass die Hauptgefahr für die Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Risiko einer Destabilisierung im Land sei. Die panischen Stimmungen könnten zu einer Wirtschaftskrise und Steuerlosigkeit führen. Darüber sprach der ukrainische Präsident möglicherweise am Donnerstagabend mit dem amerikanischen Staatsoberhaupt. In den USA teilten verschiedene Quellen Journalisten mit, dass die Unterredung von Selenskij und Biden keine einfache gewesen wäre, da die Seiten unterschiedlich den Grad der Gefahr eines „russischen Einmarschs“ und den Grad der Risiken, die aufgrund der politischen Erklärungen über einen „Einmarsch“ entstehen beurteilen würden. Laut Informationen von CNN-Quellen „nehmen zwischen Selenskij und den offiziellen Vertretern der Biden-Administration die Spannungen vor dem Hintergrund der Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich dessen zu, wie die Bewertungen der US-amerikanischen Aufklärung zu interpretieren und öffentlich darzustellen sind. In diesen heißt es, dass Russland einen großangelegten Überfall auf die Ukraine vorbereiten könne“. In einem Beitrag der Zeitung „Politico“ hieß es, dass die ukrainischen Offiziellen ein vorsätzliches Aufbauschen der Panik durch den Westen im Interesse der „Vorbereitung des Bodens für den Abschluss eines Donbass-Deals mit dem Kreml“ befürchten könnten. Andere amerikanische Medien haben eingeräumt, dass das Selenskij-Team den westlichen Partnern direkt sage, dass der Ukraine die Rolle eines Bauern in dem komplizierten Spiel zwischen den USA und der Russischen Föderation nicht passe.
Die Pressedienste der Präsidenten der Ukraine und der Vereinigten Staaten dementieren die Informationen über Schwierigkeiten bei den bilateralen Gesprächen. Selenskij erklärte: „Wir haben mit dem Präsidenten der USA keine Missverständnisse. Ich begreife einfach zutiefst, was sich in meinem Staat ereignet, wie er zutiefst begreift, was in den USA geschieht“. Das, was das Staatsoberhaupt nicht hätte sagen können, formulierte David Arachamia, der Chef der Fraktion der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ in der Werchowna Rada (dem ukrainischen Parlament). Laut einer Mitteilung des Nachrichtenportals „Liga“ erinnerte der Politiker die ukrainischen Journalisten daran, dass US-amerikanische Medien bereits mehrfach „genaue Daten für einen Einmarsch Russlands in die Ukraine“ genannt hätten. Aber diese Daten sind bereits verstrichen. Und ein Krieg hat glücklicherweise nicht begonnen. „Dies ist einfach ein Angstmachen der Menschen und der Versuch, Panik zu schüren. Ich kenne nicht die realen Gründe, warum die USA so handeln. Dies aber wirkt ganz bestimmt nicht zu Gunsten der Wirtschaft der Ukraine“, sagte Arachamia.
Bereits nach diesen Erklärungen hat die US-Botschaft in Kiew erneut die amerikanischen Bürger aufgerufen, so schnell wie möglich das Territorium der Ukraine zu verlassen. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete unter Berufung auf ihre Quellen, dass zu den Stationierungsorten der russischen Truppen an den Grenzen der Ukraine medizinische Lieferungen vorgenommen werden, unter anderem Blutkonserven. Und dies könne ein indirekter Beweis für die Vorbereitung auf eine baldige Offensive sein. In der Ukraine wies man diese Informationen zurück. Vizeverteidigungsministerin Anna Maljar sagte gegenüber Journalisten: „Solche Nachrichten sind ein Element des Informations- und psychologischen Krieges“. Verteidigungsminister Alexej Resnikow versicherte in einem Interview für die Zeitung „Le Figaro“, dass eine Entscheidung über eine Offensive in der Russischen Föderation nicht getroffen worden sei. Eine Eskalation könne man vermeiden. Russland versuche, seine Positionen für eine Fortsetzung der Verhandlungen mit den USA und der EU zu verstärken.
Der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba schrieb in einem Beitrag für das Medium „Neue Zeit“, dass man versuche, den Ukrainern „Angst zu machen“. Doch die ernsthafteste Gefahr sei aber bereits vorbei. „Im Jahr 2014, als unser Staat ein schwacher war und unsere Partner unentschlossene“. Nunmehr sei nach seinen Worten die Situation eine andere. „Russland möchte sich nicht mit der Ukraine an den Verhandlungstisch setzen? Nun gut. Anstelle der „Pendel-Diplomatie“ wird eine „Netzwerk-Diplomatie“ mit dem Zentrum in Kiew gestartet. Sie sieht ein intensives Abstimmen der Positionen der Partner im Rahmen der internationalen Koalition zur Zügelung Russlands sowie eine enge Koordinierung mit der Ukraine vor und nach den Kontakten mit den Russen vor“.
Den bevorstehenden Besuch der Außenminister Deutschlands und Frankreichs wird man in Kiew wahrscheinlich als Zeichen für die neue „Netzwerk-Diplomatie“ auffassen. Die Expertin der I.-Kutscheriw-Stiftung „Demokratische Initiativen“ Maria Solkina betonte in einem Beitrag, dass die zweiwöchige Pause zwischen den beiden Verhandlungsrunden der Berater der Staats- und Regierungschefs im Normandie-Format eine Zeit schwieriger Entscheidungen sei. „Kann man die gegenwärtige Konjunktur im „Normandie-Quartett“ an sich, insbesondere die Position von Deutschland und Frankreich, als eine für Kiew eindeutig günstige ansehen? Leider nicht… Die Formel 3 plus 1, der entsprechend Frankreich und Deutschland auf der Seite der Ukraine waren, hat einen Riss bekommen“, betonte sie. Einige Experten in Kiew räumen ein, dass der Westen nunmehr versuche, alle Probleme in den Beziehungen mit Russland zu lösen, indem auf die ukrainischen Offiziellen Druck ausgeübt wird, damit sie direkte Verhandlungen mit der „Donezker Volksrepublik“ und der „Lugansker Volksrepublik“ aufnehmen.
Der amtierende 1. Stellvertreter der ukrainischen Delegation bei den Minsker Verhandlungen Andrej Kostin sagte der Nachrichtenagentur „Interfax-Ukraine“, dass eine Reihe von Gesetzentwürfen, die die Konfliktregelung im Donbass betreffen, im Rahmen der trilateralen Kontaktgruppe abgestimmt werden könnten. „Die Frage besteht darin, was das für eine Abstimmung ist, wie ihr Mechanismus und das Ergebnis aussehen werden? Auf diese Fragen gibt es in den Minsker Abkommen keine Antworten. Wir arbeiten gegenwärtig daran. Dies ist ein sehr wichtiges Element des Verhandlungsprozesses. Und hier wird meines Erachtens eine aktive Position der OSZE äußerst wichtig sein, da Abstimmung ein recht allgemeines Wort ist. Und jeder kann es auf seine Art und Weise verstehen“. Kostin hat direkte Verhandlungen mit der „DVR“ und der „LVR“ ausgeschlossen. „Der Versuch der Vertreter Russlands, (Kiew) zu beugen, (es) bis auf die Ebene eines direkten Dialogs mit den ORDLO (ukrainische Abkürzung für einzelne Gebiete der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk – „NG“) zu bringen, ist ein Versuch, das Wesen des Verhandlungsprozesses umzukrempeln“. Vieles wird davon abhängen, was für eine Position die Außenministerin Deutschlands und ihr französischer Amtskollege im Verlauf des Kiew-Besuchs vertreten werden.