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In Petersburg umriss Putin ein neues Ziel der militärischen Sonderoperation in der Ukraine


Der Präsident der Russischen Föderation verbrachte den 18. Januar in Sankt Petersburg, wo der 80. Jahrestag des Durchbruchs der Blockade Leningrads im Verlauf des Großen Vaterländischen Krieges von 1941-1945 begangen wurde (am 27. Januar jährt sich zum 80. Mal das komplette Ende dieser etwa 28 Monate währenden Blockade – Anmerkung der Redaktion). Wladimir Putin wurde nicht den Erwartungen und informationsseitigen Spekulationen gerecht, dass er gerade während dieser Reise gewisse Erklärungen über die Veränderung des Charakters der Sonderoperation abgeben werde. Dass er sie zu einem wahren Krieg gegen den Westen erkläre oder – im Gegenteil – ihre Maßstäbe und Grenzen präzisieren werde. Auch deutsche Journalisten reagierten beinahe hektisch auf Ankündigungen des Thinktanks Institute for the Study of War, weil sie mitunter gar Details einfach übersahen bzw. von ihren Schreibtischen in Deutschland nicht imstande sind, realistisch die Situation in Russland zu beurteilen. Das verbotene Wort aus fünf Buchstaben sprach das russische Staatsoberhaupt dennoch aus, als er in einem Gespräch mit Veteranen die Beendigung der großangelegten Kampfhandlungen, die im Osten der Ukraine bereits seit 2014 nach dem Machtwechsel in Kiew (der nach Moskauer Lesart ein Putsch gewesen war – Anmerkung der Redaktion) erfolgen, als das Ziel der am 24. Februar 2022 begonnenen militärischen Sonderoperation bezeichnete.

„Vom Wesen her sind die großangelegten Kampfhandlungen im Donbass seit 2014 nicht beendet worden, wobei sie unter dem Einsatz schwerer Technik, Artillerie, von Panzern und der Luftwaffe erfolgen… Alles, was wir heute tun, darunter bei der militärischen Sonderoperation, ist der Versuch, diesen Krieg zu beenden. Eben darin besteht der Sinn unserer Operation. Und um unsere Menschen zu verteidigen, die dort, auf diesen Territorien, leben“, erklärte Putin im Verlauf der Begegnung mit Veteranen und Überlebenden der Blockade im Petersburger staatlichen Museum zur Geschichte der Blockade von Leningrad, wobei er in gebührendem Abstand von den Gesprächsteilnehmern auf der Bühne des Festsaals dieses Museums saß. Er vergaß nicht daran zu erinnern, dass diese Gebiete historische Territorien Russlands seien, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR an die Ukraine gegangen seien.

„Russland hat sich mit diesem Ereignis abgefunden, ungeachtet dessen, dass dies unsere historischen Territorien sind. Dennoch mussten wir darauf reagieren, was dort sich abzuspielen begann“, merkte der Präsident an, wobei einige Beobachter an die Aufrichtigkeit des Kremlchefs zweifelten. Und der wiederholte dabei auch ein weiteres Mal das sattsam bekannte offizielle russische Narrativ, dass zur Ursache und zur Schuld für all das, was sich jetzt ereigne, der „verfassungsfeindliche bewaffnete Staatsstreich“ in Kiew und anderen Städten der Ukraine im Februar 2014 geworden sei.

Jedoch hatte traditionell Putin auch wieder nicht erläutert, warum denn die Russische Föderation damals die ukrainischen Offiziellen anerkannte, die danach im Ergebnis von Wahlen bestätigt wurden, warum sie mit ihnen Verhandlungen führte und Abkommen darüber abschloss, um auf irgendeine Art und Weise schrittweise die entstandenen Donbass-Republiken DVR und LVR in die Ukraine zurückzuholen, aufs Neue zu integrieren.

Anstelle dessen droht der Präsident der Russischen Föderation nur den Erben dieser, nach dem Putsch an die Macht gekommenen Offiziellen: „In der Ukraine gibt es sehr viele Menschen, die verstehen, was sich abspielt, und eine richtige Bewertung geben. Besonders, nachdem, was die heutigen „Herrscher“ mit der Zivilbevölkerung (mit einer Wiederherstellung der sogenannten Sperreinheiten, die während des Zweiten Weltkrieges zum Einsatz gekommen waren) und mit der Russischen orthodoxen Kirche anzustellen begannen. Dies alles wird ihnen teuer zu stehen bekommen. Ich habe keine Zweifel daran“. Putin präzisierte, dass das russische Untersuchungskomitee weiter „das fixieren wird, was sie anstellen, besonders mit der Zivilbevölkerung. Aber diese Institution „fixiert nicht nur, sie fasst diese Materialien zusammen und wird ihnen eine juristische Bewertung geben“, und sie werde auch weiterhin entsprechend der Prozessordnung handeln. (Offensichtlich muss dies auch als eine Antwort auf die Diskussionen im Westen verstanden werden, wo man die Durchführung eines internationalen Tribunals gegen Russland aufgrund der militärischen Sonderoperation in der Ukraine erwägt. – Anmerkung der Redaktion)

Es ist jedoch klar, dass Russland zuerst die Sonderoperation siegreich beenden muss, um die gegenwärtigen ukrainischen Herrschenden zur Verantwortung zu ziehen. Dass die militärische Sonderoperation gerade in dieser Richtung fortgesetzt und gerade mit solch einem Ergebnis beendet werde, gab Putin bereits während des Besuchs eines der ältesten Rüstungsbetriebe des Landes – des Obuchow-Werkes – zu verstehen. Heute gehört es zu jenem berühmten Konzern, der fast alle modernsten russischen Raketenwaffen baut. Der Präsident der Russischen Föderation demonstrierte bei seinem Gespräch mit handverlesenen Mitarbeitern des Betriebes, dass er – allem nach zu urteilen – um beinahe die Hauptthese der ukrainischen und westlichen Kriegspropaganda weiß: Die Raketen würden Russland ausgehen oder jeden Augenblick … „Wir produzieren beispielsweise über dreimal mehr Luftabwehrraketen im Jahr, die Sie bauen, im Vergleich zu den USA. Und insgesamt produziert unsere Rüstungsindustrie im Jahr etwa genauso viele Luftabwehrraketen unterschiedlicher Zweckbestimmung wie alle Rüstungsbetriebe der Welt insgesamt. Unsere Fertigung ist mit der weltweiten Herstellung vergleichbar“, erklärte Putin.

Für die Arbeiter und Angestellten der Rüstungsbetriebe bekräftigte er die Freistellung von irgendwelchen Mobilmachungen für die militärische Sonderoperation, wobei er betonte, dass es jetzt wichtiger sei, auch weiterhin die Herstellung unterschiedlicher Waffen, die die Armee benötige, zu forcieren. Es war angenommen worden, dass gerade im Gespräch mit der Arbeiterklasse, die Putin offenkundig für einen wichtigen Teil seines Elektorats und Kerns der Anhänger hält, dass er da auch etwas Bestimmteres über die Sonderoperation sagen werde. Das Staatsoberhaupt hatte jedoch beschlossen, seine These vom „Kampf gegen Neonazis“ zu wiederholen, die ja die ukrainische Macht ans sich gerissen hätten. Dafür eignete sich natürlich Bandera, den Kiew nach wie vor rühmt. Und folglich „haben wir allen Grund, das heutige Regime als ein neonazistisches zu bezeichnen. Und es gibt allen Grund, den Menschen mittels Streitkräfte zu helfen, die sich für einen Teil der russischen Kultur und Träger der russischen Sprache halten und dies genauso wie auch ihre Kultur und ihre Traditionen bewahren“. „Wir müssen sie verteidigen“, erklärte im Zusammenhang damit der Präsident der Russischen Föderation.

Zum Abschluss des Gesprächs mit Beschäftigten des Obuchow-Werkes führte Putin jene Bestandteile des künftigen Sieges Russlands an, die dem Kreml die Gewissheit gerade an solch einem Ausgang suggerieren. „Aus der Sicht des Endergebnisses und des Sieges, der unweigerlich ist, gibt es einige Sachen, die nirgendwohin verschwunden sind und die unserem Sieg zugrunde liegen. Dies sind die Einheit und die Geschlossenheit des russischen und überhaupt des multinationalen russländischen Volkes. Dies sind der Mut und der Heroismus unserer Kämpfer im Rahmen der militärischen Sonderoperation und an der Frontlinie. Und natürlich die Arbeit des Rüstungsindustriekomplexes, solcher Unternehmen wie Ihres und solcher Menschen wie Sie und der ganzen Wirtschaft, denn jedes dieser Kettenglieder – sowohl die Industrie als auch der Zustand der Staatsfinanzen sowie der soziale Bereich, der unter anderem mit einer Unterstützung der Familien verbunden ist, die besondere Aufmerksamkeit seitens des Staates erfordern, und das Gesundheitswesen – all dies schafft die Grundlage für unsere effektiven Entwicklung und den Sieg. Sie ist abgesichert. Ich habe dahingehend keinerlei Zweifel“, erklärte der 70jährige Präsident.

Die Zuversicht des Staatsoberhauptes ist natürlich auch ein wichtiges Element des möglichen Sieges. In diesem Kontext muss man sich aber noch an eine Erklärung aus seinem Munde in Petersburg erinnern: „Wir haben lange geduldet, lange versucht, eine Einigung zu erzielen. Wie sich jetzt herausstellt, hat man uns einfach der Nase herumgeführt, betrogen. Dies passiert und ereignet sich mit uns nicht das erste Mal. Dennoch haben wir alles Mögliche dafür getan, um diese Situation mit friedlichen Mitteln zu regeln. Nunmehr ist es offensichtlich geworden, dass dies ganz bestimmt nicht möglich ist“. Nach seinen Worten „hat sich der Gegner darauf vorbereitet, diesen ganzen Konflikt in eine brisante und heiße Phase zu überführen. Uns ist nichts geblieben – außer dem, was wir jetzt tun“. Und da waren sich die Offiziellen der Russischen Föderation – allem nach zu urteilen – auch sicher gewesen, dass die Situation recht kontrollierbar und voraussagbar sei.